Das Gutachten aus Luxemburg wiegt schwer. Drei polnische Richter hatten vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg geklagt, weil sie nach Kritik am Justizsystem ihres Landes degradiert worden waren bzw. sich einem Disziplinarverfahren gegenübersahen. Generalanwalt Evgeni Tanchev legte nun sein Gutachten dem Gericht vor.
Wie der Machtkampf in Polen die Corona-Hilfen der EU verhindern könnte
Der Tenor ist deutlich: Da wird von „gezielten Eingriffen des Staates in die Richterernennung“ und von „Bedrohung der Unabhängigkeit der Justiz“ gesprochen. Beobachter sprechen von einer vernichtenden Stellungnahme. Meist werden solche Gutachten von den Richtern des EuGH übernommen. Aber dieses Mal geht es um mehr.
Denn in Polen ringen die Parteien der nationalkonservativen Regierungskoalition um die Frage, ob sie die Corona-Hilfen aus dem mit 750 Milliarden Euro gut gefüllten EU-Aufbaufonds annehmen sollen. Warschau könnte mit 28 Milliarden als Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss, rechnen plus 34 Milliarden an Darlehen. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von 520 Milliarden wären dies zwölf Prozent der Jahreswirtschaftsleistung.
Regierungskrach in Polen
Während Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von der PiS-Partei das Geld braucht und den Aufbaufonds im Parlament ratifizieren lassen will, wehrt sich der Chef der kleineren Solidarna Polska, Zbigniew Ziobro, dagegen. Er gehört dem Kabinett als Justizminister an und steht somit im Mittelpunkt der Vorwürfe aus Brüssel wegen eklatanter Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit. Die EU-Kommission hat bereits gegen Polen (und Ungarn) Strafverfahren wegen der Demontage der unabhängigen Gerichtsbarkeit eröffnet.
Was der Generalanwalt des EuGH nun präsentierte, liest sich wie eine Bestätigung dieser Kritik – und dürfte Ziobro bestärken, den Aufbaufonds zu bekämpfen, um strengere Regeln für die Rückkehr zu den demokratischen und rechtsstaatlichen Grundwerten zu verhindern. Denn er weiß, dass der von den Mitgliedstaaten verabschiedete Rechtsstaatsmechanismus seiner Politik gefährlich werden könnte, sobald der Gerichtshof Klagen gegen das neue Instrument abgewiesen hat.
Alle Parteien in Brüssel wollen härter gegen Justizbeeinflussung in Polen vorgehen
Es gibt kaum Zweifel, dass dies bald geschehen dürfte. In Brüssel warten die anderen Parteien nur darauf, endlich schärfer gegen Warschau vorgehen zu können. „Wir fordern die Kommission auf, weitere notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit in Polen durch die PiS-geführte Regierung zu verhindern“, kommentierte der Christdemokrat Vladimir Bilcik das EuGH-Gutachten. Es geht aber nicht mehr nur um Polen: Sollte das Parlament den Fonds ablehnen, würde dies auch die übrigen 26 EU-Mitgliedstaaten treffen. Denn das Paket aus Darlehen und Zuschüssen muss einstimmig von allen Ländern ratifiziert werden. Würde sich Ziobro durchsetzen, wäre die frisch eingerichtete Notkasse zum Wiederaufbau nach der Coronavirus-Krise geplatzt – in ganz Europa.
Das Risiko ist nicht nur theoretisch. Denn im polnischen Parlament haben sich weitere Oppositionsparteien gegen die PiS zusammengetan. Nach den ersten Plänen der Regierung warnten sie davor, dass Gelder am Ende vor allem PiS-Unternehmen zugute kommen würden. Der Vorwurf eines „Wahlkampfbudgets zugunsten der PiS“ steht im Raum. Das bringt die starke Regierungspartei in eine Zwickmühle, weil sie, um die EU-Milliarden trotz des Widerstands durch Ziobro zu bekommen, ihre Projektliste umarbeiten müsste.
Kommentar: Der polnische Streit um den Corona-Fonds schadet der ganzen EU
Lesen Sie auch:
- Polen will Olympia-Teilnehmer und Fußballer bevorzugt impfen
- Abschied vom Abzug: USA stocken Truppen in Deutschland auf
- Polens Führung gedenkt der Opfer des Smolensk-Absturzes