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CETA: SPD-Chef Sigmar Gabriel wahrt sein Gesicht

CETA

SPD-Chef Sigmar Gabriel wahrt sein Gesicht

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    Im Streit über das geplante Freihandelsabkommen Ceta hat SPD-Chef Sigmar Gabriel seine Partei hinter sich gebracht.
    Im Streit über das geplante Freihandelsabkommen Ceta hat SPD-Chef Sigmar Gabriel seine Partei hinter sich gebracht. Foto: Julian Stratenschulte (dpa)

    Wer das Eis bricht, ist nicht so ganz klar. Sigmar Gabriel mit seiner ebenso kurzen wie sachlichen Rede, oder die Frau, die der Parteichef an diesem Nachmittag in seine niedersächsische Heimat eingeladen hat? Chrystia Freeland, die kanadische Handelsministerin, hat als Journalistin gelernt, die Dinge auf den Punkt zu bringen – und das tut sie auch mit einem temperamentvollen Plädoyer für die transatlantische Partnerschaft. Dass die mehr als 200 Delegierten des kleinen SPD-Parteitages in Wolfsburg am Ende ihre Skepsis überwinden und mit großer Mehrheit für das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada stimmen, ist vermutlich auch ihr Verdienst. „Absolut großartig“ sei der Auftritt der 48-Jährigen gewesen, sagt einer, der dabei war. „Diese Frau wird irgendwann noch heiliggesprochen.“

    In den Stand eines Heiligen werden seine Genossen Sigmar Gabriel zu Lebzeiten zwar kaum noch erheben. Fürs Erste allerdings ist der schon damit zufrieden, dass er nach diesem Konvent nicht ins politische Fegefeuer verbannt wird und der Weg für die Ratifizierung des Handelspaktes nun geebnet ist. Nach fünf Stunden, in denen die SPD hinter verschlossenen Türen versucht, sich zum freien Handel zu bekennen, ohne dabei die Rechte von Arbeitnehmern zu schleifen oder sich an der Umwelt zu versündigen, sagt Gabriel hörbar erleichtert: „Ich bin stolz auf die deutsche Sozialdemokratie.“ Während andere Parteien schon für oder gegen solche Abkommen seien, noch ehe deren Texte vorlägen, habe die

    Wäre CETA gescheitert, wäre Gabriel wohl zurückgetreten

    Wolfsburg, Kongresszentrum. Nach einem quälend langen Streit um die Macht der Konzerne und die Ohnmacht der Politik ist Gabriel mit der SPD wieder im Reinen. Bei einem Scheitern der Vereinbarung mit dem sperrigen Kürzel Ceta, hat er zuvor noch gewarnt, würden im Welthandel die Vereinigten Staaten und China den Takt vorgeben – zulasten Europas.

    Als Wirtschaftsminister ist der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen für ihn zwar eine Frage der ökonomischen Vernunft. Als Parteivorsitzender allerdings steht für ihn in der Autostadt nicht „nur“ ein Handelsabkommen auf dem Spiel, sondern auch seine politische Zukunft. Hätten seine Genossen ihn überstimmt und sich gegen Ceta entschieden, wonach es bis vor einigen Wochen ja aussah: Gabriel wäre womöglich noch am selben Tag zurückgetreten, heißt es im Flurfunk der SPD.

    Das ist CETA

    Was ist Ceta? Ceta ist die Abkürzung für das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Es steht für „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). Ziel des Abkommens ist es, durch den Wegfall von Zöllen und Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards die Wirtschaft anzukurbeln.

    Was macht dieses Abkommen so wichtig? Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums ist die EU für Kanada nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Außerdem: Ceta gilt als Blaupause für das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP), durch das mit rund 800 Millionen Verbrauchern der weltgrößte Wirtschaftsraum entstehen würde.

    Warum ist es so umstritten? Die Gegner solcher Handelsabkommen mit Nordamerika befürchten eine Angleichung der Standards auf geringerem Niveau und kritisieren zudem mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen über das Abkommen. Die TTIP-Gegner machen sich ferner für eine öffentliche Gerichtsbarkeit, ordentliche Arbeitsrechte für alle und für den Erhalt der bisherigen Umweltstandards stark.

    Wie sehen die Deutschen Ceta? In einer Umfrage für die „Wirtschaftswoche“ sagen 38 Prozent, sie unterstützten das Projekt nicht. 18 Prozent geben an, sie hielten Ceta für eine gute Sache. Ein Viertel hingegen sagt, noch nie von dem Abkommen gehört zu haben; der Rest ist unentschlossen.

