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Bundeswehr: Die Ministerin muss sich verteidigen

Bundeswehr

Die Ministerin muss sich verteidigen

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    Fahrstuhl zum Kreuzverhör: CDU-Ministerin Ursula von der Leyen und ihr Tross auf dem Weg zur Sondersitzung des Verteidigungsausschusses. 
    Fahrstuhl zum Kreuzverhör: CDU-Ministerin Ursula von der Leyen und ihr Tross auf dem Weg zur Sondersitzung des Verteidigungsausschusses.  Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die alte Schule von Franco A. in Offenbach trägt die Auszeichnung „

    Der Fall mache die Kollegen daher betroffen und beschäftige sie grundsätzlich, sagt Schulleiter Harald Stripp. Allerdings habe Franco A. die Schule bereits vor neun Jahren verlassen. „Das ist eine lange Zeit, in der sich Menschen weiterentwickeln und ihrem Leben eine Richtung geben können, die man als Pädagoge nur schwer voraussehen oder beeinflussen kann.“ Wann hat sich der 28-Jährige radikalisiert? Seinen alten Lehrern ist Franco A. heute ein Rätsel, wie auch vielen anderen bei der Bundeswehr.

    Der mutmaßlich rechtsextreme Oberleutnant steht unter Terrorverdacht. Er soll laut Bundesanwaltschaft zusammen mit seinem Offenbacher Kumpel Mathias F. und dem vorgestern festgenommenen Soldaten Maximilian T. aus dem benachbarten Seligenstadt einen Angriff auf das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens geplant haben, die sich in Ausländer- und Flüchtlingsangelegenheiten engagieren. Als Anschlagsopfer hätten die drei Männer unter anderem den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck und SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas im Visier gehabt. Die Anschläge sollten offenbar Islamisten und Flüchtlingen in die Schuhe geschoben werden.

    Nachdem der rechtsextreme Soldat aber aufflog, gerät nun Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen unter immer stärkeren Erklärungs- und Handlungsdruck. Gestern musste die CDU-Politikerin wegen der Affäre dem Verteidigungsausschuss in einer Sondersitzung Rede und Antwort stehen. „Ich bin mir völlig darüber im Klaren“, so die Ministerin, „dass wir einen breiten Prozess innerhalb der Bundeswehr selber haben, den wir gemeinsam gehen müssen, vom Rekruten bis zum General, vom Referenten bis zur Ministerin.“ Es gehe nicht nur um die innere Führung und das Disziplinarwesen der Truppe, sondern auch um die politische Bildung von Soldaten und den sogenannten Traditionserlass.

    Diese Vorschriften mit den „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr“ wurden erstmals 1965 niedergelegt. Weil die Bundeswehr auch mithilfe vieler ehemaliger Wehrmachtssoldaten aufgebaut worden war, sollte so eine unkritische Anlehnung an die Vergangenheit unterbunden werden. 1982 folgte die bis heute gültige Version: „Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen“, heißt es darin. Aber auch diese Fassung lässt Fragen offen: So ist „das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen“ ausdrücklich erlaubt. Ihr Zur-Schau-Stellen muss aber „die Einordnung in einen geschichtlichen Zusammenhang erkennen lassen“.

    Von der Leyen kündigte nun eine Überarbeitung wegen der jüngsten Skandale an. Die von 1982 stammende Fassung enthalte „viel Gutes“, lasse aber „Hintertüren offen“. Ob es überhaupt noch Ausstellungen von Wehrmachts-Erinnerungsstücken wie Helmen oder Soldatenbildern in Kasernen geben soll, wird nun im Ministerium beraten.

    Von der Leyen sicherte zudem die weitere Aufklärung des Falls Franco A. zu. Sie bestätigte Muni-tionsfunde, „die aus den Beständen der Bundeswehr stammen“. Unter anderem geht es um rund tausend Schuss Munition, die im Umfeld von Franco A. entdeckt wurden. Für die Ministerin ist die Affäre aber damit nicht ausgestanden. Von der Leyen habe „viel zu spät oder gar nicht reagiert“, kritisierte der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold nach der dreistündigen Befragung im Verteidigungsausschuss. Er forderte, den Militärischen Abschirmdienst (MAD) wieder besser auszustatten, um rechtsextremistische Verdachtsfälle zu verfolgen, und kritisierte entsprechende Sparmaßnahmen bei der Bundeswehrreform.

    In Offenbach geht indes die Spurensuche weiter, warum sich dort eine mögliche neue rechte Terrorzelle gebildet haben könnte. Die hessische Stadt mit ihren rund 130000 Einwohnern gilt als die Stadt mit dem höchsten Ausländeranteil in Deutschland. Franco A. wuchs im Nordend auf – einem dicht besiedelten innerstädtischen Quartier mit hohem Migrationsanteil. Sein Vater soll Italiener sein. Franco A. fiel seiner multikulturellen Heimat nicht besonders auf. „Er hat sich sehr unauffällig verhalten“, berichtet Polizeisprecher Henry Faltin. Sein mutmaßlicher Komplize Mathias F., 24, der bis zu seiner Festnahme Ende April im hessischen Friedberg Wirtschaftsingenieurwesen studierte, sei der Polizei ebenfalls nicht bekannt gewesen. Ohnehin gebe es keine besondere rechte Szene in Offenbach, meint der Polizeisprecher. Verfassungsschützer erklären jedoch, dass einzelne Rechtsextremisten selten an ihren Wohnorten öffentlich mit verfassungsfeindlichen Aktionen in Erscheinung treten.

    Die beiden verdächtigen Offen-bacher Franco A. und Mathias F. sollen sich vom Rudern her kennen, Maximilian T. ist ein weiterer Freund. Ein früherer Ruder-Trainer beschreibt Franco A. als „ehrgeizig, korrekt und offen“. Eine extreme Gesinnung sei ihm „überhaupt nicht aufgefallen“. Er habe erfolgreich trainiert und sei sogar mehrfach Hessenmeister gewesen. (dpa, afp, pom)

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