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Bundeswehr: Seit 20 Jahren dürfen Frauen zum Bund: Eine Offiziersanwärterin erinnert sich

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Seit 20 Jahren dürfen Frauen zum Bund: Eine Offiziersanwärterin erinnert sich

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    Eine Soldatin nach einem Afghanistan-Einsatz im Jahr 2006. Aktuell beträgt der Frauenanteil bei insgesamt 183000 Soldaten 12,5 Prozent.
    Eine Soldatin nach einem Afghanistan-Einsatz im Jahr 2006. Aktuell beträgt der Frauenanteil bei insgesamt 183000 Soldaten 12,5 Prozent. Foto: Jens Büttner, dpa (Archivfoto)

    Die Aufregung war groß Anfang 2000 – soeben hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass auch in Deutschland Frauen der Dienst an der Waffe nicht verwehrt werden darf. Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber verstieg sich im Eifer des Gefechts zu der Bemerkung, dass Gleichstellungsrichtlinien eines Tages noch erzwingen würden, „dass der nächste Bundeskanzler eine Frau ist“. Für konservative Politiker waren Hubschrauberpilotinnen oder Panzerfahrerinnen ein Stück aus dem Tollhaus, Pazifisten witterten eine Militarisierung der ganzen Bevölkerung.

    Es half nichts: CSU-Mann Stoiber musste miterleben, dass Frauen schon ein Jahr später in den militärischen Bereich vorrückten – und 2005 eine Frau ins Kanzleramt, Angela Merkel.

    Aus "Mann über Bord" wurde auf einmal "Person über Bord"

    Als Frauen beim Heer, der Luftwaffe oder der Marine antreten durften – im Januar 2001 – hatte sich der Pulverdampf des politischen Glaubensstreits bereits etwas verzogen. Nicht aber die Unsicherheit, mit der Soldaten und ihre Vorgesetzten mit der ungewohnten Situation umgingen, fast „überkorrekt“, ja etwas verunsichert nämlich. So erinnert sich der frühere Chef des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch. Er war vor 20 Jahren Kommandant in der Jägerkaserne in Sonthofen. Seine Erinnerungen decken sich mit denen von Barbara Vieira Martins. Die Frau aus Obergünzburg im Ostallgäu, die damals noch Barbara Schierl hieß, startete mit einer Kameradin aus Potsdam eine Offizierslaufbahn: Sie waren in diesem Bereich die ersten Frauen bei der Marine.

    Und das schlug sich auch bürokratisch nieder. „Als ich auf dem Minenjagdschiff ,Bad Rappenau‘ fuhr, wurde der Notruf ,Mann über Bord‘ schnell noch in ,Person über Bord‘ umgeändert“, erzählte die damals 24-Jährige. Dabei gab es schon lange vorher Frauen bei den deutschen Streitkräften. Schließlich stand ihnen seit 1975 der Sanitäts- und seit 1991 der Militärmusikdienst offen. Beides setzte eine militärische Grundausbildung voraus.

    Die Öffnung der „kämpfenden Truppe“ für Frauen ist mit dem Namen Tanja Kreil verbunden. Sie hatte sich 1996 als Waffenelektronikerin beworben und wurde mit Verweis auf die rechtliche Lage abgelehnt. Sie klagte. Mit Erfolg: Aktuell leisten mehr als 23.000 Soldatinnen Dienst bei der 1955 gegründeten Bundeswehr, davon mehr als 6000 in einem Offiziers-, aber nur drei in einem Generalsrang. Dass in den hohen Sphären der goldenen Schulterklappen Männer immer noch meist unter sich sind, hat auch mit langen Karrierewegen zu tun.

    Barbara Vieira Martins startete nach dem Abitur 1996 als „Sani“, im Sanitätsdienst also. Für ihre Familie war das kein Grund für Bedenken. Im Gegenteil: Die Mutter, eine Ärztin, hatte ihrer Tochter, die noch über ihre beruflichen Pläne grübelte, die Bewerbungsunterlagen mitgebracht. „Dass ich einmal die Möglichkeit haben würde, zur Marine zu wechseln, ahnte ich zu dieser Zeit noch nicht“, sagt Vieira Martins heute.

