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Große Koalition: CDU-Parteitag erhöht den Druck auf SPD bei der Grundrente

Große Koalition

CDU-Parteitag erhöht den Druck auf SPD bei der Grundrente

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    Annegret Kramp-Karrenbauer beim CDU-Bundesparteitag in Leipzig.
    Annegret Kramp-Karrenbauer beim CDU-Bundesparteitag in Leipzig. Foto: Kay Nietfeld/dpa

    Es war schon spät, die rund 1000 Delegierten des CDU-Bundesparteitags warteten sehnsüchtig auf den Beginn des geselligen „Sachsenabends“, da gelang der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) zusammen mit der Jungen Union (JU) gegen 22 Uhr am Freitagabend in den Leipziger Messehallen noch ein kleiner Scoop, der große Wirkung auf den Fortbestand der Großen Koalition haben könnte: Die Grundrenten-Gegner verhinderten die Einführung der neuen Altersvorsorge zwar nicht, setzten aber harte Bedingungen durch. Die Grundrente soll nur kommen, wenn sowohl die volle Einkommensprüfung als auch die Finanzierung durch eine europäische Finanztransaktionssteuer gesichert sind. Einen deutschen Alleingang bei der Steuer lehnt die CDU ab.

    Neue Kritik aus der CDU: Für die SPD ist die Grundrente ein Kernanliegen

    Beide Forderungen sind für sich genommen nicht neu und stehen im Grundsatz so auch im Grundrentenkonzept der SPD. Die beiden Voraussetzungen sind jedoch nur schwer zu erfüllen, ihre Umsetzung kann Jahre dauern. Laut SPD soll die Grundrente aber 2021 bereits gelten, sie setzt deshalb auf weichere Regelungen. Vor dem Parteitag hatten sich mit Blick auf den Koalitionsfrieden auch Teile der CDU gegen den Vorstoß von MIT und JU ausgesprochen.

    Wichtige Beschlüsse des Leipziger CDU-Parteitags

    Von der Urwahl bis zur Rente - die CDU hat auf ihrem Parteitag in Leipzig eine Reihe Beschlüsse gefasst. Ein Überblick über die wichtigsten: 

    Urwahl: Nach heftiger Debatte lehnt die CDU letztlich eine Urabstimmung über ihren Kanzlerkandidaten für die nächste Bundestagswahl ab. Traditionell hat bei der CDU der oder die Vorsitzende den Erstzugriff auf die Kanzlerkandidatur. Vor allem die Junge Union (JU) hatte sich jedoch für eine Urwahl stark gemacht, was als Affront gegen Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer verstanden wurde. Neben dem Urwahl-Antrag der JU lehnten die Delegierten mehrheitlich auch ähnliche Anträge mehrerer Kreisverbände ab. Möglicherweise wird die CDU bei wichtigen Personalien aber auf Regionalkonferenzen setzen, wie es sie voriges Jahr im Kandidatenrennen um den Parteivorsitz gegeben hatte. Ein entsprechender Antrag des Kreisverbands Ravensburg wurde zur Beratung an eine Struktur- und Satzungskommission überwiesen.

    Huawei: Nicht weniger heftig diskutiert war eine Beteiligung des umstrittenen chinesischen Konzerns Huawei beim Ausbau des schnellen 5G-Mobilfunks. Die CDU will nun nicht speziell Huawei davon ausschließen. Vertrauenswürdig könnten beim Ausbau "nur solche Ausrüster sein, die einen klar definierten Sicherheitskatalog nachprüfbar erfüllen", heißt es im Beschluss nun allgemeiner. Dies müsse beinhalten, "dass eine Einflussnahme durch einen fremden Staat auf unsere 5G-Infrastruktur ausgeschlossen ist". Vor allem in der Unionsfraktion hatte es vor dem Parteitag schwere Bedenken dagegen gegeben, Huawei in den 5G-Ausbau einzubinden. Kanzlerin Angela Merkel, die sich weltweit gegen Protektionismus einsetzt, hatte entgegnet, dass kein bestimmter Staat und kein bestimmtes Unternehmen generell außen vor gelassen werden könne.

