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Foto: Jesco Denzel, dpa
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Die Staatsspitze und Angehörige von Corona-Toten trauern im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt um die in der Pandemie Verstorbenen.

Corona-Gedenken
18.04.2021

Deutschland gedenkt der einsamen Toten der Corona-Pandemie

Von Christian Grimm

Die Spitze des Staates nimmt feierlich Abschied von den Menschen, die das Coronavirus nicht überlebt haben. Fünf Schicksale stehen für ein ganzes Land.

Es ist einer der letzten Sätze, die Anita Schedel von ihrem Mann hört. "Ich werde jetzt ins künstliche Koma versetzt und beatmet", spricht er in das Telefon. Hannes Schedel sollte nicht wieder aufwachen. Der Passauer starb vor fast genau einem Jahr nach einer Corona-Infektion. Er wurde 59 Jahre alt. Schedel war Medizinprofessor und leitete eine der größten onkologischen Rehakliniken Bayerns. Er arbeitete dafür, dass Menschen dem Tod entrinnen können. Er selbst schaffte es nicht.

Und so berichtet seine Frau zwölf Monate später im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt über die letzten Tages ihres Hannes. Der Saal trägt Trauer an diesem Sonntag. Scheinwerfer erleuchten helle Flecken auf einer Kreisbahn, wo die Angehörigen von fünf Verstorbenen Platz genommen haben neben den höchsten Repräsentanten des Staates.

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Es erklingt Johannes Brahms, das Deutsche Requiem. Warten, beten, hoffen und bangen. Diese Worte fallen immer wieder. Bei Anita Schedel, und auch bei den Angehörigen von vier anderen Verstorbenen. Warten – auf die Anrufe der Ärzte, denn die mit dem Tode Ringenden dürfen nicht besucht werden. Infektionsgefahr.

Ein letztes Mal die Hand drücken, als es schon zu spät ist

Erst als es schon zu spät ist und die Ärzte nichts mehr machen können, darf Anita Schedel noch einmal zu ihrem Mann. "Ich konnte nur noch eine Hand drücken", erzählt die Witwe. Die elegante Frau erzählt es stellvertretend für die Angehörigen von 80.000 Toten. Sie sind durch das Virus gestorben oder mit dem Virus, das ihre Körper derart schwächte, weshalb andere Krankheiten leichtes Spiel hatten. Wie viele Ehefrauen, Ehemänner, Töchter, Söhne, Brüder und Schwestern haben letzte Worte ihrer Liebsten gehört, die durch die Telefonleitungen gekrochen kamen? Keiner weiß es genau, keiner hat es gezählt.

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Foto: Jesco Denzel, dpa
Foto: Jesco Denzel, dpa

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zuletzt dazu aufgerufen, ein Licht ins Fenster zu stellen, um der Corona-Toten zu gedenken.

Dabei starrt Deutschland seit über einem Jahr auf Zahlen. Ansteckungen, Inzidenzen, R-Wert – und die Zahl der Verstorbenen. Der Tod bleibt dennoch anonym, die Schicksale bleiben blass. Trauerfeiern in der Pandemie sind kleine Häufchen weniger Gebeugter. Gestorben wird immer, das ist banal, aber viele der Opfer des Virus hätten noch viele Jahre vor sich gehabt. So wie die Tochter von Michaela Mengel, die mit 23 Jahren an dem Erreger gestorben ist.

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Die vom Schmerz gezeichnete Mutter und der Bundespräsident nehmen jeder eine brennende Kerze auf und bringen sie in die Mitte des Saals. Dann verharren sie einen Moment davor. Die Mutter erinnert sich an ihr Kind, das nicht mehr ist, und der Bundespräsident erfühlt ihren Schmerz. So macht es auch die Kanzlerin mit der Tochter eines Gastarbeiters aus der Türkei. Und die drei anderen Chefs der Staatsorgane ebenfalls.

Die geteilte Anteilnahme soll die gespaltene Gesellschaft heilen

"Wir denken an alle, die im Moment ihres Todes keine vertraute Stimme hören, kein vertrautes Gesicht sehen konnten", hatte Frank-Walter Steinmeier in seiner Ansprache gesagt. "Das zu wissen, zerreißt uns das Herz." Es war Steinmeiers Vorstoß, die Toten zu ehren. Es soll helfen, die Wunden der Pandemie zu lindern. Und diese ist noch nicht vorbei. Die dritte Welle hat sich aufgebaut und die Nation liegt im Streit. Das Impfen macht Hoffnung, aber sie ist noch nicht in den Herzen angekommen. "Ich übersehe nicht: Neben der Trauer gibt es bei manchen auch Verbitterung und Wut", sagt Steinmeier.

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Foto: Bodo Schackow, dpa
Foto: Bodo Schackow, dpa

Ein einsamer Tod: Die Familien von schwer erkrankten Corona-Patienten durften sich wegen der Ansteckungsgefahr häufig nicht persönlich verabschieden.

Der Präsident versuchte, für einen Moment den bitteren Streit durch gemeinsam geteilte Trauer und Anteilnahme zu überdecken. Es sind ja nicht nur die Corona-Toten allein, sondern auch die, die den Kampf gegen den Krebs einsam in einem Krankenhausbett verloren haben. Finja Winkels Vater konnte die Leukämie nicht besiegen. Die junge Frau aus Oldenburg spricht im Konzerthaus von ihrem Papa, der immer sagte, er sie wie eine Katze und habe sieben Leben. Der 53-Jährige starb im Hamburger Universitätsklinikum, weit weg von seinem Bauernhof. Niemand durfte zu ihm. "Wir fühlen uns, als hätten wir ihm Stich gelassen. So ein Ende hat er definitiv nicht verdient."

 

Mit dem Beginn der neuen Woche wird der Streit um die Corona-Politik den Moment der Stille zerreißen. Der Erreger ist noch lange nicht besiegt, die Intensivstationen sind wieder voll. "Tod und Sterben sind uns näher gerückt als zuvor", hatte der katholische Bischof Georg Bätzing vor dem Festakt in einem ökumenischen Gottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche gesagt. Er wird recht behalten.

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