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Bundestagswahl: Serap Güler ist der Gegenentwurf der CDU zu Friedrich Merz

Bundestagswahl

Serap Güler ist der Gegenentwurf der CDU zu Friedrich Merz

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    Die 41-jährige Serap Güler gilt als Zukunftshoffnung der CDU.
    Die 41-jährige Serap Güler gilt als Zukunftshoffnung der CDU. Foto: Imago Images

    Es ist fast acht Uhr abends und Serap Güler hat noch nichts Richtiges gegessen heute. Sie schnappt sich eine Tüte Popcorn von einem der Stehtische. Letzter Termin an diesem Tag. Eine Fahrt auf dem Rhein, Leute treffen, Fotos machen, Smalltalk. Auf dem Schiff hat Armin Laschet gerade ein Interview gegeben. Güler verpasst ihn ganz knapp, er ist schon wieder von Bord gegangen. Weiter, immer weiter. Die Wochen sind eng getaktet, nur noch ein paar Tage bleiben, um die Stimmung zu drehen.

    Die zierliche Frau mit den langen schwarzen Haaren will in den Bundestag. Sie kandidiert für die CDU – gegen einen Mann, der zu den bekanntesten Abgeordneten im Parlament gehört: Karl Lauterbach. Der SPD-Politiker hat den Wahlkreis Köln-Leverkusen schon vier Mal gewonnen. Beide haben keinen sicheren Listenplatz, beide setzen auf das Direktmandat.

    „Eine seiner ganz großen Stärken ist, dass er gut verzeihen kann“, sagt Güler über Laschet

    Es ist einer der letzten lauen Abende dieses Sommers. Beim Spaziergang durch die Kölner Altstadt zum Rheinufer erzählt die 41-Jährige von ihrer ersten Begegnung mit Laschet und wundert sich selbst ein bisschen, wie lange das alles schon her ist. Heute gilt sie als eine seiner engsten Vertrauten. Güler ist Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen – und eine Entdeckung des Ministerpräsidentin. Sie gehört zum innersten Zirkel und damit zu den Leuten, die im Sog eines Kanzlers Laschet nach oben gezogen werden könnten, vielleicht sogar in ein Ministeramt in Berlin. Doch in den vergangenen Monaten ging es eben selten nach oben.

    Güler musste mit ansehen, wie die CDU in den Umfragen abstürzte, wie ihr Mentor wahlweise zur tragischen Figur oder zum Tollpatsch erklärt wurde. „Eine seiner ganz großen Stärken ist, dass er gut verzeihen kann“, sagt sie, während das Schiff gemächlich den Rhein entlang fährt. Am Tag, an dem die Union wieder zu hoffen beginnt.

    Der Rückstand auf Olaf Scholz und die SPD in den Umfragen ist erstmals seit Wochen geschrumpft. „Wie war er denn im Interview?“, fragt Güler zwei junge Männer, die sie mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Die beiden organisieren ihren Wahlkampf – und sind erwartungsgemäß zufrieden mit Laschets Auftritt. Was sollen sie auch sonst sagen, wenn ein Journalist mit am Tisch steht? Doch Güler gehört nicht zu jenen in der Union, die den eigenen Parteivorsitzenden allenfalls pflichtschuldig verteidigen. Sie unterstützt ihn selbst dann, wenn andere die Augen verdrehen. Auf dem Höhepunkt des Machtkampfs mit Markus Söder um die Kanzlerkandidatur wirft sie sich in Talkshows für ihren Chef in die Schlacht. Als Laschet in Interviews immer wieder gereizt wirkt, sagt sie, Emotionen in der Politik sei man nach den vielen Jahren mit Angela Merkel einfach nicht mehr gewöhnt. Beim Triell drückt sie hinter der Bühne im Studio die Daumen.

    Die Lebensgeschichte der CDU-Politikerin mit türkischen Wurzeln, seit 2010 deutsche Staatsbürgerin, könnte auch in einem Prospekt stehen, wie Integration gelingen kann. Ihr Vater kam als „Gastarbeiter“ – und blieb sein ganzes Leben. Vor kurzem ist er gestorben. Jahrzehntelang schuftet er unter Tage in einer Zeche und ruiniert dabei seine Gesundheit. Diagnose: Staublunge. Auf einem Heimatbesuch in den 70er Jahren lernt er eine junge Frau kennen. Sie heiraten und bauen sich ein neues Leben in Deutschland auf.

    Tochter Serap wird 1981 in Marl geboren. Vor allem ihrer Mutter ist es wichtig, dass das Kind gut Deutsch lernt. Güler macht Abitur, als erste in der Arbeiterfamilie. Sie absolviert eine Lehre als Hotelfachfrau, studiert Kommunikationswissenschaften und Germanistik. Bei einem Vortrag des Grünen-Politikers Cem Özdemir lernt sie zufällig den damaligen nordrhein-westfälischen Integrationsminister Armin Laschet kennen. Ein türkischer Fernsehsender braucht spontan Übersetzungshilfe. Güler springt ein, kommt mit Laschet ins Gespräch. Bald wird sie Referentin in seinem Ministerium und einige Jahre später zum Beweis dafür, dass es Menschen mit ausländischen Wurzeln eben auch in der CDU zu etwas bringen können. Seit neun Jahren ist sie Mitglied im Bundesvorstand der Partei.

