Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Corona-Demos: Die Erleuchteten: Wie Corona-Leugner Religion instrumentalisieren

Corona-Demos

Die Erleuchteten: Wie Corona-Leugner Religion instrumentalisieren

    • |
    Eine junge Frau stellt sich am vergangenen Mittwoch bei Protesten gegen das neue Infektionsschutzgesetz vor dem Brandenburger Tor in Berlin Polizisten entgegen – mit einem Kruzifix.
    Eine junge Frau stellt sich am vergangenen Mittwoch bei Protesten gegen das neue Infektionsschutzgesetz vor dem Brandenburger Tor in Berlin Polizisten entgegen – mit einem Kruzifix. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Matthias Pöhlmann ist besorgt. Über die zunehmende Radikalisierung, die er auf Corona-Demos beobachtet. Und über die nicht nur aus seiner Sicht immer perfidere Art, wie Teilnehmer christliche Werte und Religion instrumentalisieren. „Es ist nicht auszuschließen, dass nun auch versucht wird, Weihnachten für Protestaktionen zu nutzen – wie das ja bereits am Martinstag mit ,Lichterumzügen’ geschehen ist“, sagt der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

    Sektenbeauftragter fürchtet Aktionen von Corona-Leugnern zu Weihnachten

    Christen, die auf Corona-Demos offenbar einträchtig an der Seite von Verschwörungsideologen, rechten Esoterikern oder Rechtsextremen gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise protestieren – wie passt das mit der Frohen Botschaft der Nächstenliebe zusammen?

    Die Beispiele häufen sich, bundesweit und seit Monaten: Da wird eine von der „Querdenken“-Bewegung veranstaltete Corona-Demo auf der Theresienwiese in München am 1. November zu einem „Gottesdienst“ umfunktioniert, um eine Beschränkung bei der Zahl der Teilnehmer zu umgehen; da stellt sich eine Frau am vergangenen Mittwoch, 18. November, in Berlin bei Protesten gegen das neue Infektionsschutzgesetz Polizisten mit einem Kruzifix entgegen; da betet Bodo Schiffmann Ende August in Berlin mit Demonstranten, die er als seine Brüder und Schwestern bezeichnet, das Apostolische Glaubensbekenntnis. Zuvor sagt er, die zweite Pandemie-Welle sei eine Lüge und er ein „tief gläubiger Christ“.

    Der Sektenbeauftragte Matthias Pöhlmann beobachtet mit Sorge, wie auf Corona-Demos Religion instrumentalisiert wird.
    Der Sektenbeauftragte Matthias Pöhlmann beobachtet mit Sorge, wie auf Corona-Demos Religion instrumentalisiert wird. Foto: Michael McKee, ELKB, dpa

    "Querdenker"-Star Bodo Schiffmann betet das Glaubensbekenntnis

    Schiffmann, ein auf Schwindelerkrankungen spezialisierter Arzt aus dem baden-württembergischen Sinsheim, ist zu einem Star der selbst ernannten Querdenker geworden. Wochenlang reiste er durchs Land. Am 16. November machte er mit dem Youtuber und Corona-Leugner Samuel Eckert im Rahmen ihrer „Corona Info-Tour“ Halt in Kempten. Nach Schätzungen der Polizei kamen 800 Menschen, genehmigt war eine Demo mit 350 Teilnehmern.

    Auf Schiffmann beruft sich auch „Freiheitsboten“, ein nach eigenen Angaben Dortmunder Verein in Gründung, der bereits zwei Flyer mit den Titeln „Einsame Weihnachten“ in Umlauf gebracht hat, offenbar in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Einer erweckt den Eindruck, er sei ein ökumenisches Druckwerk – befinden sich auf ihm jeweils ein Zitat zur Pandemie-Lage vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, und von Peter Neher, Präsident des katholischen Deutschen Caritasverbandes.

    Schiffmanns Tourbegleiter Eckert wiederum ist „seit wenigen Jahren Mitglied einer örtlichen Kirchengemeinde der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Baden-Württemberg, war aber nie Angestellter der Freikirche, noch ist er als Beauftragter in ihrem Namen unterwegs“, erklärte die evangelische Freikirche Ende September. Sie distanzierte sich von Eckert sowie „mit aller Entschiedenheit von Auffassungen, welche die Gefahren einer Ansteckung mit dem Corona-Virus leugnen“. Mehr noch: Die regionale Kirchenleitung in Baden-Württemberg sprach ein Auftrittsverbot für ihn in Kirchengemeinden auf ihrem Gebiet aus.

