Herr Hofreiter, die CDU hat Armin Laschet zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er war für viele ihrer Parteifreunde der Wunschkandidat. Steht damit einer schwarz-grünen Koalition ab Herbst nichts mehr im Wege?
Anton Hofreiter: Ich möchte Armin Laschet erst einmal herzlich zur Wahl gratulieren. Zu Ihrer Frage: Wir fordern die Union heraus, sie ist in diesem Jahr unser Hauptwettbewerber. Wir kämpfen um die Führung in diesem Land, weil wir die Klimakrise bekämpfen wollen, weil wir soziale Ungleichheit in diesem Land verringern wollen und weil wir für ein starkes Europa sind. Es geht also um Grün gegen Schwarz und nicht um Schwarz-Grün oder irgendeine Koalition.
Hätte Merz womöglich den Grünen Wähler der bürgerlichen Mitte in Scharen in die Arme getrieben?
Hofreiter: Dieses rein parteitaktische Denken haben wir uns abgewöhnt. Eine tiefere Polarisierung würde unserem Land nicht guttun. Unser Anspruch als Grüne ist, die Gesellschaft zusammenzuführen, damit wir gemeinsam die großen Veränderungen – Klimaschutz, Digitalisierung, starkes Europa – angehen können. In einer gespaltenen Gesellschaft wird nichts davon gelingen.
Was erwarten Sie vom neuen CDU-Chef?
Hofreiter: Das Ergebnis zwischen Armin Laschet und Friedrich Merz war nahezu identisch mit dem von Herrn Merz gegen Frau Kramp-Karrenbauer 2018. Die Union nach Angela Merkel bleibt eine verunsicherte, ja orientierungslose Partei. So kann sie auch dem Land keine Orientierung geben. Es wird jetzt eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe für Armin Laschet sein, die CDU für die Zeit nach der Ära Merkel neu zu definieren.
Die Diskussion um die Kanzlerkandidatur wird nicht verstummen. Wäre nicht Markus Söder der Favorit aus grüner Sicht? Er spricht sich offen für ein schwarz-grünes Bündnis aus und tut was für die Bienen...
Hofreiter: Bei Markus Söder ist die Diskrepanz zwischen PR und Substanz oft relativ groß. Klimaschutz fordert man nicht nur, man muss ihn auch machen, zum Beispiel mit einem massiven Ausbau erneuerbarer Energien. Genau den verhindert Herr Söder. Seine Abstandsregel von Windrädern zur nächsten Wohnbebauung macht neue Windenergieanlagen in Bayern faktisch unmöglich. Er stellt sich damit sogar gegen die Wirtschaft im Land. Vor Beginn der Pandemie war ich in Augsburg bei MAN Energy Solutions. Ich dachte vorher, das wird kein einfacher Termin beim Hersteller der ganz großen Dieselmotoren für Schiffe. Dann war ich überrascht, dass ihre erste politische Forderung die Abschaffung dieser 10-H-Regel (Anm.: Mindestabstand vom Zehnfachen der Höhe des Windrads zur nächsten Wohnbebauung) war. Der Termin hat mir gezeigt: Unsere Industrie ist viel weiter als manche Betonköpfe in der Politik. Die Wirtschaft wartet nur darauf, dass sie endlich Unterstützung und Verlässlichkeit bekommt, damit sie die notwendige sozial-ökologische Modernisierung angehen kann.
Bei der Union tritt ein Mann um die Nachfolge von Angela Merkel an, die SPD schickt Olaf Scholz ins Rennen. Nur die Grünen könnten jetzt noch dafür sorgen, dass wieder eine Frau Kanzlerin wird. Wird Annalena Baerbock Spitzenkandidatin anstelle von Robert Habeck?
Hofreiter: Wir haben zwei hervorragende Vorsitzende. Beide können das und werden unserer Partei zur gegebenen Zeit einen Vorschlag machen.
Wann wird die Entscheidung fallen, bisher heißt es eher vage: im Frühjahr. Können Sie als Biologe das etwas wissenschaftlicher sagen?
