Gut eine Woche ist es her, dass Deutschland mit seiner Impfaktion gegen das Coronavirus begonnen hat. Große Hoffnungen liegen in dem Impfstoff und seiner Verteilung. Doch kaum dass die ersten Spritzen gesetzt wurden, hagelte es auch schon Kritik. Zu wenig Impfstoff, zu schleppende Verteilung, in anderen Ländern gehe es schneller voran: Die Bundesregierung und auch die EU-Kommission stehen unter Rechtfertigungsdruck. Immer lauter und massiver werden die Vorwürfe. Inzwischen gerät gar die Kanzlerin persönlich in die politische Schusslinie. Was aber ist dran an der Schelte? Eine Spurensuche.
Wie läuft der Impfstart gegen das Coronavirus in Frankreich?
Wer glaubt, Deutschland habe ein Impfproblem, dem sei ein Blick nach Frankreich empfohlen. Dort haben bislang gerade einmal ein paar hundert Personen eine Spritze erhalten. Die Impfquote bewegt sich noch nicht einmal im Promillebereich. Und das liegt nicht etwa an einer zu geringen Menge an Vakzinen: Noch im letzten Jahr wurden 560.000 Dosen geliefert, nun sollen pro Woche 500.000 dazukommen und nach der Zulassung des Impfstoffs von Moderna weitere 500.000 Impfdosen pro Monat. Doch schafft es das Land überhaupt, diese rasch zu verwenden? "Ich werde es nicht zulassen, dass sich eine ungerechtfertigte Langsamkeit einrichtet", sagte Präsident Emmanuel Macron in seiner Neujahrsansprache.
Erst vor wenigen Wochen war er selbst an Corona erkrankt. In Umfragen bescheinigt eine Mehrheit der Franzosen ihm und seiner Regierung ein schlechtes Krisenmanagement. Die Sonntagszeitung Le Journal du dimanche berichtet von einem Wutausbruch Macrons gegenüber seinen Ministern. "Das muss sich schnell und stark ändern", soll er gewettert haben.
Frankreich will sich "Zeit nehmen, die Dinge gut zu machen"
Zwar sagt Gesundheitsminister Olivier Véran, der langsame Rhythmus sei gewollt und werde sich bis Ende Januar beschleunigen. Und der Verantwortliche für die französische Impfstrategie, Alain Fischer, betont, man wolle sich "Zeit nehmen, die Dinge gut zu machen". Doch Ärzte warnen, diese Zögerlichkeit koste pro Tag viele Menschenleben. Jean Rottner, Präsident der Region Grand Est, die wie schon während der ersten Pandemie-Welle besonders hohe Infektionszahlen aufweist, spricht sogar von einem "Staatsskandal": "Die Franzosen brauchen Klarheit und sichere Botschaften von einer Regierung, die weiß, wohin sie geht, doch diesen Eindruck erweckt sie nicht."
Tatsächlich gehen die politisch Verantwortlichen äußerst vorsichtig vor, da es in kaum einem Land auf der Welt so große Vorbehalte gegenüber dem Impfen gibt. Nur knapp 40 Prozent der Menschen in Frankreich sind derzeit zu einer Corona-Impfung bereit. Einer im Juni 2019 veröffentlichten Studie zufolge, die in 144 Ländern durchgeführt worden war, gehören die Franzosen zu den impfskeptischsten Völkern, neben den Libanesen, Kroaten und Serben. Einer von drei befragten Franzosen gab an, Impfstoffe für unsicher oder unwirksam zu halten.
In Frankreich wurden noch keine Impfzentren aufgebaut
Doch es gibt noch weitere Gründe für das französische Impfproblem. Die bürokratischen und logistischen Hürden sind hoch. Erste Zielgruppe in Frankreich sind – wie in Deutschland – die Bewohner der insgesamt 14.000 Altenpflegeheime. Diese machten bislang 44 Prozent der inzwischen mehr als 65.000 Corona-Toten aus. Verzögernd wirkt allerdings, dass fünf Tage vor dem Impftermin ein Gespräch mit dem Hausarzt geführt und eine schriftliche Einverständniserklärung abgegeben werden muss. Darüber hinaus kam es auch bei der Auslieferung des Impfstoffs zu Verzögerungen. Impfzentren wurden bislang nicht aufgebaut.
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