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Bundeswehr-Reform: Die Verwandlung der Kasernen

Bundeswehr-Reform

Die Verwandlung der Kasernen

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    Umbau am Fliegerhorst: Au dem  Gelände des ehemaligen Fliegerhorstes in Leipheim wird gebaut und verändert. Das Foto zeigt das Gebäude der ehemaligen Standortverwaltung. Es wird als Bürogebäude künftig genutzt. Dafür wurde es entkernt und energetisch saniert.
    Umbau am Fliegerhorst: Au dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorstes in Leipheim wird gebaut und verändert. Das Foto zeigt das Gebäude der ehemaligen Standortverwaltung. Es wird als Bürogebäude künftig genutzt. Dafür wurde es entkernt und energetisch saniert.

    Eintausendundvierundachtzig Tage hat er diesen Boden nicht mehr betreten. Das hat Jochen Wiedenbeck ausgerechnet. Jetzt steht er wieder da, in Tarnfleck-Uniform, weil er gerade auf Wehrübung ist. Eigentlich in Dornstadt bei Ulm. Für einen Kurzbesuch seiner früheren Wirkungsstätte kommt der Hauptmann noch einmal nach Leipheim. Vor der ehemaligen Hauptwache des Fliegerhorstes bei Günzburg steht er – wie ein König ohne Reich. Sein Reich, das war dieses riesige Areal, das mit 256 Hektar so viel Fläche einnimmt, dass die gesamte Stadt Leipheim darin Platz fände. Am 19. Dezember 2008 verabschiedete Wiedenbeck die zivilen und militärischen Mitarbeiter im Offizierskasino. Um Viertel vor zwölf ließ er auf dem verschneiten Gelände die Dienstbeflaggung einholen. 15 Minuten später kam dann die finale Handlung: Der Letzte macht das Tor zu. Und Wiedenbeck war der letzte Kommandant des Fliegerhorstes Leipheim.

    „Donnerwetter“, sagt er an diesem Herbsttag immer wieder, als er mit seinem Auto über das Gelände fährt. Es ist ein Ausruf des Erstaunens, weil mit Erde dick beladene Lastwagen über das Areal donnern, als ob es keine Geschwindigkeitsbegrenzung gäbe. Damit packt der 55-Jährige auch seine Bewunderung in ein einziges Wort – Bewunderung darüber, „dass sich hier doch einiges getan hat“. Und Verwunderung bringt er damit – je nach Betonung – ebenfalls zum Ausdruck. Gleise wurden herausgerissen und Gebäude dem Erdboden gleichgemacht – eine von der Zeit überholte Infrastruktur, die in Zukunft keine Rolle mehr spielt. Dass in den Dornröschenschlaf versunkene Bereiche völlig verwildert sind, schmeckt Wiedenbeck nicht: Donnerwetter!

    Hinterlassenschaften der Kaserne

    Zimmermann beschäftigt sich mit den Hinterlassenschaften des Fliegerhorstes, der auf dem Grund der Städte Leipheim und Günzburg und der Gemeinde Bubesheim liegt. Die drei Kommunen und der Landkreis Günzburg haben sich in einem Zweckverband zusammengeschlossen, um gemeinsam ihre im Detail nicht immer gemeinsamen Interessen zu vertreten. Insgesamt 2,8 Millionen Euro hat das Gelände gekostet – erworben nach langwierigen Verhandlungen, die sich von 2005 bis ins Jahr 2009 hinzogen. Der Bund wollte ursprünglich fast 16 Millionen Euro haben.

    Eines eint Kommunen und Kreis: Sie wollen nach dem Ende der militärischen Nutzung die Riesenfläche in einen Industrie- und Gewerbepark umgestalten. Zimmermann ist Geschäftsführer dieses Zweckverbandes. 90 Hektar sollen innerhalb der nächsten 30 Jahre verkauft werden. Im Sommer 2010 habe man aktiv mit der Vermarktung begonnen, erzählt Zimmermann. Ende dieses Jahres werden bereits 20 Firmen auf dem ehemaligen Militärgelände ansässig sein. Sie haben elf der 90 Hektar gekauft oder gemietet. Sollte ein von den Stadtwerken Ulm/Neu-Ulm geplantes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk tatsächlich gebaut werden, stünde sogar eine 900 Millionen Euro teure Investition auf dem Gelände. Bis spätestens 2016 soll die Entscheidung fallen.

    „Wir sind unserer Zeitplanung weit voraus“, sagt Zimmermann. Dabei sind die Anbieter wählerisch. So hätten Logistikunternehmen mit viel Lkw-Bewegungen, aber wenig Arbeitsplätzen keine Chance. „Das wollen wir nicht.“ Etwa eine von zehn Anfragen wird schließlich so konkret, dass sie in einen Kauf- oder Mietvertrag mündet.

    Ohne Vertrag sind einige Herren geblieben, die erst bei einem persönlichen Treffen mit der Sprache rausrückten, wie sie ehemalige Soldatenunterkünfte nutzen wollten: „Die waren aus dem Rotlichtmilieu“, sagt Zimmermann. „Das Gewerbe war von uns nicht erwünscht.“ An Geschäftsideen hat es nie gemangelt. Einmal, 2007, wurde Kasernenkommandant Wiedenbeck zur Wache gerufen, weil dort Leute warteten, die für ihr Flugzeug einen Dauerparkplatz gesucht haben. „Die wollten hier mit ’ner Boeing 727 landen und die Maschine dann in ein Restaurant-Flugzeug verwandeln. Dabei war die Truppe noch gar nicht abgezogen“, sagt der Hauptmann und schüttelt den Kopf.

    Kaserne könnte zivil genutzt werden

    Konkrete Vorstellungen, wie eine Kaserne zivil genutzt werden kann, hat auch Johann Thierer. Er hat noch mehr. Dem Mitgesellschafter und Geschäftsführer zweier Unternehmen, die Bauprojekte planen und verwirklichen, gehört die vormalige Prinz-Eugen-Kaserne, ein Gelände, 600 Meter lang, 600 Meter breit. Im Frühjahr 2005 ist der letzte Nachschubsoldat abgezogen, im November hat Thierer die Liegenschaft erworben – mit dem Plan, „Legoland ein zweites Bein zu verschaffen“. Der Geschäftsmann wollte im südlichen Bereich für ältere Kinder und Jugendliche ein Abenteuerland formen – Kino, Hochseilgarten, Beach-Volleyball und -Fußball inklusive. Kernstück sollte ein Badesee sein, um den sich Ferienhäuser gruppieren. Das alles existiert – allerdings bislang nur in Plänen und Zeichnungen.

    Die Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zum Industriegebiet erwies sich als Bumerang. Ein Logistikunternehmen, das Lärmbeschwerden künftiger Ferienhausbesitzer fürchtete, pochte auf Bestandsschutz. „Völlig illusionär“ sei die Dimension der geforderten Lärmschutzwälle, für die Thierer hätte sorgen müssen. Von solchen Auflagen sei in Gesprächen am Runden Tisch zuvor „nie die Rede gewesen“, sagt der Mann, der nach eigenem Bekunden „zu idealistisch“ agiert hat und sich von der Stadt Günzburg schlecht beraten fühlt.

    Verlierer sind bisher alle: Es ist die Stadt, die sich vor sechs Jahren nicht entschlossen hat, das Grundstück zu erwerben. Übrig bleibt bis heute eine Brachfläche am Rande Günzburgs, jedenfalls kein Augenschmaus. Und es ist der private Investor, der viel Kapital versenkt hat, eingestellte Mitarbeiter wieder entlassen musste und der durch vermietete Hallen an kleine Gewerbetreibende, Privatpersonen und Paintball-Spieler seine Verluste nicht ausgleichen kann. Der Bauplan lässt nur die Nutzung als Freizeitanlage zu. Jetzt denkt Thierer an eine „abgespeckte Variante“ – etwa eine Wohncontainer-Siedlung statt der Ferienhäuser – und hofft, „dass sich auch die Stadt bewegt“.