Hofreiter: Wenn die Natur grünt. Im April, Mai schlagen die Bäume aus.
Wenn die Grünen im Herbst zweitstärkste Kraft hinter CDU und CSU werden und es auch für ein Bündnis mit SPD und Linken oder auch FDP reichen würde, müssten Sie als „linker Grüner“ dann lange überlegen?
Hofreiter: Unser Anspruch ist, führende Kraft zu werden. Wir werden der Gesellschaft ein klares Angebot machen, wie wir die Aufgaben dieses Jahrzehnts gemeinsam bewältigen, für Klimaschutz und mehr Gerechtigkeit sorgen. Nach der Wahl wird man sich dann zusammensetzen und reden. Grundsätzlich gilt für uns, dass alle demokratischen Parteien miteinander gesprächsfähig bleiben müssen, gerade in Zeiten, in denen Demokratiefeinde die Gesellschaft spalten wollen. Am Ende kommt es dann auf die Inhalte an. Da ist uns die SPD natürlich am nächsten. Ob es für Grün-Rot alleine reicht, da mag man ein Fragezeichen machen.
Schließen Sie es aus, mit der Linkspartei zu koalieren, die Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Nato ablehnt?
Hofreiter: Die Linkspartei muss für sich entscheiden, ob sie Regierungsverantwortung übernehmen kann oder will. Für uns ist vollkommen klar, dass die viertgrößte Industrienation verantwortungsvoll geführt werden muss. Dazu gehört, dass UN-Einsätze, wenn sie richtig und gut geplant sind, von der Bundesrepublik mitgetragen werden. Da muss sich die Linkspartei fragen, ob sie da mitgehen kann oder nicht.
Während der Corona-Pandemie haben sich die Grünen mit Kritik an der Regierung auffällig zurückgehalten. Zuletzt auch beim holprigen Impfstart. Ist das Anbiederung an die Union im Hinblick auf eine mögliche Koalition?
Hofreiter: In einer so schwierigen Lage, in der sich unser Land gerade befindet, halte ich nichts von Opposition auf Teufel komm raus. Alle Parteien tragen Verantwortung. Und der sollten sie auch nachkommen. Manche Kritik ist gerade ziemlich wohlfeil, mancher Unterton auch antieuropäisch. Dass man den Impfstoff zunächst europäisch bestellt hat, war absolut richtig. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Pandemie erst vorbei ist, wenn sie im letzten Land der Welt vorbei ist. Es darf keiner glauben, dass es reicht, wenn in einer Region alle geimpft sind und in einer anderen Region keiner. Dort kann dann eine Mutation auftreten, gegen die der Impfstoff nicht wirkt. Und alles fängt wieder von vorn an.
Aber die Schwierigkeiten mit dem Impfen sind doch eklatant...
Hofreiter: Das Problem ist aktuell aber nicht so sehr, dass nicht genügend Impfstoff da ist, sondern die vorhandenen Dosen nicht schnell genug verimpft werden können. Man hätte die Impfkampagne also besser vorbereiten müssen, damit die Impfung dann auch gleich gut anläuft. Aber das ist verschüttete Milch. Jetzt geht es darum, mit einer Task Force dafür zu sorgen, dass es so schnell wie möglich geht. Insbesondere brauchen wir die Zulassung des Astra-Zeneca-Impfstoffs, der auch bei normalen Temperaturen gelagert werden kann. Dann können auch die Hausärzte einfacher eingebunden werden. Nicht zurückblicken, handeln.
Sie nennen für die kommende Wahl als grünes Ziel selbstbewusst das Kanzleramt. Dabei sind sie aktuell die kleinste Fraktion im Bundestag. Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass dem Höhenflug guter Umfragewerte mal wieder die Bauchlandung folgt?