    Schiffmanns Begleiter ist Adventist - und zitiert bei Corona-Demos aus der Bibel

    Eckert, der als Adventist die Bibel wörtlich nimmt, zitiert bei einem gemeinsamen Auftritt mit Schiffmann am 19. November im unterfränkischen Schweinfurt ausführlich aus ihr. In Anspielung auf die geltenden Kontaktbeschränkungen sagt er: Es sei nicht Nächstenliebe, wenn man sich von seinem Mitmenschen distanziere, weil man glaube, er sei eine Gefahr. „Die Nächstenliebe würde sich lieber selber opfern, dafür, dass man dem anderen hilft, und wenn man dabei drauf geht“. Eckert empfindet einen Mund-Nase-Schutz als Unterdrückung. Zum Abschluss der Veranstaltung in Schweinfurt betet er: „Herr, lass uns deine Zeugen sein, deine Zeugen für Nächstenliebe, deine Zeugen für Freiheit, deine Zeugen für Friede, auf dass diejenigen, die zur Erleuchtung kommen möchten, zur Erleuchtung kommen können“.

    Der Sektenbeauftragte Matthias Pöhlmann erklärt, dass sich derartige Aktivisten „für Vertreter des Lichts, für Aufgewachte“ hielten. „Sie begreifen sich als Lichtträger, die die unaufgeklärte Masse aufklären müssen.“ Es besorge ihn, welchen weltanschaulichen Hintergrund Initiatoren und Sprecher der „Querdenken“-Bewegung hätten und mit wem sie sich vernetzten.

    Sektengründer Sasek ruft zur Vernetzung auf und spricht über die "wahren Drahtzieher"

    Es sind Menschen, die zum reichsbürgerideologischen Spektrum genauso zählen wie zur Neuen Rechten. Corona-Kritik wird damit zum Einfallstor für Verschwörungsideologen, Antisemiten oder Rechtsextreme. Zumal, wenn entsprechende Inhalte im Internet, in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten wie Telegram tausendfach geteilt werden.

    Beispiel kla.tv: Das Internetportal, das Verschwörungsideologien verbreitet, ist einer der Medien-Kanäle der Sekte Organische Christus-Generation (OCG). Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung gegen Antisemitismus, bescheinigte der OCG und kla.tv eine „rechtsextreme Grundposition“. Die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelt derzeit gegen den Schweizer Sektengründer Ivo Sasek wegen des Verdachts der Volksverhetzung.

    Hooton, Chemtrails, 9/11: Wilde Verschwörungstheorien

    Hooton-Plan, Chemtrails, 9/11: Manche Verschwörungstheorien halten sich hartnäckig - und werden ebenso hartnäckig von ihren Anhängern geglaubt und vertreten. Die Klassiker:

    Roswell: 21 Prozent der Amerikaner sind sich sicher: 1947 stürzte ein Ufo in der Wüste der Vereinigten Staaten ab. Die Regierung versteckt seitdem Ufo und Aliens vor der Weltöffentlichkeit auf dem Militärareal „Area 51“.

    Chemtrails: Anhänger der Chemtrails-Theorie halten die Kondensstreifen von Flugzeugen für ausgebrachte Chemikalien. Mit diesen Stoffen solle angeblich das Wetter beeinflusst werden - oder gar das Bevölkerungswachstum.

    Hooton-Plan: Vor allem rechte Kreise halten den massenhaften Flüchtlings-Zuzug nach Deutschland für gesteuert - von den USA aus. Damit werde der Plan von Earnest Hooton umgesetzt. Der amerikanische Paläoanthropologe hatte 1943 vorgeschlagen, eine möglichst große nicht-deutsche Bevölkerung in Deutschland anzusiedeln, um „den deutschen Nationalismus zu zerstören“.

    9/11: Die Attentate von New York am 11. September 2001 belebten das Geschäft mit Verschwörungstheorien. Millionen Menschen auf der ganzen Welt glauben, dass die US-Regierung selbst für die grausamen Anschläge an diesem Tag verantwortlich ist.

    Barschel: In Deutschland löste der Tod von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Barschel Diskussionen aus. Viele vermuten den Bundesnachrichtendienst oder Agenten der DDR hinter dem in Teilen noch ungeklärten Todesfall von 1987.

    Mondlandung: Die hat es nie gegeben, sind sich Verschwörungsfans einig. Zwei ihrer Argumente: Scheinbar flatternde Fahnen auf dem (Wind-losen) Mond, und merkwürdige Schatten hinter den Astronauten - die natürlich von Studio-Scheinwerfern stammen.

    Lady Di: Dianas Autounfall in Paris war angeblich gar kein Unfall. Verschwörungstheoretikern ist klar: Es war ein Attentat des britischen Geheimdienstes, weil Lady Di zu beliebt war - und dem Königshaus ein Dorn im Auge.

    Im Frühjahr war bekannt geworden, dass Sektenmitglieder tausende Daten, darunter die von Spitzenpolitikern wie Bundesverteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, zusammengetragen haben. Die Ermittlungen sind nach Informationen unserer Redaktion noch nicht abgeschlossen.