    Als die Chance dann Ende 2000 plötzlich da war, zögerte sie nicht. Ob ihr denn nie Zweifel gekommen seien? „Zugetraut habe ich mir das auf jeden Fall, ich war ja schon vier Jahre bei der Truppe“, antwortet sie. Und ergänzt: Sie sei mit Jungs aufgewachsen, habe auf der Straße mit Jungs gespielt und viel Sport gemacht. „In meiner Grundschulklasse waren von 30 Schülern nur vier Mädchen. Das alles hat es für mich bei der Bundeswehr sicher leichter gemacht.“

    Barbara Vieira Martins im Jahr 2001 auf einem Minenjagdschiff.
    Barbara Vieira Martins im Jahr 2001 auf einem Minenjagdschiff. Foto: Martins

    Ihre erste Zeit bei der Marine hat sie als reibungslos in Erinnerung. Der Empfang sei freundlich gewesen, geprägt von dem Bemühen der Männer, alles richtig zu machen. „Ich habe gleich versucht, Bedenken zu zerstreuen. Ich sagte, ,Keine Sorge, das ist alles machbar.‘“ Zum Beispiel das mit dem Duschen. „Mir reichte es völlig, ein Schild aufzuhängen, wenn ich geduscht habe. Getrennte Duschen gab es ja nicht“, erzählt sie. Die Alternative wäre gewesen, dass sie einige Kilometer entfernt von der Marineschule untergebracht werde. „Genau das wollte ich eben nicht – ich wollte dazugehören.“

    Barbara Vieira Martins machte Karriere bei der Truppe

    Frauen und Militär. Was in Deutschland vor 20 Jahren für Schlagzeilen sorgte, war mit Blick auf die Geschichte nichts Ungewöhnliches. Im alten Ägypten waren weibliche Pharaonen Oberbefehlshaberinnen der Streitkräfte. In China soll Königin Fu Hao im 13. Jahrhundert vor Christus die Streitmacht ihres Mannes übernommen und siegreich in mehrere Schlachten geführt haben. Berichte über Frauenarmeen gib es viele, historisch sind sie oft zweifelhaft. Vermutlich handelte es sich auch vor allem um Palastgarden – weniger um Frauenregimenter –, die in Schlachten als „Amazonen“ zum Einsatz kamen. Einige Jahrhunderte später verpflichteten dann die Nationalsozialisten Mädchen und junge Frauen als Flakhelferinnen oder zum Reichsarbeitsdienst. Wieder später galt bei der Nationalen Volksarmee (NVA), den Streitkräften der DDR, formal das Prinzip der Gleichberechtigung. Zunächst konnten Frauen jedoch nur untere Dienstgrade bis zum Fähnrich erreichen. Ab 1984 wurden weibliche Offiziere in Hochschulen ausgebildet. Der höchste bekannte Dienstgrad war „Oberst“, wobei Frauen meist in Versorgungseinheiten und im medizinischen Bereich zum Einsatz kamen. In Israel und den USA nehmen Frauen dagegen schon lange auch als Pilotinnen an Kampfeinsätzen teil – allerdings freiwillig.

    Umstritten ist die Rolle der Frauen bei den Streitkräften in Deutschland inzwischen kaum noch. „Es ist großartig, dass Frauen in der Bundeswehr in allen Teilen ihren Dienst leisten. Sie sind nach 20 Jahren in der Truppe angekommen, anerkannt und respektiert. Aber wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen“, sagt die Wehrbeauftragte Eva Högl von der SPD. Ulrich Kirsch, der frühere Chef des Bundeswehrverbandes, gibt offen zu, dass er in den 90er Jahren „überhaupt nicht“ damit gerechnet habe, dass für Frauen alle Grenzen bei der Bundeswehr fallen würden. Umso positiver ist seine Bilanz: „Wenn Männer und Frauen gemeinsam an die Dinge herangehen, setzt sich soziale Kompetenz am besten durch – das hat sich auch bei den Streitkräften gezeigt.“ Gleichzeitig sei die „Bundeswehr längst auf kompetente Frauen angewiesen“.