    Grundrente: Nach den Diskussionen der vergangenen Tage unterstrich die CDU, am Grundrenten-Kompromiss mit der SPD festzuhalten. Der Parteitag stimmte mehreren Anträgen zu, die im Grundsatz argumentieren: "Bei der Umsetzung der Grundrente ist darauf zu achten, dass die vereinbarten Bedingungen mit Inkrafttreten der Grundrente eingehalten werden." In einem der Anträge des Arbeitnehmerflügels CDA heißt es, bei Vollzeitbeschäftigung brauche es derzeit einen Stundenlohn von mindestens 12,63 Euro, um im Alter eine Rente über Grundsicherungsniveau zu bekommen. "Mehr als jeder vierte Beschäftigte verdient derzeit weniger und ist deshalb langfristig von Altersarmut bedroht." 

    Private Altersvorsorge: Die CDU will die private Altersvorsorge stärken und notfalls langfristig zur Pflicht machen. Die private Vorsorge soll effizienter gemacht und verbindlicher gestaltet werden. "Dazu soll in einem ersten Schritt die bestehende private Altersvorsorge an zentralen Stellen verbessert werden, indem der Staat Kriterien für ein Standardvorsorgeprodukt festlegt." Legt die Zahl der Verträge nicht um 30 Prozent innerhalb von drei Jahren zu, soll das Produktportfolio um ein "staatlich organisiertes Standardvorsorgeprodukt" erweitert werden. Gleichzeitig soll geprüft werden, ob dieses Produkt dann verpflichtend für alle wird. 

    Minijobs: Die CDU setzt sich für eine Anhebung der Minijobgrenze auf 550 Euro ein. Zudem soll künftig in einem Fünf-Jahres-Rhythmus überprüft werden, ob die Einkommensgrenze erneut angepasst werden muss. Derzeit liegt die Minijobgrenze bei 450 Euro. Rund 8 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten als geringfügig Beschäftigte.

    Mindestlohn: Er soll besser gemacht werden. Die Mindestlohnkommission, die praktisch über die Löhne von rund vier Millionen Menschen entscheide und damit quasi die "weitreichendsten Tarifverhandlungen" in Deutschland führe, solle sich eine neue Geschäftsordnung geben. Sie solle von der bisherigen Praxis einer quasi-automatischen Erhöhung anhand des Tarif-Indexes abrücken. Die in der Kommission sitzenden Wissenschaftler sollen "die konkreten Spielräume" nutzen. Der Arbeitnehmerflügel CDA hatte in seinem Ursprungsantrag kritisiert, dass der Mindestlohn seit Einführung 2015 "um kümmerliche 69 Cent" gestiegen sei. "Wer für 9,19 Euro die Stunde schuften geht", werde spätestens in der Rente auf Grundrente angewiesen sein. Über den Mindestlohn berät die Kommission jährlich, alle zwei Jahre wird er angepasst.

    Planungsrecht: Die CDU will auch das Planungsrecht bei Bauprojekten reformieren, damit Planungen schneller und einfacher umgesetzt werden können. "Das Planungsrecht ist für heutige Verhältnisse nicht mehr zeitgemäß", heißt es. National bedeutsame Bauprojekte will die CDU in ein Parlamentsgenehmigungsrecht einführen. Zudem plant die Partei, das Klagerecht von Verbänden auf jene zu beschränken, die thematisch direkt betroffen sind. Außerdem soll der Instanzenweg bei den Gerichten verkürzt werden.

    Kopftuchverbot: Die CDU zieht es für Kindergärten und Grundschulen in Betracht - "als letztmögliche Maßnahme". In erster Linie setze die Partei aber auf die Überzeugung der Eltern. "Wenn kleine Mädchen schon im Kindergarten und in der Grundschule Kopftuch tragen, dann hat dies nichts mit der Religion zu tun", sondern mach Kinder erkennbar zu Außenseitern, heißt es zur Begründung. Grundsätzlich stehe die CDU für Glaubensfreiheit.

    Gleichwertige Lebensverhältnisse: Die CDU bekennt sich zum Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West. Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall gebe noch viel zu tun, um die innere Einheit zu vollenden, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff bei der Verabschiedung einer "Leipziger Erklärung". "Aber wenn es jemand schafft, dann ist es die CDU."

    Mietendeckel: Die Bundestagsfraktion wurde aufgefordert, den Berliner Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Ein Mietendeckel ersetze die Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft durch Planwirtschaft, erklärt die Partei.

