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Bundestagspräsident: Lammert attackiert das Verfassungsgericht

Bundestagspräsident

Lammert attackiert das Verfassungsgericht

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    Norbert Lammert gibt seine Zurückhaltung auf. (Symbolbild)
    Norbert Lammert gibt seine Zurückhaltung auf. (Symbolbild) Foto: Michael Kappeler (dpa)

    Seine Tage als Nummer zwei im Staate sind gezählt. Für den neuen Bundestag, der am 24. September gewählt wird, tritt Norbert Lammert nicht mehr an, damit endet auch seine zwölfjährige Amtszeit als Präsident des Parlaments. Doch zum Ende seiner Präsidentschaft gibt Lammert seine noble Zurückhaltung auf und bläst zur Attacke gegen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

    Lammert beklagt die starke richterliche Einmischung

    So groß scheint sein Ärger über so manches Urteil der Hüter der Verfassung während seiner Amtszeit zu sein, dass er den ungeschriebenen Grundsatz, wonach kein Verfassungsorgan ein anderes öffentlich kritisiert, beiseiteschiebt und in ungewöhnlich scharfer Form in einem fast ganzseitigen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Donnerstag das oberste Gericht Deutschlands abkanzelt.

    Sein Hauptvorwurf: Die Richter seien mittlerweile mehr als bloße Hüter der Verfassung und würden sich zu intensiv in die Arbeit des Gesetzgebers einmischen. Es gebe einen „richterlichen Übereifer“, Dinge zu regeln oder sich selbst Zuständigkeiten einzuräumen, „die eigentlich andere haben“, so Lammert. Das Gericht habe seine „kluge Zurückhaltung“ der Vergangenheit aufgegeben und den Gesetzgeber herausgefordert, „indem es die geltende Verfassung durch schöpferische Auslegung weiterentwickelt“.

    Befugnisse könnten zurückgedrängt werden

    Und dann zieht Lammert das Schwert aus der Scheide und droht unverhohlen mit einer Änderung des Grundgesetzes, um die Befugnisse des Gerichts zurückzudrängen. In Lammerts Worten liest sich das etwas harmloser, doch die Drohung ist unmissverständlich: „Ein sich in seinen Gestaltungsspielräumen limitiert sehender Gesetzgeber wird sich im Übrigen womöglich zu wehren suchen, indem er Dinge, für die nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts eine hinreichende verfassungsrechtliche Legitimation bislang noch nicht bestanden hat, seinerseits in die Verfassung schreibt, um für künftige Fälle eine ungewollte Rechtsprechung möglichst zuverlässig zu verhindern.“

    Die offene Kampfansage an das Verfassungsgericht begründet Lammert unter anderem mit dem Urteil zum Wahlrecht, das wegen der Überhang- und Ausgleichsmandate möglicherweise einen aufgeblähten Bundestag mit bis zu 700 Abgeordneten zur Folge hat. Die strengen Vorgaben der Karlsruher Richter zum Ausgleich der Überhangmandate seien verfassungsrechtlich nicht zwingend gewesen, so Lammert – mehr noch, in ihren praktischen Konsequenzen würden sie sich „als problematisch“ erweisen. Das Verfassungsgericht habe nicht nur „Leitplanken“ gesetzt, sondern den Gesetzgeber „eingemauert“.

    Lammert ruft zur Zurückhaltung auf

    Im Gegenzug habe Karlsruhe wichtige Kontrollrechte des Bundestags eingeschränkt, beklagt der Präsident des Bundestags. Im Falle der NSA-Selektorenliste ließ das Gericht die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung „nur sehr restriktiv“ zu „und bestätigte insofern Auskunftsrechte nicht, die die parlamentarische Mehrheit der Minderheit grundsätzlich zugestanden“ habe. Und bei der Umsetzung von europäischem Recht in nationales Recht sei der Bundestag durch die Karlsruher Urteile „an die nunmehr weiterreichenden Vorgaben des Gerichts gebunden“. Es gebe keinen Grund dafür, dass „diese Letztentscheidungskompetenz dem Bundesverfassungsgericht zukommt“. Und dann wird Lammert noch einmal deutlich und unterstreicht den Vorrang der Legislative vor der Judikative: „Der Ort, dieses Spannungsverhältnis zwischen Unionsrecht, nationalem Verfassungsrecht sowie gesellschaftspolitischem Diskurs in diesem Grenzbereich auszuhandeln und weiterzuentwickeln, ist nicht das Gericht, sondern das Parlament.“

    Als Fazit schreibt Norbert Lammert den Karlsruher Richtern ins Stammbuch, mehr Zurückhaltung an den Tag zu legen. „Die Stabilität unseres politischen Systems beruht auf der Balance der Verfassungsorgane – und auf ihrer gemeinsamen Verantwortung vor der für alle verbindlichen Verfassungsordnung, die diesen Respekt verdient und braucht.“

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