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Corona-Hilfspaket: „Mercron“ und der Gipfel der Mühseligkeit

Corona-Hilfspaket

„Mercron“ und der Gipfel der Mühseligkeit

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    Ausgebremst: Kanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der niederländischen Premier Mark Rutte (links).  	„Man man weiß nicht mehr genau, was in der Mitte das Ding zusammenhält.“
    Ausgebremst: Kanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der niederländischen Premier Mark Rutte (links). „Man man weiß nicht mehr genau, was in der Mitte das Ding zusammenhält.“ Foto: Francisco Seco. dpa

    Angela Merkel und Emmanuel Macron: Wäre das Bild nicht schon wegen des Altersunterschiedes (42 und 66) so schief – man hätte die beiden für das reif gewordene Elternpaar halten können, das mit seinen Nachkommen die typischen Streitrituale ausficht und böse Blicke verteilt. Hier der französische Präsident, der auch mal heftig auf den Tisch schlägt und weniger über Details als wieder einmal über den großen Entwurf Europas referiert. Da die deutsche Bundeskanzlerin, die beispielsweise die dänische Amtskollegin Mette Frederiksen auch mal angeraunzt hat, weil die 42-Jährige in der großen Runde dieses EU-Gipfels davor warnte, die Rechtsstaatlichkeit nicht über Bord zu werfen – und Merkel sich offenbar angesprochen fühlte.

    Das Bild vom Treffen „Mercrons“ und den sogenannten „Frugal Five“, was in Brüssel nur noch mit den „geizigen Fünf“ übersetzt wird, hat etwas von Familienkonferenz. Paris und Berlin sind erbost, ja verbittert, weil die (jungen?) Wilden die Großtat eines Aufbau-Fonds mit rund 500 Milliarden Euro nicht würdigen. Das deutsch-französische Gespann hatte sich nach etlichen Differenzen vor allem um Macrons europapolitische Zukunftsentwürfe entzweit. Doch in der Krise fand es mehr als zusammen. Bei diesem EU-Gipfel traten sie entweder gemeinsam auf oder arbeiteten einander zu. Doch sie konnten nicht verhindern, dass sich andere in den Vordergrund spielten.

    Da war natürlich Viktor Orbán, der ungarische Premier, der sobald die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit auch nur anklang, in den Kampfmodus wechselte. Der es sich sogar leistete, seine Gegner auf den Arm zu nehmen, als er sagte: „Wer die Rechtsstaatlichkeit nicht akzeptiert, sollte die EU verlassen.“ Das war weder lustig noch bissig, sondern schlicht unverschämt. Eine Reaktion Merkels oder Macrons ist nicht überliefert. Wohl aber die mehr oder minder offenen Konfrontationen mit dem eigentlichen Buhmann dieses Gipfels: Mark Rutte.

    Rutte ist getrieben von aufstrebenden Rechtspopulisten

    Der niederländische Premier dozierte – unterstützt von seinem Sekundanten, dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz – in aller Offenheit darüber, dass „Deutschland und Frankreich nicht einen Vorschlag vorlegen und dann erwarten können, dass alle anderen nur noch zustimmen“. Rutte steht im Wahlkampf. Er muss seine bürgerliche Koalition im nächsten Frühjahr gegen die immer wieder erstarkenden Rechtspopulisten verteidigen. Der Versuch, das EU-Abkommen über engere Beziehungen mit der Ukraine zu ratifizieren, scheiterte zwei Mal. Rutte ist in seinem Land beliebt, die EU nicht.

    Die Niederländer mögen die hemdsärmelige Art ihre Premiers. Als Rutte mitten in der Coronavirus-Krise einen Supermarkt besuchte und von einer Kundin auf die Versorgungsengpässe bei Toilettenpapier angesprochen wurde, antwortete der Regierungschef vor laufenden Kameras: „Es gibt so viel Vorrat, dass wir zehn Jahre kacken können.“ Den Kontakt mit der Außenwelt hält er mit einem Uralt-Nokia-Handy. Er habe, so bestätigte er einmal, nie gelernt, „schnell auf einem iPhone zu tippen“.

