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Bundeswehr: Gewehr ohne Gewähr: Experten bescheinigen G36 mangelnde Treffsicherheit

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Gewehr ohne Gewähr: Experten bescheinigen G36 mangelnde Treffsicherheit

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    Ein Gewehr G36 K
    Ein Gewehr G36 K Foto: Maurizio Gambarini, dpa

    Es ist noch gar nicht so lange her, da galt das G36 im Verteidigungsministerium als tadellose, moderne Waffe. Am 15. September 2013 - genau eine Woche vor der Bundestagswahl - gab der Pressestab eine bemerkenswert klare Stellungnahme dazu heraus. Anlass war einer von vielen Medienberichten über angebliche Präzisionsprobleme bei dem Standardgewehr der Bundeswehr.

    Die Vorwürfe seien längst bekannt und in Untersuchungen ausgeräumt worden, hieß es in der Pressemitteilung. "Die Waffe gilt als insgesamt zuverlässig. Beanstandungen der Truppe über das G36 liegen weder aus dem Einsatz noch aus dem Ausbildungsbetrieb vor." Ungenauigkeiten entsprächen "allgemein bekannten normalen physikalischen Gesetzmäßigkeiten".

    Die Zweifel an der Treffsicherheit des G36 waren zu diesem Zeitpunkt im Ministerium mindestens 22 Monate bekannt. Minister Thomas de Maizière haben sie fast seine ganze Amtszeit über begleitet. Drei Monate später wurde der CDU-Politiker gegen seinen Willen von seiner Parteifreundin Ursula von der Leyen abgelöst.

    Die hat eine neue Untersuchung zum G36 in Auftrag geben, deren Ergebnisse am Freitag im Ministerium eintrafen. Das Urteil der Fachleute ist eindeutig. Die Bundeswehr benötige ein Gewehr, dass sowohl bei Erhitzung durch Dauerfeuer als auch bei wechselnden klimatischen Bedingungen auf eine Entfernung von 300 Metern mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent treffe, heißt es in dem Bericht. "Das aktuelle Waffensystem erfüllt die Forderungen nicht."

    Das 372 Seiten starke Konvolut gilt als eine Art "Mastergutachten", weil daran nicht nur Experten der zuständigen Bundeswehr-Behörden, sondern auch Vertreter des Bundesrechnungshofs und des Ernst-Mach-Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft mitgearbeitet haben.

    Trotzdem ist mit den Untersuchungsergebnissen die G36-Affäre noch lange nicht abgeschlossen, sondern sie fängt jetzt erst so richtig an. Es geht um viel - für von der Leyen, ihren Vorgänger und Kabinettskollegen de Maizière und für den Hersteller Heckler & Koch.

    Für von der Leyen ist es die Bewährungsprobe bei ihrem wichtigsten Projekt dieser Amtszeit: Aufräumen im Rüstungsbereich. Am G36 will sie nun untersuchen lassen, was an den Strukturen im Ministerium faul ist. Eine Kommission unter Leitung des Commerzbank-Aufsichtsratschefs Klaus-Peter Müller soll diese Aufgabe übernehmen.

    Es gab eine Initiative aus der Bundeswehr, das Gewehr zu verändern

    Allerdings gerät die Chefaufklärerin inzwischen auch selbst in die Kritik. Zwischen ihrem Amtsantritt und dem Untersuchungsauftrag lag ein halbes Jahr. In dieser Zeit wurden weiter Gewehre ausgeliefert. 2014 waren dafür nach Oppositionsangaben zwölf Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Es gab auch einen Rechnungshofbericht und eine Initiative aus der Bundeswehr, das Gewehr zu verändern. Der Vorwurf an von der Leyen lautet: Sie hätte noch früher reagieren können. 

    Sollte die Müller-Kommission Verfehlungen feststellen, fielen diese nach jetzigem Stand aber wohl in erster Linie auf de Maizière zurück. Der heutige Innenminister hat bereits eine Rüstungsaffäre hinter sich, die ihn 2013 fast das Amt des Verteidigungsministers gekostet hätte. Damals ging es um die Aufklärungsdrohne "Euro Hawk", deren Entwicklung wegen Problemen bei der Zulassung für den deutschen Luftraum abgebrochen wurde. Es gibt viele Ähnlichkeiten zum Fall G36. Auch jetzt geht es wieder darum, dass auf Warnsignale lange Zeit nicht reagiert wurde.

    Heckler & Koch wird mit allen Mitteln um seinen Ruf kämpfen. Das Unternehmen hat bereits Ermittlungen des Bundeskriminalamts gefordert und behält sich rechtliche Schritte wegen Rufschädigung vor. Gut möglich, dass die Affäre irgendwann vor Gericht landet. Denn auch das Verteidigungsministerium prüft Schadenersatzansprüche gegen den Hersteller.

    Die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss beobachten staunend, welche Dynamik die G36-Affäre entwickelt hat, nachdem die Zweifel an der Treffsicherheit mehr als drei Jahre lang kaum Konsequenzen hatten. Die Opposition will nun erst einmal abwarten, was die Aufklärungsbemühungen von der Leyens bringen. Zumindest die Linke ist aber bereits in den Startlöchern für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. dpa

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