Auf der Liste der Themen, über die im Wahlkampf-Endspurt am heftigsten diskutiert werden, rückt der Mindestlohn gerade ganz weit nach oben. SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz fordert eine außerplanmäßige Erhöhung von derzeit 9,60 Euro auf zwölf Euro, die Grünen ebenso. Auf 13 Euro gar will die Linkspartei den Betrag anheben. Union und FDP dagegen wehren sich gegen eine politische Festlegung und wollen weiter auf die mit Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern besetzte Mindestlohnkommission setzen.
Das Thema Lohnuntergrenze betrifft viele Wählerinnen und Wähler
Wie es mit der Lohnuntergrenze weitergeht, könnte nicht nur für die Wahl selbst, sondern auch danach für die Bildung eines Regierungsbündnisses entscheidend werden. Denn das Thema betrifft einen großen Teil der Bundesbürger direkt oder indirekt. Nach einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamts für die Linksfraktion, die unserer Redaktion vorliegt, erhalten derzeit rund zehn Millionen Menschen einen Bruttolohn, der unter zwölf Euro pro Stunde liegt. Das sind gut 26 Prozent der mehr als 38 Millionen Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland. In Bayern sind es gut 1,4 Millionen Menschen (22,5 Prozent der Beschäftigten), in Baden-Württemberg 1,25 Millionen Beschäftigte (21,8 Prozent), die weniger als den von Grünen und SPD geforderten Mindestlohn verdienen.
Rund 4,4 Millionen Menschen in Deutschland erzielen der Auswertung zufolge sogar einen Bruttoverdienst von weniger als zehn Euro pro Stunde – was 11,5 Prozent der Beschäftigten entspricht . Könnte sich die Linkspartei mit ihrer Forderung nach einem Mindestlohn von 13 Euro durchsetzen, würden mehr als zwölf Millionen Beschäftigte profitieren. Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch sagte unserer Redaktion: „Deutschland einig Niedriglohnland! Leider! Das ist die Bilanz von acht Jahren Union-SPD-Regierung und von acht Jahren SPD im Bundesarbeitsministerium.“
Der Linken-Politiker weiter: „Die Geschichte vom Hochlohnland ist eine Mär. Wenn allein in Bayern über 1,4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter zwölf Euro in der Stunde verdienen, dann haben wir ein großes Lohnproblem.“ Mit Blick auf eine mögliche rot-grün-rote Koalition für eine künftige Bundesregierung wirbt Bartsch: „Der von SPD und Grünen geforderte Mindestlohn ist nur mit der Linken durchsetzbar. Eine Mitte-Links-Regierung könnte in wenigen Wochen das Leben von Millionen hart arbeitenden Menschen verbessern und die Sozialkassen erheblich entlasten. Wir brauchen eine Gute-Löhne-Regierung für Deutschland.“
Wer von einem höherem Mindestlohn profitieren würde
Einer aktuellen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge würden von einer Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde vor allem Frauen profitieren. Denn dann würden nicht nur in Gastgewerbe oder Einzelhandel die Löhne steigen, sondern auch in Büros oder Arztpraxen, wo überdurchschnittlich viele Frauen arbeiten. Mitarbeiter kleinerer Betriebe ohne Tarifbindung würden ebenfalls gewinnen. Im Osten und Norden Deutschlands wo die Löhne tendenziell niedriger sind als im Süden und Westen der Republik, würde sich eine Erhöhung besonders stark auswirken.
Im dritten Fernseh-Triell der Kanzlerkandidaten hatten Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) in trauter Einigkeit die Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro gefordert. Unions-Spitzenkandidat Armin Laschet (CDU) lehnt dagegen eine Anhebung durch den Staat ab. Einen pauschalen Mindestlohn halte er „nicht für angemessen“. Statt dessen müssten die Tarifparteien die Löhne selbst aushandeln. Verbesserungen für Geringverdiener will Laschet mit einer Politik erreichen, „die mehr Wachstum und Arbeitsplätze schafft“.