Die bekannteste Aussteigerin des Deutschen Bundestags ist wohl Angela Merkel. Nach 16 Jahren, geprägt von Wirtschafts- und Flüchtlingskrise und nun der Corona-Pandemie, hört die Kanzlerin auf. Dem Parlament gehören jedoch mehr als 700 Abgeordnete an und mit Merkel werden in diesem Herbst viele Politikerinnen und Politiker nicht mehr zur Wahl stehen.
Volker Kauder: Merkels treuester Vertrauter
So auch ihr vielleicht loyalster Vertrauter, Volker Kauder. Obwohl der konservative Protestant über manche Themen ganz anders dachte als die Kanzlerin, musste sich der CDU-Abgeordnete in der Rolle des Vertrauten schon einiges anhören: „Muttis Liebling“, „Merkels Vollstrecker“ oder gar ihr „Knecht“ sei er gewesen. Dabei war es kein einseitiges Treueverhältnis zwischen den beiden Christdemokraten. Der studierte Jurist hielt seiner Kanzlerin den Rücken frei und Merkel unterstützte ihn – zum Beispiel bei der letztlich gescheiterten Wiederwahl zum Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU im Jahr 2018. Doch nach 13 Jahren musste Kauder dieses Amt an den damals noch relativ unbekannten Ralph Brinkhaus abgeben. Zu gehorsam dem Kanzleramt gegenüber sei er gewesen. Seine Niederlage wurde auch zum Denkzettel für Merkel. Mit der endenden Wahlperiode und nach 30 Jahren im Bundestag für seinen Wahlkreis und Wohnort Rottweil-Tuttlingen im Schwarzwald sagt der 71-Jährige nun gänzlich Ade. Er möchte reisen und sich weiterhin mit seinem Lebensthema, dem religiösen Austausch, beschäftigen.
Gerd Müller: Von Schwaben hinaus in die Welt
Für Gerd Müller ist das Ende der politischen Laufbahn in Berlin zugleich ein Anfang. Der gebürtige Krumbacher gewann im Juli die Wahl zum neuen Chef für die Leitung der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (Unido) in Wien. Der 65-Jährige bleibt also bei seinem zentralen Thema der Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt. Ob brasilianische Favelas oder das Flüchtlingslager von Moria: Seit seiner Vereidigung zum Entwicklungsminister 2013 hat Müller viele Krisengebiete besucht und ist sicher: Politiker sollten ihre Entscheidungen nicht nur vom Schreibtisch aus treffen. Während seine CSU-Kollegen in der Flüchtlingskrise zur Polemik griffen (Stichwort „Asyltourismus“), bemühte sich Müller schon seit Jahren, die Ursachen von Flucht zu bekämpfen. Dieser Mission geht er nun weiter nach.
Schon Schröders Gesundheitsministerin: Ulla Schmidt
Auch Ulla Schmidt geht nicht so ganz. Mit der gebürtigen Aachenerin verlässt ein SPD-Urgestein den Bundestag. Den Höhepunkt ihrer Karriere erklomm die Tochter einer alleinerziehenden Fabrikarbeiterin, als der damalige Kanzler Gerhard Schröder sie 2001 als Gesundheitsministerin in sein Kabinett berief. Dort blieb sie in unterschiedlichen Koalitionen und Ressortzuschnitten bis 2009. Von 2013 bis 2017 war die frühere Sonderschullehrerin Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. „Aber 31 Jahre sind denn auch mehr als ausreichend. Jetzt sollen Jüngere im Parlament entscheiden“, sagt die 72-Jährige. Sie wolle erneut für den Bundesvorsitz der Lebenshilfe kandidieren, weiter das Kuratorium des Aachener Hospizes führen und sich sozial engagieren.
Einen gewaltigen Erfahrungsschatz nimmt Hermann Otto Solms mit in den Ruhestand. Nach knapp 40 Jahren im Bundestag und 26 Jahren im Amt des Bundesschatzmeisters geht der FDP-Politiker wohl als ewiger Fast-Finanzminister in die Bundestagshistorie ein. Der liberale Steuermann für Steuern und Finanzen brachte es nie so weit, doch seine Lebensaufgabe habe er erreicht, sagt er, die da lautet: „Die FDP ist in jeder Hinsicht solide aufgestellt. Auftrag erfüllt.“
Vom Sankt Martin zum Hinterbänkler Schulz
Als Heilsbringer der SPD wurde Martin Schulz angesehen. Der als Buchhändler ins Berufsleben gestartete Rheinländer errang Spitzenpositionen auf sämtlichen politischen Ebenen – vom Bürgermeisteramt im heimischen Würselen bis zum Präsidenten des Europäischen Parlaments. Mit 100 Prozent wurde Schulz unter frenetischem Jubel der Genossen und Genossinnen zum Parteichef der SPD gewählt. Es war – logischerweise – das beste Ergebnis der Nachkriegszeit. Die Partei feierte ihren „Sankt Martin“ und der „Schulz-Zug“ rollte durchs Land. Trotzdem scheiterte Schulz 2017 krachend als Kanzlerkandidat. Die SPD fuhr ihr schlechtestes Wahlergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik ein. Nach einem knappen Jahr als Bundesparteichef kündigte Schulz im Februar 2018 seinen Rücktritt an. Der 65-Jährige ist Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bei seiner Abschiedsrede im Bundestag, dem er seit 2017 angehört, sagte Schulz, er werde sich weiter für eine gerechte Gesellschaft einsetzen.
Thomas de Maizière war Merkels Allzweckwaffe
Nach zwölf Jahren will Thomas de Maizière nicht mehr für das Parlament kandidieren. Der gebürtige Bonner kann auf eine steile Karriere zurückblicken: Vom Redenschreiber über Posten in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen brachte er es zunächst zum Chef im Bundeskanzleramt unter Angela Merkel und schließlich zum Chef zweier Ministerien. Der CDU-Mann war gleich zweimal Innenminister – und zwischendurch Verteidigungsminister. Trotz seiner langjährigen Erfahrung wirkte de Maizière nervös, als er 2015 vor die Presse trat, nachdem ein Fußball-Länderspiel in Hannover wegen Terrorgefahr abgesagt werden musste. Sein Satz „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“ verunsicherte einen Teil der Bevölkerung. Mit bürokratischer Genauigkeit übernahm de Maizière als Merkels Allzweckwaffe seine ihm aufgetragenen Jobs. Und nun? „Ich bin jetzt 67 und war lange genug dabei, da sollten Ältere den Jüngeren Platz machen, gerade in so einer Krise“, sagt der promovierte Jurist. De Maizière will sich weiter in verschiedenen Funktionen engagieren, aber auch mehr Zeit zum Reisen und für die Familie haben. (mit dpa)