Nach der Wahl ist vor der Wahl: Nachdem sowohl die SPD als auch die Union Anspruch auf das Kanzleramt erheben, müssen die Koalitionsverhandlungen entscheiden, wer die nächste Bundesregierung bilden wird. Zwar versichern die Parteien, dass sie eine Hängepartie verhindern wollen. Doch die Erfahrung zeigt: Koalitionsgespräche können zäh verlaufen. Nach der Wahl 2017 dauerte es mehr als fünf Monate (genauer: 171 Tage), ehe die Groko an den Start gehen konnte.
Zwar endet die Wahlperiode des alten Bundestages spätestens 30 Tage nach der Wahl, dann muss das Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten. Das wäre der 26. Oktober. Allerdings gibt es eine Notfall-Regelung: Steht bis dahin die neue Regierung nicht, regiert die alte Regierung geschäftsführend weiter – sie hätte die gleichen Befugnisse wie bislang auch. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die Minister in dieser Zeit noch wichtige Entscheidungen treffen würden. Der weite Weg zum Regierungsbündnis könnte zudem ein Kuriosum mit sich bringen: Sollten sich die Koalitionsgespräche bis zum 17. Dezember hinziehen, würde auch Kanzlerin Angela Merkel so lange im Amt bleiben und doch noch den bisherigen Amtszeit-Rekord von Helmut Kohl brechen. Der "Kanzler der Einheit" brachte es zwischen dem 1. Oktober 1982 und dem 26. Oktober 1998 auf 5869 Tage als deutscher Regierungschef. Merkel wäre damit die am längste amtierende Kanzlerin.
Bundestagswahl 2021: Laschet-Kanzlerschaft nicht ausgeschlossen
Eine Regel, wie lange die Regierungsbildung höchstens dauern darf, gibt es auf Bundesebene nicht. "Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt", heißt es in Artikel 63 des Grundgesetzes. In Kommentierungen zum Grundgesetz heißt es, dass der Bundespräsident seinen Vorschlag innerhalb einer angemessenen Frist machen solle. Weitere gesetzliche Vorgaben gibt es nicht. Das ist in Bayern anders: Hier muss der Ministerpräsident vom neuen Landtag "spätestens innerhalb einer Woche nach seinem Zusammentritt" gewählt werden. Der Landtag tritt spätestens 22 Tage nach der Wahl zusammen. Unterm Strich macht das einen Monat zwischen Wahlabend und der Wahl des Ministerpräsidenten.
Nach der letzten Bundestagswahl war es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Druck auf SPD und Union machte, sich erneut zur von beiden ungeliebten Großen Koalition zusammenzuschließen. Er könnte auch dieses Mal Druck machen – und vielleicht sogar aus eigenem Interesse auf eine Führungsrolle der Sozialdemokraten hoffen. Denn Armin Laschet könnte versuchen, die Grünen von einer Partnerschaft zu überzeugen und ihnen im Gegenzug dafür das Amt des Bundespräsidenten anbieten. Steinmeier würde das Amt aber gerne behalten. Bei einem Kanzler Scholz wäre zumindest die Hemmschwelle höher, ihn abzusägen – immerhin ist Steinmeier Genosse. Auch die Zeit sitzt Steinmeier im Nacken: Die nächste Wahl des Bundespräsidenten soll am 13. Februar stattfinden.
Die Kanzlerin beziehungsweise der Kanzler wird nicht direkt vom Volk gewählt
Ausgeschlossen ist eine Kanzlerschaft von Armin Laschet nicht. Denn die neue Bundesregierung muss nicht automatisch angeführt werden von der Partei, die auch die Wahl gewonnen hat. Dafür gibt es ein historisches Vorbild: 1969 wurde Willy Brandt Kanzler einer sozialliberalen Koalition, obwohl seine SPD nur auf Platz zwei gelandet war. Gleiches geschah 1976. Ist das Betrug am Wählerwillen? Nein! Denn die Kanzlerin beziehungsweise der Kanzler wird nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von den Abgeordneten. Nur wer sich dort eine Mehrheit sichern kann, hat auch das Kanzleramt gewonnen. Der Bundeskanzler bestimmt schließlich die Minister sowie deren Ressorts.
Der Weltrekord für die längste Regierungsbildung liegt übrigens in Belgien: 541 Tage dauert es nach der Wahl 2010, bis das Land eine politische Führung gefunden hatte.