Auf zwei Entwicklungen dürften die CDU-Strategen fast täglich mit Sorge blicken. Da sind die Umfragen, die der Union vier Monate vor der Bundestagswahl eine Zitterpartie vorhersagen. Am Wochenende meldete das Meinungsforschungsinstitut Emnid, dass die Grünen mit 25 Prozent vor der Union mit 24 Prozent liegen.
Beim Umfrageinstitut INSA sind die Zahlen genau umgekehrt. Doch auch hier verbesserten sich die Grünen um einen halben Prozentpunkt. Die andere Zitterpartie für das Team um CDU-Chef Armin Laschet ist der Blick auf die Meldungen aus München: Stichelt die CSU wieder gegen die Schwesterpartei im Wahlkampf?
CSU will Markus Söder im Bundestagswahlkampf plakatieren
Am Wochenende konnten die Christdemokraten im Spiegel lesen, dass CSU-Chef Markus Söder im Bundestagswahlkampf sich selbst plakatieren will: Das „Zugpferd“, das „meine Person“ gewesen wäre, falle leider aus, zitiert das Magazin den Ministerpräsidenten aus internen CSU-Sitzungen. „Wir sind keine Filiale der CDU“, soll Söder gesagt haben. „Wir sind nicht gegen jemand. Aber wir sind für Bayern und für uns.“ Auch offen hält sich Söder wenig zurück.
Vergangene Woche bekam Friedrich Merz den Spott des CSU-Chefs ab. Der Sauerländer hatte der Schwesterpartei als Retourkutsche auf deren Sticheleien gegen Laschets Umfragewerte als Maßgabe ein Ergebnis von mehr als 40 Prozent für die CSU in Bayern bei der Bundestagswahl vorgegeben. „Ich bin total dankbar, dass Friedrich Merz uns Hilfestellung gib“, konterte Söder mit erkennbar ironischem Unterton. Die Erfahrung, „die Friedrich Merz aus den Neunzigerjahren als aktiver Politiker hat, hilft uns bestimmt“, fügte er spöttisch hinzu. Gleichzeitig erhöhte CSU-Generalsekretär Markus Blume, der Söder nach wie vor als „Kandidat der Herzen“ preist, den Druck auf die CDU: „Armin Laschet ist nun verantwortlich, die Umfragen zu drehen“, sagte er jüngst unserer Redaktion.
Die CSU sieht sich als letzte große Volkspartei Europas
Schon seit Söders überraschender Ankündigung einer Bereitschaft zur Kanzlerkandidatur bei der Klausur der Unionsfraktion vor sechs Wochen fragen sich nicht nur in der CDU viele, was in die CSU gefahren ist. Gilt doch sogenannte „Geschlossenheit“ als Erfolgsrezept und Streit als Gift im Wahlkampf.
Als Söder überraschend offen in das Rennen gegen Laschet um die Kanzlerkandidatur einstieg, bewerteten viele die Situation aus dem Moment heraus und unterstellten dem CSU-Vorsitzenden, vor allem von persönlichem Ehrgeiz getrieben zu sein. Löst man sich aber von der Tagesaktualität und reiht die Ereignisse des Aprils in einen größeren Kontext ein, wird deutlich, dass es der CSU um mehr geht. Um sehr viel mehr: um ihr existenzielles Selbstverständnis und ihre langfristige Zukunft.
Die CSU sieht sich seit Jahrzehnten in guten und besonders in schlechten Zeiten als die letzte große Volkspartei – nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas. Diesem Nimbus, der das Fundament ihrer Macht in Bayern ist, ordnet die eigenständige Partei fast alles unter. Auch wenn dies auf Kosten ihrer eigenen Geschlossenheit zu schmerzhaften Machtkämpfen führt.
