Ein Psychologe hätte wahrscheinlich seine helle Freude an Markus Söder. Seine Worte verraten ihn ebenso wie seine Gesten. Bei der Vorstandsklausur in Gmund am Tegernsee formuliert der CSU-Chef einen Satz, der – wenn man genau hinhört – tief in seine Gefühlswelt blicken lässt. Zu den Wahlchancen der Union mit CDU-Chef Armin Laschet als Kanzlerkandidat sagt Söder: „Die Union hat sich stabilisiert, aber sie ist noch nicht da, wo wir sie haben wollen.“ Der Subtext ist offenkundig: „Sie“, die Union – „wir“, die CSU. Da steckt alles drin: Maximale Distanz, erhobener Zeigefinger und vielleicht auch schon ein bisserl Vorsorge für sich selbst, falls die Bundestagswahl für die Union in die Hose gehen sollte.
Oder am Montagabend im ZDF: Moderatorin Bettina Schausten bemüht sich tapfer, im Interview mit Söder die Unterschiede zu Laschet in der Corona-Politik herauszuarbeiten. Der CSU-Chef umkurvt den heiklen Punkt mit einem Redeschwall. Was ihn verrät, ist ein leises Nicken, als Schausten sagt: „Armin Laschet drückt nicht so aufs Tempo wie Sie, hat man den Eindruck.“
Schon jetzt geht es um die Frage, wer schuld an einem schwachen Wahlergebnis wäre
Der Eindruck täuscht nicht. Es geht zwischen Söder und Laschet nicht nur darum, den erbitterten Machtkampf um die Kanzlerkandidatur vergessen zu machen und eine angeblich wiedergefundene, persönliche Harmonie vorzutäuschen. Es geht auch um zwei gegensätzliche Politikentwürfe – und gleichzeitig um die ganz und gar nicht triviale Frage, wer hinterher schuld ist, sollte die Union im Bundestag in der Opposition landen.
Laschet ist die erklärte Nummer 1. Auf ihn kommt es bis zum Wahltag an. Söder ist die Nummer 2, aber er weiß, dass seine Partei und große Teile der CDU ihn für den besseren Kandidaten gehalten hätten – und immer noch halten. Er ist überzeugt davon, dass CDU und CSU keinen „Schlafwagen-Wahlkampf“ führen dürfen und massiv mobil machen müssen, um sich die Kanzlerschaft zu sichern. Der Umfragevorsprung auf die Grünen ist zuletzt wieder geschmolzen. Ein Bild aus der Welt der Eisenbahn beschreibt es vermutlich ganz treffend: Der Heizer Söder schaufelt wie wild, legt immer noch eine Schippe drauf, um Druck auf den Kessel zu bringen, nur Lokführer Laschet gibt einfach nicht Gas.
Der Kanzlerkandidat gibt derzeit eine unglückliche Figur ab. Die Flutkatastrophe im eigenen Bundesland zwingt ihn, seine bequeme Zuschauerrolle im Wahlkampf aufzugeben. Doch anstatt als anpackender Landesvater die Stimmung zu seinen Gunsten zu drehen, muss er sich für eine Szene entschuldigen, die ihn in den kommenden Wochen genauso oft einholen wird wie der drängelnde Parteifreund aus München. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident scherzt vor laufenden Kameras, während sein Land Trauer trägt. Ein Fauxpas, für den er sich umgehend entschuldigt. Doch das größere Problem bleibt, dass Laschet immer öfter unsouverän und uninspiriert wirkt – im Landtag, in Fernsehinterviews. Dass er kritischen Fragen meist wortreich ausweicht, sich nicht auf bestimmte Positionen, Projekte oder Vorschläge festlegen will.
Nicht nur in der CSU hält man diese defensive Strategie für einen kapitalen Fehler. Auch eigene Parteifreunde bringt Laschet langsam zur Verzweiflung und im Internet sorgt inzwischen der sogenannte „Lasch-O-Mat“ für bissige Heiterkeit. Dort kann man einen beliebigen Begriff eingeben und erhält dazu inhaltsleere Worthülsen im vermeintlichen Stil des CDU-Vorsitzenden.
Und dann ist da eben auch noch dieser vor Kraft strotzende Bayer, der Laschet erst recht schwach erscheinen lässt. Als „nicht gerade hilfreich“ bezeichnet man in Düsseldorf Söders freundschaftliche Ratschläge an den Kanzlerkandidaten. Das ist wohl die Untertreibung des Jahres. In Wahrheit stellt der CSU-Chef die Frustrationstoleranz in der Schwesterpartei beinahe täglich auf eine harte Probe. Die CDU will Söder ins Leere laufen lassen, auch wenn mancher insgeheim darüber nachdenkt, wie ein Wahlkampf mit dem energiegeladenen Bayern gelaufen wäre.
