Wird am Sonntag die Saat für eine künftige Ampel-Koalition im Bund gelegt? Jedenfalls beginnen dann in Berlin die Gespräche – zunächst zwischen SPD und FDP, anschließend mit den Grünen. Das bestätigte am Mittwochnachmittag SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Zuvor hatten sich bereits die Spitzen von Grünen und FDP getroffen. Beide Parteien werden auch von der Union umworben, die, obwohl bei der Wahl nur zweiter Sieger, ein Jamaika-Bündnis schmieden möchte.
SPD-Chef Walter-Borjans übt heftige Kritik an Laschet
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wurmt das gewaltig. Gegenüber unserer Redaktion bekräftigte er den Machtanspruch seiner Partei: „Die Regierungsbildung erfolgt diesmal unter besonderen Vorzeichen. Die Vorgängerin des künftigen Bundeskanzlers scheidet aus dem Amt, und die Wählerinnen und Wähler haben unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, wen sie als Nachfolger wollen und wen nicht.“
Scharfe Kritik übt er am Kanzlerkandidaten der Union: „Dass Armin Laschet es bis zum heutigen Tag nicht fertigbringt, die Total-Abfuhr der Wähler anzuerkennen, sondern stattdessen verbissen um jeden Millimeter Macht feilscht, ist ein beschämendes Armutszeugnis für ihn und die ihn tragenden Parteien CDU und CSU.“ Die SPD wolle nichts überstürzen, aber auch nicht unnötig Zeit verlieren. Walter-Borjans: „Dass sich die potenziellen Partner untereinander austauschen wollen, ist zu respektieren. Klar ist dabei aber, dass der Auftrag zur Regierungsbildung bei der SPD liegt.“
SPD-Fraktionsvorsitzender Mützenich im Amt bestätigt
Olaf Scholz als neuen Bundeskanzler verkünden, das kann die SPD also noch nicht – erst müssen Grüne und FDP überzeugt werden. Während noch nicht sicher ist, ob das wirklich gelingt, trifft die Partei bereits andere wichtige Personalentscheidungen. So wählt die um 53 auf 206 Abgeordnete angewachsene Bundestagsfraktion am Mittwoch in ihrer ersten regulären Sitzung ihren Vorsitz. Die Entscheidung ist keine Überraschung: Der alte Fraktionschef ist auch der neue. Mit 97 Prozent der Stimmen wird Rolf Mützenich im Amt bestätigt. Der 62-Jährige hatte den Fraktionsvorsitz 2019 von Andrea Nahles übernommen, als die überraschend alle Parteiämter niederlegte.
Mützenich wird der Parteilinken zugeordnet, Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der als pragmatisch und wirtschaftsfreundlicher Sozialdemokrat gilt, hatte sich dafür ausgesprochen, dass der Kölner weiter Fraktionschef bleibt – dieser sei „ein guter Mann“. Dadurch, dass er selbst nicht nach der Fraktionsspitze griff, hatte Scholz auch klargemacht, dass er voll auf die Kanzlerschaft setzt. Würde Scholz tatsächlich Nachfolger von Angela Merkel (CDU), käme dem Chef der SPD-Riege im Bundestag eine Schlüsselfunktion zu. Er müsste die Mehrheiten für den Kanzler organisieren, was bei mutmaßlich drei Koalitionspartnern keine leichte Aufgabe wäre. Schon in der deutlich verjüngten SPD-Fraktion selbst gibt es große inhaltliche Spannungen zwischen linken und gemäßigten Kräften. Zuletzt herrschte ein Burgfriede, um das gemeinsame Ziel, mit Scholz den lange drohenden Sturz in die Bedeutungslosigkeit zu vermeiden, nicht zu gefährden. Bis zu einer Regierungsbildung dürften sich der linke SPD-Flügel und die oft rebellischen Jusos auch noch zurückhalten.
Über Schlüsselpositionen wird heftig spekuliert
Doch sobald die Regierung steht, bräuchte es einen durchsetzungsstarken Fraktionschef mit hohem Organisationstalent und Nerven aus Drahtseilen – Mützenich aber gilt als eher ruhiger, sensibler Zeitgenosse. So wird spekuliert, dass er nicht allzu lange auf diesem Posten bleibt. Gewählt ist er für zwei Jahre, doch parteiintern ist er für das Amt des Bundestagspräsidenten im Gespräch. Dieses Amt, formal das zweitwichtigste im ganzen Land nach dem Bundespräsidenten, steht nach der Bundestags-Tradition einer verdienten Kraft der stärksten Fraktion zu – noch amtiert CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble. Aber auch die SPD-Abgeordnete Aydan Özoguz wird als mögliche Kandidatin gehandelt.
Sollte Mützenich zum Bundestagspräsidenten aufsteigen, könnte etwa der jetzige Generalsekretär Lars Klingbeil Fraktionschef und Einpeitscher für Scholz werden. Neben Olaf Scholz gilt er in der SPD als größter Gewinner dieser Wahl. Der 43-Jährige managte den erfolgreichen Wahlkampf und wirkte als Bindeglied zwischen linken und pragmatischen, jungen und älteren Genossen. Jetzt ist Klingbeil aber erst einmal gefragt als Organisator der Sondierungs- und möglicher Koalitionsgespräche mit Grünen und FDP. Sonntag geht es los.