Hofreiter: Uns ist vollkommen bewusst, dass wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Wir gehen das mit Demut an, aber auch mit einer optimistischen Botschaft: Wir haben alle Möglichkeiten, die großen Probleme, die vor uns liegen, zu bewältigen. Und das wird kein Verlust, sondern ein Gewinn für unser Land. Stahlwerke können künftig mit grünem Wasserstoff produzieren, Flugzeuge damit sauberer fliegen, Autos elektrisch fahren. Ich habe viele Firmen besucht, alle sagen uns, wir haben die richtigen Ideen und wollen jetzt, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schafft. Wenn vor zehn Jahren nicht Besitzstandswahrer und Technikmuffel die Autopolitik bestimmt hätten, dann wären heute die deutschen Autokonzerne ganz vorne mit dabei. Mit Klimaschutz können wir unsere Wirtschaft und gleichzeitig unseren Wohlstand sichern.
Radikale junge Klimaschützer werfen Ihnen vor, in die Bravheitsfalle zu tappen. Fürchten Sie, dass da eine neue Klimaschutzpartei entstehen könnte?
Hofreiter: Die Klimakrise entwickelt sich in einer solchen Dramatik, dass etwa Fridays for Future jedes Recht hat, wütend zu sein und schnellere und drastischere Maßnahmen zu fordern. Unsere Fichtenwälder sind in ganzen Gegenden tot. In Grönland schmilzt das Eis. Wir bemühen uns, in den nächsten zehn Jahren alles zu erreichen, was irgendwie möglich ist, um das Ruder noch rumzureißen. Wir haben jetzt die Chancen und Ideen, das gemeinsam mit der Industrie zu tun, aber wir werden auch hart einfordern, dass das auch schnell passiert. Ausreden gibt’s keine mehr.
Die Bahn ist gerade eher ein Sorgenkind und macht etwa durch Verspätungen von sich reden. Was muss beim Staatsunternehmen geschehen?
Hofreiter: Wir müssen die Bahn neu aufstellen. Der Konzern ist total zersplittert. Von Töchtern, die den Busverkehr in Großbritannien oder die Minen-Logistik in Australien betreiben, sollte sich der Bund schnell trennen. Die anderen Sparten müssen wieder in einer Hand gebündelt werden. Es kann nicht sein, dass ein Bürgermeister mit vier unterschiedlichen Stellen reden muss, wenn er etwas klären will. Die Infrastruktur muss stark ausgebaut werden, und zwar schnell. Dazu braucht es mehr Personal und eine Entrümpelung des Planungsrechts. Wir brauchen einen einheitlichen Deutschlandtakt für die Verbindungen zwischen Großstädten und einen einheitlichen Mobilitätspass für Nah- und Fernverkehr im ganzen Land.
Den Verkehrsminister hat nun lange die CSU gestellt... Würde Sie persönlich diese Position reizen?
Hofreiter: Über Personalien wird ganz zum Schluss entschieden. Wir sehen jedenfalls doch alle: Die CSU hat jetzt drei Versuche gehabt und keiner hat die Öffentlichkeit überzeugt, das gilt besonders auch zuletzt für Andreas Scheuer. Wir brauchen eine andere Verkehrspolitik, die sich traut, bei Elektromobilität und Bahn Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Der Bereich ist hochrelevant. Egal, wer das Ministerium anführt.
Was machen Sie eigentlich, um mal von der Politik zu entspannen?
Hofreiter: Wann immer es geht, zieht es mich in die Berge. Vor Weihnachten habe ich auch wieder Pralinen hergestellt. Da wir zuletzt alle möglichst zu Hause bleiben sollten, habe ich es auf zwölf verschiedene Sorten geschafft. Das ist mein Hobby. Das macht mir Spaß. Darunter waren übrigens vier vegane Varianten.
Was ist gerade Ihre Lieblingssorte?
Hofreiter: Pistazienmarzipankonfekt mit etwas Rum, das Ganze mit sehr dunkler Schokolade überzogen und einer Pistazie garniert. Sehr lecker.
Dunkle Schokolade mit grüner Pistazie – die Schwarz-Grün-Praline also?
Hofreiter: Jedenfalls ist die Pistazie oben drauf. Also wenn überhaupt, ist es ein grün-schwarzes Konfekt...
„Die CDU bleibt eine verunsicherte Partei“
Zur Person: Anton Hofreiter, 50, ist neben Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Bundestag. Der gebürtige Münchner ist studierter Biologe.
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