    Dennoch sind Vorbehalte geblieben. Die Mutter aller Argumente derjenigen, die nichts von Frauen an der Waffe wissen wollen, ist, dass Soldatinnen die militärische Schlagkraft einer Armee unterminieren würden. Einfach, weil sie die Männer ablenken würden, weil ihre pure Anwesenheit Konflikte auslösen könnte. Ein Einwand, der aber nurmehr selten noch zu hören ist. Ein nach wie vor heikles Thema sind dagegen billige Anmachsprüche, sexuelle Übergriffe, bis hin zu Vergewaltigungen in den Streitkräften. Der aktuelle Wehrbericht listet eine ganze Reihe von Verfehlungen auf, die von Sexismus, Machogehabe und einem antiquierten Verständnis von Geschlechterrollen zeugen. Auch handfeste Straftaten gegen Frauen sind dokumentiert.

    Kriminologe: Sexismus ist offensichtlich ein Problem bei der Bundeswehr

    Der Kriminologe und langjährige Polizistenausbilder Joachim Kersten glaubt, dass solche Vorfälle eher die Ausnahme seien. Doch Sexismus sei ebenso wie Rassismus offensichtlich ein Problem bei der Truppe. „Es muss intensiv untersucht werden, inwieweit übertriebener Korpsgeist und Rassismus auch dadurch begünstigt werden, dass in manchen Einheiten ausschließlich Männer zusammengeballt sind“, sagt er. Wie Barbara Vieira Martins, eine der beiden ersten Offiziersanwärterinnen der Bundesmarine, darüber denkt? Sie sagt, sie habe zwar doppeldeutige Sprüche erlebt, nicht aber sexistische Übergriffe. „Weder als Frau unter 45 Kameraden auf dem Minenjagdboot noch später. Obwohl ich natürlich weiß, dass so etwas durchaus vorkommt.“

    Heute lebt die vierfache Mutter mit ihrer Familie in Niedersachsen.
    Heute lebt die vierfache Mutter mit ihrer Familie in Niedersachsen. Foto: Martins

    Auch ihre Bundeswehr-Bilanz fällt positiv aus. Sie hat Karriere bei der Truppe gemacht. Ihrer Offiziersausbildung bei der Marine fügte sie ein Studium der Pädagogik an der Universität der Bundeswehr in München an. Nach der Geburt ihres ersten Kindes und einer Babypause nahm sie ihre Laufbahn bei den Streitkräften wieder auf. Als Kapitänleutnant kam sie schließlich 2015 an die Fachschule der Luftwaffe im niedersächsischen Faßberg. Dort wurde sie Vertrauensfrau für Gleichstellungsfragen. „Dabei hatte ich weniger mit Problemen zwischen Frauen und Männern zu tun, sondern oft mit der noch immer schwierigen Vereinbarkeit von Armee und Familie“, sagt sie. „Da hat sich einiges getan, aber es ist noch nicht genug.“

    Hoffnung macht Barbara Vieira Martins, dass sie in ihren 16 Jahren beim Bund gesehen hat, dass die Männer „vom alten Schlag“, die die Küche als naturgegebenes Refugium der Frau ansahen, immer weniger wurden.

    Auf der Karriereleiter wäre für sie der nächste logische Schritt die Stabsoffiziersausbildung gewesen. Das hätte sie gereizt. Doch 2017 hörte sie auf. „Das war eine Familienentscheidung. Zur See zu fahren oder wochenlange Lehrgänge zu absolvieren, war kaum möglich.“ Und so wurde ihr Mann Stabsoffizier. Und Barbara Vieira Martins befindet sich gerade mit ihrem vierten Kind in Elternzeit. Also doch wieder die klassische Rollenverteilung? Keineswegs. Barbara Vieira Martins lässt sich zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin ausbilden. Sie ist bereit für eine neue berufliche Laufbahn.

    Und die Bundeswehr? Ist sie wirklich bereit, die Truppe für Frauen noch attraktiver zu machen? Das Verteidigungsministerium erwägt derzeit immerhin die Einführung weiblicher Dienstgradbezeichnungen. Aus Frau Major könnte die Majorin werden, aus Frau General die Generalin. Auch eine der letzten Männerbastionen in der Truppe könnte fallen: Erstmals in der Geschichte des Kommandos Spezialkräfte bestand eine Frau die erste Runde umfangreicher Prüfungen.

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