Wo am Samstagabend noch wütende Demonstranten gegen Polizisten anstürmten, herrschte zum Wochenstart die normale Ruhe: Vor dem Reichstagsgebäude deutete am Montag nichts mehr darauf hin, dass hier zwei Tage zuvor ein paar Dutzend Menschen versucht hatten, Absperrungen und eine Polizeikette zu durchbrechen. Lediglich ein paar Kamerateams nutzten bei strahlendem Sonnenschein die Kulisse des Parlamentsgebäudes für ihre Berichterstattung. In heller Aufregung war war hingegen das politische Berlin.
Corona-Demo in Berlin: AfD versucht, vom Protest zu profitieren
Regierungssprecher Steffen Seibert verurteilte im Namen von Kanzlerin Angela Merkel und der gesamten Regierung den Missbrauch der Demonstrationsfreiheit. „Das Ergebnis waren schändliche Bilder am Reichstag, die so nicht hinzunehmen sind“, sagte er. Ein solches Verhalten entlarve sich selbst, genau wie „viele der Sprüche, der Fahnen, der Plakate, die da am Wochenende zu sehen waren“, legte Seibert nach. Aus Bayern meldete sich Ministerpräsident Markus Söder. „Das, was vor dem Reichstag geschehen ist, ist schon eine Zäsur, auf die man auch reagieren muss“, sagte der CSU-Chef und verlangte im gleichen Atemzug ein besseres Sicherheitskonzept für den Parlamentssitz.
Über diese Forderung hinaus fehlen in Bund und Ländern bisher allerdings Antworten, wie der frappierenden Allianz aus Gegnern der Corona-Politik, Rechtsextremen, Verschwörungstheoretikern, selbst erklärten Querdenkern, Impfgegnern und Esoterikern begegnet werden soll. Der ganz überwiegende Teil demonstrierte friedlich – wenn auch ohne Maske – für ein Ende der Corona-Beschränkungen. Die Gefahr liegt in der Radikalisierung Einzelner, die in dieser Mischung einen guten Nährboden finden kann, wovor zum Beispiel der Extremismusforscher Hans-Gerd Jaschke warnte.
Die Parteien im Bundestag sind erst dabei, das neue Phänomen einzuordnen. Die Ausnahme ist die AfD, die versucht, von dem Protest zu profitieren. Zahlreich vertreten waren ihre Abgeordneten am Wochenende auf den Straßen zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule.
Politik und Polizei diskutieren über Vorgehen bei Corona-Demo in Berlin
Bei der Demonstration gegen die Corona-Politik hatten zwischen 300 und 400 Reichsbürger und Rechtsextreme eine Polizeiabsperrung vor dem Reichstagsgebäude genommen. Schreiend und jubelnd nahmen sie die Treppen in Beschlag. Die Polizei hatte zwar in der Mitte der Hauptstadt 3000 Polizisten aufgeboten, um bei dem Demonstrationszug mit beinahe 40.000 Menschen die Ordnung aufrechtzuerhalten, aber im entscheidenden Moment am Samstagabend war das Parlament nur schwach geschützt.
Die politische Verantwortung für die aufwühlenden Szenen landete schließlich bei Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und seiner Polizeipräsidentin Barbara Slowik. Beide wurden am Montag vor den Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zitiert. Geisel mühte sich zerknirscht, den Schaden kleinzureden. Berlin sei als Bühne missbraucht worden. Nach einigen Minuten habe die Polizei wieder alles unter Kontrolle gehabt. „Es ist beschämend, dass es solche Bilder gab“, räumt der SPD-Politiker schließlich ein.
Ältestenrat des Bundestags soll klären, ob es Fehler der Polizei bei Corona-Demo gab
Die Polizeipräsidentin erklärte den Abgeordneten, wie die Schwachstelle im Schutzring um den Reichstag entstanden sei. Gegen 19 Uhr hätten ihre Beamten versucht, den Zustrom von der großen Demonstration zur Reichstagswiese zu verhindern. Dadurch hätten viele Polizisten seitlich zwischen Reichstag und Tiergarten gestanden. Gleichzeitig habe eine unbekannt gebliebene Sprecherin auf der Bühne der Reichsbürger-Demonstration direkt vor dem Reichstag dazu aufgerufen, „geschlossen die Reichstagstreppe zu stürmen“. Somit habe die Polizei „von zwei Seiten einen erheblichen Druck auf die Absperrlinie“ gehabt.
Hinter der Rolle der Bundestagspolizei stand zunächst noch ein großes Fragezeichen. Denn das Parlament verfügt über eine eigene Polizeieinheit, die den Angaben zufolge rund 200 Männer und Frauen stark ist und der Deutsche Bundestag ist ein eigener Polizeibezirk, in dem der Bundestagspräsident das Hausrecht und die Polizeigewalt ausübt. Die Beamten sind für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in allen Gebäuden, Räumen auf allen Grundstücken verantwortlich, die der Verwaltung des Bundestages unterstehen. Zur Klärung wollen die Fraktionen von SPD und Union den Ältestenrat zu einer Sondersitzung zusammentrommeln.
Lesen Sie dazu den Hintergrund: Die Corona-Demo, die Eskalation und der Angriff aufs Herz der Demokratie
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