    Der Kampf gegen Ausgrenzung wird zu ihrem politischen Thema. Laschets Interview auf dem Schiff an diesem warmen Septemberabend in Köln verpasst Güler, weil sie zeitgleich an einer Veranstaltung zum Thema Antisemitismus teilnimmt. Wenn eine Muslimin in einer christlichen Partei gegen den Hass auf Juden kämpft, ist das für sie gelebte Integration. „Ja, ich komme aus einem muslimisch geprägten Elternhaus, aber das Wichtigste, was meine Eltern mir vorgelebt haben, ist ein sehr stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden“, erzählt sie.

    Als Kind erlebte sie, wie Neonazis das Haus türkischer Familien anzündeten

    Als muslimische Demonstranten im Mai vor der Synagoge in Gelsenkirchen antisemitische Parolen grölen, ist sie eine der ersten, die harte Konsequenzen fordern. Doch der Hass sei nicht nur importiert, betont Güler. Mit aller Kraft müsse auch der Antisemitismus von Rechts bekämpft werden. Wer sich in der Union nicht klar von der AfD abgrenzt, bekommt es mit Güler zu tun. Sie war 13 Jahre alt, als Neonazis in Solingen ein Haus in Brand steckten, in dem türkische Familien lebten. Fünf Menschen kamen in den Flammen um. Als Kind beruhigte sie sich damit, dass auf dem Klingelschild ihres Hauses in einer Bergbausiedlung auch deutsche Namen standen. Das werden die Nazis schon nicht anzünden, dachte sie. Güler weiß, was es bedeutet, Angst zu haben. Und sie hat dieses Gefühl ihrer Kindheit nicht vergessen.

    Dass die CDU Hans-Georg Maaßen nominiert, bringt Serap Güler in Rage

    „Die AfD hat es geschafft, den Hass in unsere Parlamente hineinzutragen“, sagt sie heute. Als ihre Parteifreunde in Thüringen den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zum Kandidaten für die Bundestagswahl machen, platzt Güler der Kragen. „Ihr habt echt den Knall nicht gehört! Wie kann man so irre sein und die christdemokratischen Werte mal eben über Bord schmeißen? Ein bitterer Tag“, twittert sie. Das bringt ihr viel Applaus ein – und einen öffentlichen Rüffel von Friedrich Merz.

    Sie hat kein Problem damit, wenn sie in der Union als Gegengewicht zum Hoffnungsträger des stockkonservativen Lagers genannt wird, sagt aber auch: „Wir haben mehr Schnittmengen, als manche glauben. Klartext ist nur eine davon.“ Das ändert nichts daran, dass Güler wegen Leuten wie Heiner Geißler bei der CDU gelandet ist und nicht wegen Leuten wie Friedrich Merz. Im Umgang mit Rechtsaußen Maaßen tickt sie ausnahmsweise anders als Laschet. Oder sagt sie, was er nicht sagen kann, weil er die Parteifreunde im Osten nicht brüskieren will? Sagt sie es, damit alle wissen, wie Laschet wirklich über Maaßen denkt? Dass sie einen engen Draht zum CDU-Chef hat, ist schließlich kein Geheimnis.

    Serap Güler und ihr Mentor Armin Laschet. Als Ministerpräsident hat er sie zur Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen gemacht.
    Serap Güler und ihr Mentor Armin Laschet. Als Ministerpräsident hat er sie zur Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen gemacht. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Es ist dunkel geworden am Rhein. Die Restwärme verfliegt. Güler zieht sich einen schwarz-weiß gestreiften Pullover über, raucht eine Zigarette und bestellt eine Cola – ohne Kalorien, aber mit Koffein. Schlafen wird sie ohnehin nicht so bald. „Ich bin eine richtige Nachteule“, sagt sie und ihre beiden Wahlkampfmanager schmunzeln. Es kann schon mal sein, dass die letzten Nachrichten von der Chefin um drei Uhr morgens kommen. Wann machen wir wo Häuserwahlkampf? Wie ist das mit dem Boule-Spielen gegen die anderen Kandidaten? Und wann ist noch mal das dritte Triell?

    Nach drei, vier Stunden Schlaf steht Güler wieder auf der Matte. Ihren Mann trifft sie momentan eher im Vorbeigehen zu Hause. Auch die Laufschuhe stehen meist in der Ecke. Normalerweise geht sie zwei- bis dreimal pro Woche joggen. Doch aktuell zählt nur der Endspurt bis zur Wahl. Serap Güler glaubt unbeirrt, dass die Union das Ding noch drehen kann. Dass die Unentschlossenen am Ende doch CDU wählen, die Unzufriedenen eigentlich doch ganz zufrieden sind. Dass die Umfragen sowieso immer falsch lagen und die späte Unterstützung der Kanzlerin und der CSU nicht zu spät kommt.

    Dann könnte die Tochter eines türkischen Bergmannes, der 1963 nach Deutschland kam, um hier zu arbeiten und für immer blieb, bald in der Bundesregierung sitzen.

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