    In einem Beitrag vom 21. November auf kla.tv, in dem es um das neue Infektionsschutzgesetz geht, wendet sich Sasek direkt an Zuschauer, die an Corona-Demos teilnehmen. Er ruft sie auf, sich „deutlich von eingeschlichenen Maulwürfen“ zu distanzieren. „Wenn sie randalieren, verurteilt das.“ Es ist eine allenfalls auf den ersten Blick mäßigend wirkende Botschaft. Sasek halte sich wegen des laufenden Vorermittlungsverfahrens momentan etwas zurück, sagt der Sektenbeauftragte Pöhlmann. „Gleichwohl versucht er, seine Rolle in der Szene der Verschwörungserzähler zu stabilisieren.“ Und er versuche, anschlussfähig an die „Querdenken“-Bewegung zu bleiben.

    Ein Ziel der Sekte OCG sei es, eine Atmosphäre der Verunsicherung zu schaffen

    Pöhlmanns Wahrnehmung zufolge hat sich die OCG „in den vergangenen Monaten zunehmend radikalisiert“. „Die OCG begreift sich als erleuchtete Elite und stellt die Außenwelt als gefährlich dar. Ihr geht es darum, die vermeintlichen Drahtzieher eines bösen Weltgeschehens zu entlarven und letztendlich auch zu richten“, sagt er. Die Bösen, das seien Politiker, Pharmaunternehmen, die sogenannten Mainstreammedien und alle Kritiker der OCG. Eines ihrer Ziele sei es, eine Atmosphäre der Verunsicherung zu schaffen.

    Sasek sagt in dem kla.tv-Beitrag Sätze wie: „Alle Millionen da draußen, die ihr aufgewacht seid und die wahren Drahtzieher und Gefahren erkannt habt, hört nicht auf, Licht zu sein. Geht hin und klärt auf, was das Zeug hält.“ Jeder solle „zwei bis drei Neue“ hinzugewinnen. Für den Fall, dass „das Internet noch gänzlich gesperrt wird“, sollten sich seine Zuschauer physisch vernetzen. Es solle ein „Informationsnetz“ entstehen.

    Ein Mann öffnet ein Handbuch der Sekte „Organische Christus-Generation“, kurz OCG. In „Erziehe mit Vision!“ beschreibt Gründer Ivo Sasek die von ihm propagierte Kindererziehung.
    Ein Mann öffnet ein Handbuch der Sekte „Organische Christus-Generation“, kurz OCG. In „Erziehe mit Vision!“ beschreibt Gründer Ivo Sasek die von ihm propagierte Kindererziehung. Foto: Arne Immanuel Bänsch, dpa

    Schließlich sagt Sasek: „Bevor die Weltbevölkerung also nicht in ihrer absoluten Mehrheit deutlich sehen kann, welche Gestalten und Angreifer da am Werk sind, wer auch die Herren ganz zu oberst sind, die auch die Wissenschaft, die Raumfahrt, die Bildung, unsere obersten Politiker, vor allem unsere Mainstreammedien fest im Griff haben, ist jede frühzeitige Aktion zum Scheitern verurteilt.“ Welche Aktion er meint, lässt er offen. Politiker haben bereits vor Monaten eine Beobachtung der OCG durch den Verfassungsschutz gefordert.

    Es handelt sich offenbar um "eine kleine, aber sehr lautstarke Minderheit"

    Wie viele Christen, christliche Traditionalisten, Fundamentalisten oder etwa Sektenmitglieder es gibt, die zur Bewegung der Corona-Kritiker zählen und Glaubensinhalte bewusst instrumentalisieren, können Experten nicht sagen. Übereinstimmend mit anderen Fachleuten erklärt Pöhlmann: „Es handelt sich um eine kleine, aber sehr lautstarke Minderheit, die die Religion für ihre Zwecke missbraucht. Das halte ich für gefährlich.“ Denn dadurch würden Menschen noch manipulierbarer. Es würden in vielen Fällen Menschen angesprochen, die ein starkes Misstrauen hegten, einem Schwarz-Weiß-Denken unterlägen, die Welt als bedrohlich empfänden oder sich im Kampf gegen böse Mächte wähnten. Diese suchten einfache Antworten und Sinnstiftung.

    Matthias Pöhlmann spricht von einer örtlich sehr unterschiedlichen „bunten Misstrauensgemeinschaft“, die auf Corona-Demonstrationen zusammenkomme. Die Teilnehmer verbinde häufig auch ein Verschwörungsglaube, der für viele schon ersatzreligiöse Dimensionen habe. Es passe aber überhaupt nicht mit der christlichen Botschaft zusammen, so der Sektenbeauftragte, „wenn Misstrauen und Hass Ausgangspunkt sind für irgendwelche Erwartungen. Nächstenliebe und eine Kultur der Empathie sucht man hier vergebens“.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden