Nun spricht jeder mit jedem. In schmucklosem Ambiente steigt am Sonntag auch die SPD in die Gespräche über die Regierungsbildung ein, seit der Bundestagswahl vor einer Woche die stärkste politische Kraft. Es ist eine laute und geschäftige Ecke in Berlin-Mitte, selbst am Sonntagnachmittag rumpeln ohne Pause Autos und Straßenbahn vorbei. In einem neutralen Bürogebäude beginnen die Sozialdemokraten ihre Gespräche zunächst mit dem FDP-Verhandlungsteam um Parteichef Christian Lindner, dann mit den Grünen.
Zwei Stunden wollten SPD und FDP reden. Es ist dann sogar rund 20 Minuten länger geworden. Die Grünen um Annalena Baerbock und Robert Habeck sind in dem Konferenzgebäude längst zum internen Vortreffen eingetroffen, als die Generalsekretäre von FDP und SPD, Volker Wissing und Lars Klingbeil, im Abendwind vor die Kameras treten.
FPD und SPD sprechen von "konstruktiven" Gesprächen
Ein gutes Zeichen, dass Gelb und Rot etwas länger redeten als gedacht? Wissing macht gleich deutlich: "Natürlich war auch klar, dass unsere inhaltlichen Positionierungen in wesentlichen Punkten auseinander liegen." Konstruktiv sei es gewesen - aber: "Klar ist, dass es Klippen gibt."
Klingbeil spricht von den "großen Herausforderungen" wie der Modernisierung des Staats und der Rolle Deutschlands in der Welt, vor denen eine neue Regierung stehe. Sehr zügig wolle man zu dritt zusammenkommen - also auch mit den Grünen. "Wir sind da klar - wir wollen Olaf Scholz als Kanzler."
Lindner hatte immer wieder eine Koalition mit der Union als erste Wahl der Liberalen betont, nun werden diese Zeuge von deren grundstürzenden Umwälzungen. Für Armin Laschet geht es bei den Sondierungen mit FDP und am Dienstag auch mit den Grünen um alles.
Lindner weiß das und beginnt den Tag mit einer Mahnung. CDU und CSU müssten klären, ob sie wirklich eine Regierung führen wollten, sagte er in der Bild am Sonntag. "Manche Wortmeldung der CDU spekuliert ja, dass erst Verhandlungen mit der SPD scheitern sollen, bevor die Union wieder ins Spiel kommt. Das kann man unserem Land nicht zumuten. Wir sind zu ernsthaften Gesprächen mit der Union bereit und erhoffen uns umgekehrt dasselbe."
Die SPD demonstriert neues Selbstbewusstsein
Die SPD demonstriert seit Tagen: Hier ist eine Partei mit neuem Selbstbewusstsein. Und mit einem Plan: Koalitionsverhandlungen ab Oktober, Erstellung der Koalition bis Dezember - so sagte es Parteichef Norbert Walter-Borjans in der "Welt am Sonntag".
FDP und Grüne hatten in den Tagen nach der Wahl schon geredet. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte bereits zum Wochenstart die Parole ausgegeben, dass das ok sei. Das Zauberwort, das Scholz, Mützenich und Co. für die Sondierungen ausgegeben haben: "Auf Augenhöhe" soll geredet werden. Scholz hofft sogar bereits auf eine besonders lange Dauer der gewünschten Regierung: Sie solle so gut sein, "dass sie auch wiedergewählt wird".
"Fortschritt" und "Aufbruch" schälen sich als die Leitbegriffe heraus. Sie sind dehnbar. Am konkretesten bisher: Noch ist das Digitalnetz oft lahm und noch sind die Verfahren zäh, die es bis zur Genehmigung von Stromtrassen braucht - beides zu ändern, könnte ein sichtbares Fortschrittsprojekt aller drei Koalitionspartner sein, wenn es nach Scholz geht.
Für die Grünen war die SPD im Wahlkampf stets der Wunschpartner. Die Partei will ihr Kernthema Klimaschutz mit Sozialpolitik verbinden und so auch dem Eindruck entgegentreten, Ökologie sei nur etwas für jene, die sich das leisten können. Schon deshalb haben die Überschneidungen mit den Sozialdemokraten in sozialen Fragen ein gewisses Gewicht.
Wie das gegenseitige Beschnuppern verlaufen ist, dazu verraten weder die beiden Grünen-Chefs und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil viel. Immerhin, Habeck bescheinigt der SPD etwas, das er über die strauchelnde Union derzeit mutmaßlich nicht sagen würde: eine Bereitschaft, "tatsächlich noch einmal neu zu starten, eine Dynamik zu entfachen, die dann auch die liegengebliebenen Probleme vielleicht lösen kann". Klingbeil seinerseits drückt aufs Tempo: "Wir haben viele Dinge im ersten Schritt klären können, und die SPD ist jetzt bereit für Dreiergespräche" - also einschließlich der FDP.
Eine Absage an Jamaika würde die Position der Grünen schwächen
Obwohl eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP die Lieblingsoption vieler Grüner ist: Eine so genannte Jamaika-Koalition mit CDU/CSU und FDP absagen wollen sie vorerst nicht. Schon aus Taktik. Die Grünen würden ihre Position entscheidend schwächen.
Am Abend steigt mit der Union dann auch der große Wahlverlierer in die Gespräche ein. Und keine Frage - das Treffen mit der FDP dürfte die einfachere Runde für CDU und CSU sein. Nachdem es zuletzt aussah, als bekomme CDU-Chef Armin Laschet die eigenen Reihen nach der historischen Pleite kaum mehr geschlossen, wollen FDP und Grüne darauf eine Antwort. Mit einer Unionsspitze, wie sie sich zuletzt präsentierte, könne die viertgrößte Industrienation nicht regiert werden, ist aus den Reihen der potenziellen Partner zu hören.
Keine Frage, die Union braucht ein Wunder, will sie sich nach der Wahlpleite doch noch in der Regierung behaupten. Aus Spitzen der Union war vor dem Treffen zu hören, dass es durchaus ein Vorteil sein könnte, erst nach dem Gespräch von SPD und FDP an der Reihe zu sein: Dann sei klarer, wie die Angebote der SPD lauteten.
Zum Gespräch auf dem Euref-Campus in Berlin-Schöneberg erscheinen Söder und Laschet nacheinander. Söder sieht nach der zweistündigen Vorbesprechung der Union nicht wirklich zuversichtlicher aus als in den vergangenen Tagen, Laschet kommt wie oft ziemlich auf den letzten Drücker. Sonderlich angespannt wirkt er nicht.
Wie schon im Wahlkampf ist es Söder und Laschet auch in den vergangenen Tagen nicht wirklich gelungen, Geschlossenheit zu demonstrieren. Aus den Reihen von CSU (und CDU) ist aber auch zu hören, dass die Sorge vor einer entkernten Union als Preis für eine Regierung die Vorfreude auf Jamaika massiv schmälere. Andere vermuten, die CSU würde mit mehr Einsatz sondieren, bestünde eine Chance, dass der künftige Kanzler doch noch Söder heißen könnte. Dafür wiederum müsste Laschet selbst seine Reißleine ziehen. (dpa)