Im Umfeld von Armin Laschet gilt die Devise: Markus Söder ins Leere laufen lassen
Nach außen hin aber hält die Fassade einigermaßen: „Das Beste ist, auf Durchzug zu schalten“, sagt jemand aus Laschets Umfeld. Nicht alle halten das auf Dauer durch. Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke zum Beispiel kommt aus dem Ruhrpott und liebt die politische Auseinandersetzung mit offenem Visier. „Söder nutzt ja gerne den Team Begriff: Team Vorsicht, Team Tempo und was man da schon gehört hat. Aus meiner Sicht ist es höchste Zeit für Team Teamplay“, sagt Radtke im Gespräch mit unserer Redaktion. In einem Punkt gibt er dem CSU-Chef Recht: „Im Schlafwagen kommen wir nicht im Kanzleramt an. Wer aber auf Warp Speed umschalten will, der muss auch Sorge tragen, dass alle Waggons in die gleiche Richtung rollen, sonst fliegen wir definitiv aus der Kurve.“
Laschet frustriert Söder frustriert Laschet. Hinter vorgehaltener Hand wird in NRW gelästert, man sollte dem bayerischen Ministerpräsidenten bei Gelegenheit vielleicht das Ranking der Bundesländer beim Impfen zukommen lassen, wenn er mal wieder glaube, den anderen die Welt erklären zu müssen. Tatsächlich liegt der Freistaat bei der Impfquote nur im hinteren Mittelfeld. Das Wort „Schaumschlägerei“ fällt öfter in diesen Tagen, wenn die Sprache auf Söder kommt.
In der CDU hat man durchaus das Gefühl, der bayerische Ministerpräsident wolle sich bewusst auf Laschets Kosten profilieren. Söder arbeitet auf eigene Rechnung. Ihm geht es darum, dass die CSU gut abschneidet – im Idealfall deutlich besser als die große Schwesterpartei. Dass verbessert die Argumentationslage nach der Wahl. Dass Söder künftig alles tun wird, um den Kanzlerkandidaten möglichst gut dastehen zu lassen, glaubt niemand mehr in Düsseldorf. Doch die Nadelstiche aus dem Süden schweißen die Truppe rund um Laschet inzwischen eher zusammen – auch wenn manchen angesichts der scheinbaren Ambitionslosigkeit der Nummer 1 ein bisschen Panik überkommt.
Eine, die sich immer hinter ihn gestellt hat, ist Serap Güler. Die 41-Jährige ist Staatssekretärin in Nordrhein-Westfalen und eine Vertraute des Ministerpräsidenten. Dass dieser momentan relativ dünnhäutig agiert, findet sie nicht. „Armin Laschet war immer ein Mensch, der sich nicht gescheut hat, Gefühle zuzulassen. Vielleicht sind wir das nach den vielen Jahren, in denen Angela Merkel einen so sachlichen, nüchternen Regierungsstil geprägt hat, einfach nicht mehr gewohnt. Aber denken Sie mal daran, wie Gerhard Schröder teilweise aufgetreten ist“, sagt Güler im Gespräch mit unsere Redaktion. Eine Gemeinsamkeit zwischen Laschet und Merkel sieht sie aber auch: „Beide wägen lieber erst einmal ab, machen Politik nicht nach dem aktuellen Tagestrend, beide lassen sich nicht von Umfragen treiben.“ Und offenbar auch nicht von Appellen aus München.
Söders jüngste Forderung, beim Klimaschutz endlich mehr Tempo zu machen, kontert Güler mit dem trockenen Hinweis: „Wenn man sieht, wie beispielsweise die strengen Regeln in Bayern den Bau von neuen Windrädern ausbremsen, muss man sich schon fragen, ob es nicht besser wäre, erst einmal selbst mit gutem Beispiel voran zu gehen.“
Der Eindruck bleibt: Markus Söder heizt an, Armin Laschet tritt auf die Bremse
Und doch hadert man in der CDU damit, dass sich der Eindruck verfestigen könnte, Söder sei der Heizer auf der Wahlkampflokomotive und Laschet der Bremser. Hier sieht der Europaabgeordnete Radtke eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. „Ich denke, bei Windkraft und Leitungsbau hätte Markus Söder gleich zwei Projekte, bei denen er ehrgeizig voran gehen kann, ohne als Klimacowboy anderen zu erklären, wie sie ihre Ranch zu bestellen haben“, sagt er und gibt den Kolleginnen und Kollegen aus Bayern gleich noch einen Tipp für den Endspurt im Wahlkampf: „Eine Lautstärke, bei der die Nachbarn im Alltag nicht gleich die Polizei rufen und ein CSU-Ergebnis deutlich über 40 Prozent – dann wird’s gemeinsam was im September.“
40 Prozent plus X? Das ist ohnehin das erklärte Wahlziel der CSU. Ratschläge aus der Schwesterpartei, die in den meisten Ländern von 40 Prozent nicht einmal träumen kann, allerdings hält man in Bayern – vorsichtig ausgedrückt – für verzichtbar. Der Europaabgeordnete und schwäbische CSU-Chef Markus Ferber, lässt seinen Kollegen aus dem Pott abblitzen: „Im Ruhrgebiet liegt die CDU auf Platz 3 hinter SPD und Grünen. Wenn der Herr Radtke dort mal annähernd so ein Ergebnis holt, wie die CSU in Bayern, dann darf er mitreden.“ Dann erst wäre die Union schließlich da, wo die CSU sie haben will.