Lange konnte sich Olaf Scholz ganz entspannt anschauen, wie sich seine Rivalen im Kampf ums Kanzleramt selbst das Leben schwer machen. Als nahezu aussichtsloser Kandidat gestartet, wurde der SPD-Politiker zum Favoriten, ohne sich dafür besonders anstrengen zu müssen. Jetzt aber, da er in Umfragen vorne liegt, wird der 63-Jährige plötzlich selbst zum Gejagten und sieht sich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt mit einer Geschichte aus seiner Zeit als Regierungschef in Hamburg konfrontiert.
Hat Olaf Scholz mitzuverantworten, dass dem Staat zig Millionen entgingen?
Es geht um die skandalumwitterte Bank M.M. Warburg und– vereinfacht gesagt – um die Frage, ob Scholz eine Mitverantwortung dafür trägt, dass die Bank zig Millionen Euro aus dubiosen Cum-Ex-Geschäften nicht nachzahlen musste.
Eine willkommene Gelegenheit für die politische Konkurrenz, das Image vom verlässlichen und integren Staatsmann, das sich der SPD-Kandidat in den vergangenen Wochen erfolgreich aufgebaut hat, anzukratzen. „Im Bundestagswahlkampf geht es um die Frage, wem man Vertrauen kann und diese Geschichte wirft auf Olaf Scholz ein schlechtes Licht“, sagt der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold im Gespräch mit unserer Redaktion.
Er sieht nicht nur im Fall M.M. Warburg ein Glaubwürdigkeitsproblem des SPD-Politikers. Als regierender Bürgermeister habe Scholz sich nie sonderlich eingemischt, welche Geschäfte in Hamburger Banken, Unternehmen oder am Hafen gemacht werden. Und nach seinem Wechsel nach Berlin sei das nicht viel anders gewesen. „Herr Scholz war jetzt vier Jahre Finanzminister und hat in dieser Zeit gegen Finanzkriminalität und Steuerbetrüger wenig unternommen. Ob das Cum-Ex oder der Wirecard-Skandal war – der Aufklärungswille hält sich in engen Grenzen. Auch die Finanzaufsicht Bafin, die ihm unterstellt ist, hat ihren Job nicht gut gemacht“, kritisiert der Grüne.
Eine Koalition mit der Linken will der SPD-Kanzlerkandidat bislang nicht ausschließen
Die neuen Enthüllungen, die auch Hamburgs heutigen Regierungschef Peter Tschentscher – damals Finanzsenator – in Erklärungsnot bringen, sind nicht der einzige Punkt, an dem Scholz‘ Gegner ansetzen. Auch die Frage, ob der Sozialdemokrat gemeinsame Sache mit der Linkspartei machen würde, um ins Kanzleramt zu kommen, wird immer lauter gestellt. Das liegt an Scholz selbst, der sich um eine klare Antwort herumdrückt. Es liegt aber auch daran, dass Union und FDP das Szenario einer linken Mehrheit nutzen wollen, um damit die eigenen Anhänger zu mobilisieren.
Markus Söder unterstellt Olaf Scholz, ein "Erbschleicher" zu sein
„Wir müssen alles tun, um einen historischen Linksrutsch in Deutschland zu verhindern“, sagt CSU-Chef Markus Söder der Bild am Sonntag. Davon, dass Scholz in seiner eigenen Partei bis heute umstritten ist, weil er als nicht links genug gilt, lassen sich seine Gegner nicht beeindrucken. „Wenn Herr Scholz nur eine Stimme Mehrheit hat, wird er versuchen, dieses Bündnis auf den Weg zu bringen“, sagt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak dem Tagesspiegel über ein mögliches Linksbündnis – und bezeichnet den Kanzlerkandidaten als „politischen Hütchenspieler“. Söder attestiert Scholz den „unlauteren Versuch, eine Art Erbschleicher von Angela Merkel zu werden“.
Wenn die Deutschen die Kanzlerin oder den Kanzler direkt wählen könnten, läge Scholz schon seit Wochen meilenweit vor Armin Laschet und Annalena Baerbock. Damit hat der Vizekanzler inzwischen auch die SPD wieder nach vorne gezogen. Doch der Wind an der Spitze weht schärfer.