    Wie geht es jetzt weiter? Ende Oktober soll Ceta beim EU-Kanada-Gipfel schließlich unterzeichnet werden. Bis dahin müssen die EU-Staaten einen Beschluss über die Unterzeichnung und eine vorläufige Anwendung von Teilen des Abkommens gefasst haben. Anschließend muss noch das Europäische Parlament zustimmen, laut Wirtschaftsministerium wird es sich Anfang 2017 mit Ceta befassen. Dann müssen die EU-Mitgliedstaaten das Abkommen ratifizieren – in Deutschland Bundestag und Bundesrat. dpa, afp

    Der 57-Jährige weiß: Ein Parteichef, dem seine Partei in einer für ihn so zentralen Frage nicht folgt, kann diese Partei schlecht als Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl führen.

    So aber läuft es für den Vizekanzler besser als erwartet, besser jedenfalls als für die Kanzlerin und ihre zerstrittene Union. Die SPD hat bei den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls kräftig verloren – aber sie stellt in beiden Ländern weiterhin die Regierungschefs. Solche Niederlagen fühlen sich nicht ganz so bitter an, zumal ihnen aus Gabriels Sicht nun ein nicht ganz unwichtiger Erfolg auf dem Fuße folgt – sein Erfolg.

    Gabriel hat verhindert, dass aus CETA ein zweites TTIP wird

    Er war es, der den innerparteilichen Streit um die beiden Handelsabkommen entschärft hat, indem er den Vertrag mit den USA faktisch für tot erklärte und den mit den Kanadiern nun mit einer Reihe von Nachbesserungen aufwerten will. In der vergangenen Woche ist er deshalb eigens noch nach Montreal zu Premierminister Justin Trudeau geflogen, anschließend bekräftigten beide, dass sie im Prinzip ja das Gleiche wollten: weniger Zölle, weniger Regulierung, gleichzeitig aber ein hohes Maß an Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltschutz.

    Selbst der Wortführer der Parteilinken, der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch, attestiert dem Vorsitzenden, er habe viel dazu beigetragen, dass aus Ceta kein zweites TTIP werde. „Unser Hauptziel ist es, die Globalisierung zu gestalten“, betonen Gabriel und Chrystia Freeland in einer gemeinsamen Erklärung. Einen Dumpingwettbewerb mit immer niedrigeren Standards „lehnen wir ab“. Mit den Kanadiern, verspricht Gabriel, als alles gelaufen ist, werde es keine Nivellierung nach unten geben. „Im Gegenteil.“

    Im Sommer hat er einen ähnlichen Parteikongress zur Vorratsdatenspeicherung nur mit Müh und Not und einer knappen Mehrheit für seinen Kurs der pragmatischen Vernunft überstanden. Beim Parteitag im Dezember vergangenen Jahres dachte er nach einem deprimierenden Wahlergebnis von nur 74 Prozent sogar schon einmal daran, alles hinzuwerfen.

    Diesmal allerdings zeichnet sich bereits vor dem Wolfsburger Konvent ab, dass die SPD ihren Vorsitzenden nicht hängen lassen wird. Ausgerechnet die Sozialdemokraten, die über nichts lieber diskutieren als über ihr Spitzenpersonal, sind plötzlich peinlich darauf bedacht, aus der Abstimmung über Ceta nur ja kein Misstrauensvotum für Sigmar Gabriel zu machen. „Heute geht es nicht um Personal, sondern um Inhalte“, sagt der Hesse Thorsten Schäfer-Gümbel, einer der stellvertretenden Parteivorsitzenden.

    Veranstalter sprechen von 320 000 bei Anti-TTIP-Demos 

    Am Ende des Tages kann Gabriel aufatmen

    Selbst eine streitbare Ceta-Kritikerin wie die Delegierte Annette Heidrich aus dem oberbayerischen Altötting trennt beides sauber voneinander. „Wir führen hier keine Debatte über den Kanzlerkandidaten“, sagt sie auf dem Weg in die Halle. „Hier geht es um ein Handelsabkommen.“ Am Ende atmet vor allem einer auf – Sigmar Gabriel: „Das war ein richtig guter Tag.“

    Der SPD-Chef hat dazugelernt. Oft für seine Sprunghaftigkeit und sein Kopf-durch-die-Wand-Denken gescholten, hat er den sozialdemokratischen Hauskrach um den Handelsvertrag umsichtig und diplomatisch geschickt beigelegt. Der Kompromiss, den die Delegierten in Wolfsburg absegnen, trägt auch die Handschrift des Parteilinken Miersch, eines strammen Ceta-Gegners also – ausgetüftelt, unter anderem, bei einem diskreten Treffen in dessen Heimatstadt Hannover am Wochenende.

    Als Gabriel am Sonntagabend in Berlin in seinen Wagen steigt, um sich von der Wahlparty der SPD nach Hause nach Goslar fahren zu lassen, kann er sich seiner Sache deshalb schon einigermaßen sicher sein. Und auch vor dem Treffen mit den anderen Wirtschafts- und Handelsministern der Europäischen Union am Donnerstag muss ihm nicht bange sein. Chrystia Freeland kommt mit nach Bratislava.

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