    Doch innerhalb der Staats- und Regierungschefs stößt seine Art andere schon mal vor den Kopf. So beim ersten Haushaltsgipfel der Union im Februar. „Ich weiß nicht, was ich bei diesem EU-Gipfel diskutieren soll, und habe mir die neue Chopin-Biografie mitgenommen“, sagte er damals schmunzelnd den wartenden Journalisten. Denn ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts seines Landes werde er „sicher nicht“ nach Brüssel überweisen.

    Angela Merkel war ob dieses Auftritts – britisch gesagt – „not amused“. Der studierte Historiker Rutte, der bekennender Single ist und das Radfahren ebenso liebt wie seinen alten Saab, blockierte am Freitag erst mal den Aufbau-Fonds und die vorgesehenen 500 Milliarden Euro, die in seinen Augen quasi verschenkt werden sollten. Gemeinsam mit den Regierungschefs aus Dänemark, Schweden und Österreich (später kam auch noch Finnland dazu), handelte er Merkel und Macron – sowie EU-Ratspräident Charles Michel, aber der spielt nur eine kleine Rolle – auf 400 Milliarden an Zuschüssen herunter. Dann am Montagmorgen betonte Rutte, mehr als 350 Milliarden werde man nicht akzeptieren.

    Wird Merkel zu Europas Integrationsfigur?

    Tapfer sprach Merkel, als sie am Montagmittag zurück aus Berlin wieder in Brüssel zum Showdown gelandet war, von einem „Rahmen für eine mögliche Einigung“, der „ein Fortschritt“ sei und „Hoffnung gibt.“ Um dann trotzig hinzufügen: „Ich bin sehr froh, dass wir – der französische Präsident und ich – im Mai den Vorstoß für ein wirklich substanzielles Programm gemacht haben.“ Zwar seien die Verhandlungen weiter hart, aber „außergewöhnliche Situationen erfordern eben auch außergewöhnliche Anstrengungen“. Wenig später klang der französische Präsident nur unwesentlich anders. Merkel und Macron, das wurde klar, brauchen einander in Europa dringender denn je, weil ihr Wort nicht mehr unwidersprochen bleibt.

    Die EU verändert sich. „Man hat manchmal den Eindruck, dass die Europäische Union sich in vier Teile aufteilt, den Norden, den Süden, den Osten, den Westen“, analysiert der luxemburgische Außenamtschef Jean Asselborn. „Und man weiß nicht mehr genau, was in der Mitte das Ding zusammenhält“. Asselborn kritisiert offen den politischen „Kleinkrämergeist“ vieler Regierungschefs, die vor allem das eigene Interesse im Auge haben.

    Zumindest dieser Vorwurf trifft auf Merkel und Macron kaum zu. Der französische Präsident gilt seit jeher als Anwalt des Südens, vor allem Italiens und Spaniens. Merkel wird Nähe zu den Ost-Ländern nachgesagt. Beiden könnten sich eine gewichtige Achse innerhalb der EU aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen vorstellen, heißt es. Wenn auch nicht unter Polens heutiger Regierung.

    Ein Durchbruch beim Gipfel gilt dennoch als Signal Europas, dass man solidarisch zueinandersteht, auch wenn die „Geizigen Fünf“ mit dem Ruf der Bremser leben müssen. Macron, so wird kolportiert, werde weiter den europäischen Vordenker geben und eigne sich nicht als Integrationsfigur für die kommenden Monate. Bleibt also nur Merkel. Doch mit ihrer Wandlung von der eisernen Spar-Kanzlerin zur großzügigen Europäerin kommen nicht alle klar. Zumal bisher niemand weiß, wer der Regierungschefin in Berlin nachfolgen und welchen Kurs die Bundesrepublik in Europa dann einschlagen wird.

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