    Fehlende Flexibilität kritisieren auch Geschäftsleute, die im ehemaligen Leipheimer Fliegerhorst angesiedelt sind. „Hier wird alles rosarot gemalt, aber in Wirklichkeit ist es eine Katastrophe“, sagt ein Geschäftsmann, der „so einen Hals hat“. Mit seiner Hand macht er dabei eine ausladende Bewegung. Seinen Namen möchte er nicht nennen, „um es sich nicht zu verderben“. Kernpunkt seiner Kritik ist, dass der Zweckverband auf einem zu hohen Ross sitze und teilweise schwerfällig oder widerwillig auf Wünsche der Gewerbetreibenden reagiere. „Die Lage hier ist erste Sahne, der Umgang mit uns nicht“, bringt es ein Unternehmer auf den Punkt.

    Bürgermeister kennt Kritik um die Kaserne

    Leipheims Bürgermeister Christian Konrad nickt, als er in seinem Büro auf diese Kritik angesprochen wird. „Das ist mir bekannt“, sagt er. Ihm ist das Gebaren des Zweckverbandes, in dem seine Stadt selbst Mitglied ist, zuweilen zu bürokratisch. „Ich lege großen Wert auf Bürgernähe und stelle nicht die Frage, wo die Probleme liegen. Es geht um lösungsorientiertes Arbeiten.“ Die spröde Ansiedlungs-Praxis „entspricht nicht meinen Vorstellungen“, macht er die Schwierigkeit der Zusammenarbeit unter den Kommunen deutlich. Oft müsse man kitten. Und das nerve, gibt er zu. Gleichwohl sei es richtig gewesen, die einmalige Chance nach der Schließung zu ergreifen.

    Neben den Reibereien zwischen Käufern und Verkäufern sowie unter den Verkäufern selbst machen bei der Verwandlung des Areals vor allem Altlasten zu schaffen. Das sind nicht nur die abgeworfenen Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg, über die es nur unzureichende Informationen gibt. Eine baubegleitende Kampfmittelräumung ist beim Abtragen des Geländes deshalb immer mit dabei. Vor allem der Schrott, der teilweise im Boden liegt, macht die Umnutzung teuer. Außerdem unterstützt der Staat aus Konrads Sicht den Umbau nicht ausreichend. „Die Kommunen werden weitgehend allein gelassen.“

    Diese Sorgen hat die Stadt Neu-Ulm nicht mehr. Nach der Auflösung der US-Garnison im Juli 1991 sind zwei Jahrzehnte später aus den einstigen, über die Stadt verteilten Militärarealen vitale Quartiere geworden. Dabei ist die heimische Bevölkerung anfangs gar nicht auf den Geschmack gekommen, sich etwa auf dem Wiley-Gelände – dort wurde vornehmlich neuer Wohnraum geschaffen – niederzulassen. Die Vorstellungskraft hat bei vielen nicht gereicht, zu erahnen, was daraus einmal werden könnte, sagt Jörg Oberle. Er ist Stadtplaner in Neu-Ulm. Die Aussicht, jahrelang auf einer Baustelle zu wohnen, sei nicht leicht zu vermitteln gewesen. Und: „Die Menschen hier waren entwöhnt von diesem Gebiet, zu dem sie keinen Zugang hatten.“

    Es sei richtig und weitsichtig von der Kommunalpolitik gewesen, den Grund zu kaufen und so dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. In der Boomregion Ulm/Neu-Ulm mag das leichter sein als in ländlichen Regionen. Aber „jede Kommune kann sich ihrer Stärken besinnen“, sagt Oberle. Mit dem Militär verschwinde ein „statisches System“. Der Abzug der Soldaten habe hier dazu beigetragen, „heute attraktiver dazustehen als vor 20 Jahren. Unsere Innenstadt ist gestärkt.“

    Welche Entwicklung Leipheim einmal nehmen wird, weiß Hauptmann Wiedenbeck nicht. Seinen Abschied wird er nie vergessen. Als er nach der Schließung im Auto nach Hause fuhr, spielte der Radiosender Bayern 1 extra für die Soldaten aus Leipheim ein Abschiedslied. Elvis Presley sang „Muss i denn zum Städtele hinaus“. Wiedenbeck hat geheult wie ein Schlosshund.

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