    Für die SPD ist die Einführung der Grundrente ein Kernanliegen. Von ihrer Durchsetzung machen viele Mitglieder den Fortbestand des Regierungsbündnisses mit der Union abhängig – ein Parteitag soll bereits in zwei Wochen darüber entscheiden. Darüber hinaus ist die Durchsetzung der Grundrente eng mit Finanzminister  Olaf Scholz verbunden, der sich zusammen mit Klara Geywitz um den SPD-Vorsitz bewirbt. Scholz und Geywitz müssen sich gegen die Mitbewerber Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken durchsetzen, die Stichwahl läuft noch bis Ende nächster Woche.

    Kommt die Grundrente, will die  CDU eine Finanztransaktionssteuer

    Der CDU-Parteitag beschloss zum einen, dass zur Gegenfinanzierung eine Finanztransaktionssteuer – eine Abgabe auf Kapitalmarktgeschäfte -  im "europäischen Kontext" eingeführt werden muss. Die SPD hat das deutlich weniger konsequent formuliert: „Finanziert wird sie durch einen höheren Steuerzuschuss in die Rentenkasse – Geld, das unter anderem durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer zur Verfügung steht“, heißt es bei ihr.

    Wann die Steuer kommt, ist noch gar nicht absehbar. Schon Scholz‘ Vorgänger Wolfgang Schäuble hatte sich an dem Thema abgearbeitet, gar einen nationalen Alleingang in Erwägung gezogen. Der CDU-Politiker konnte sich nicht durchsetzen, Scholz ist das im Kreise seiner EU-Amtskollegen bislang ebenfalls nicht gelungen. Er kann sich auch nicht auf die Unterstützung anderer EU-Staaten verlassen. Auf die Frage, ob es keinen nationalen Alleingang geben werde, sagte er kürzlich im Interview mit unserer Redaktion: „Wir streben eine europäische Einigung an.“

    Scholz geht zudem nur von Einnahmen in Höhe von rund einer Milliarde Euro durch die Steuer aus, wie er kürzlich unserer Redaktion sagte. Selbst konservative Berechnungen erwarten Kosten von mindestens 1,5 Milliarden Euro im ersten Jahr, Tendenz steigend. Die Finanzierung der Grundrente ist also immer noch offen, der CDU-Parteitagsbeschluss macht die Gemengelage nicht einfacher.

    Grundrente: CDU-Parteitag beschließt scharfe Einkommensüberprüfung

    Zweitens beschloss der CDU-Parteitag eine scharfe Einkommensüberprüfung. Sie setzt im Prinzip die „Bedürftigkeitsprüfung“ um, die im Koalitionsvertrag steht, von der SPD aber vor allem deshalb abgelehnt wurde, weil sie ein Bürokratiemonster befürchtet. Diese Sorge ist nach dem Beschuss von Leipzig berechtigter denn je.

    Wer eine Grundrente beziehen will, muss nach dem Willen der CDU sämtliche Kapitalerträge offenlegen. Darunter fallen auch Erträge, die bislang nicht in Steuerbescheiden erfasst sind. „Bei Rentenbeziehern aus dem Ausland muss im gleichen Umfang wie bei Rentnern aus dem Inland eine nachvollziehbare Einkommensprüfung erfolgen“, erklärt die MIT mit ihrem Chef Carsten Linnemann (CDU) an der Spitze. Sie weist auch drauf hin, dass die Grundrente gemäß CDU-Beschluss nur ausgezahlt werden darf, wenn der angestrebte Datenaustausch zwischen Finanzbehörden und Rentenversicherung funktioniert. Die SPD will, dass die Grundrente 2021 gilt. Ob bis dahin die notwendige Software zur Verfügung steht, ist aber mehr als offen. Selbst Minister Scholz sprach im Interview mit unserer Redaktion von einem „ehrgeizigen IT-Projekt“.

    Die Grundrente hat schon seit Monaten das Potenzial, die Große Koalition zu sprengen. Nach dem von beiden Seiten ausgehandelten Grundrenten-Kompromiss vor zwei Wochen schien das Thema zunächst befriedet. Nach diesem CDU-Parteitag in Leipzig jedoch ist es wieder offen.

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