Nach dem Amigoskandal modernisierte die CSU den Standort Bayern
So leistete sich die CSU auch in ihrer bisher größten Krise, dem „Amigoskandal“ Anfang der Neunzigerjahre, harte interne Kämpfe. Die Partei zwang nicht nur ihren damaligen Ministerpräsidenten Max Streibl zum Rücktritt, der den Skandal um private Verstrickungen mit Wirtschaftsunternehmen, mit seinem selbstherrlichen Ausspruch „Saludos Amigos“ nicht wegschieben konnte und die Umfragezahlen in damals ungeahnte Tiefen unter 40 Prozent drückte.
In einem taktisch raffiniert eingefädelten Machtkampf setzte sich anschließend Edmund Stoiber trotz eigener Eingeständnisse in der Amigoaffäre gegen den damaligen CSU-Vorsitzenden und in Bonn amtierenden Finanzminister Theo Waigel als neuer Ministerpräsident durch. Stoiber setzte seinen Kontrahenten mit einer kurzfristig angesetzten Abstimmung in der CSU-Landtagsfraktion matt.
Zuvor hatte Stoiber bereits mit Getreuen wie dem damaligen bayerischen Finanzminister Georg Freiherr von Waldenfels die Grundzüge einer ehrgeizigen Modernisierungsoffensive für Bayern abgesteckt, die den langfristigen Machterhalt der CSU zementieren sollte. Mit dem Verkauf des Anteils an der Bayernwerk AG investierte die CSU-Regierung Milliarden, um Bayern als Zukunftstechnologie-Standort zu stärken und reformierte die Staatsfinanzen. Obwohl der Freistaat davon bis heute profitiert, verhinderte dies nicht, dass die CSU auch Stoiber in einem Machtkampf opferte.
Auch Stoiber opferte die CSU aus Machtgründen
Die damalige junge CSU-Landrätin Gabriele Pauli soll damals nach ihrer Kritik an Stoiber von dessen Büroleiter ausgekundschaftet worden sein. Nachdem die SPD mit einem Amtsenthebungsverfahren per Volksbegehren drohte, zwang die CSU-Fraktion den wegen seiner harten Modernisierungspolitik zunehmend umstrittenen Stoiber zum Rücktritt. Der CSU-Chef erlebte die von ihm selbst Jahrzehnte lang betriebene kühle Professionalität, wenn es um den Machterhalt der CSU als stärkste Volkspartei geht, eiskalt am eigenen Leib.
Auch als Söder nach einem monatelangen zermürbenden Machtkampf mit dem damaligen Parteivorsitzenden Horst Seehofer sich den Lebenstraum erfüllen konnte, bayerischer Ministerpräsident zu werden, nutzte er die Gelegenheit für eine Modernisierung der CSU. Auch hier galt es, die Rolle als einzigartige Volkspartei in die Zukunft zu retten. Söder holte so viele Frauen wie noch nie in die Staatsregierung und richtete die CSU-Politik angesichts der erstarkten grünen Konkurrenz auf die Klima- und Umweltschutzpolitik aus.
Armin Laschet kann auf keine Schonung hoffen
Keiner Partei und Landesregierung wird nachgesagt, so viele Umfragedaten zu sammeln, wie der CSU und ihrer bayerischen Staatskanzlei. Es ist davon auszugehen, dass Söder und seine Strategen sich ausrechnen konnten, wie Laschet als Kanzlerkandidat die Union nach unten reißt, wie es seit seiner Kandidatur gekommen ist. Die CSU setzt sich nun nach Kräften von der CDU ab. Man kämpft allenfalls nebeneinander, wenn es den Bayern dient sogar gegeneinander.
So hart wie die CSU in ihrer Vergangenheit mit ihrem eigenen Personal umging, hat Laschet dabei wenig Schonung zu erwarten. Ob Söder tatsächlich in seiner politischen Lebensplanung jetzt lieber ums Kanzleramt kämpfen wollte oder ob er es als durch und durch CSU-geprägter Politiker als seine eigentliche Herausforderung sieht, 2023 die absolute Mehrheit und damit den christsozialen Nimbus zurückzuerobern, weiß möglicherweise nur er selbst.
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