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Bundestag: Handstreich im Melderecht korrigiert

Bundestag

Handstreich im Melderecht korrigiert

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    Sollen Meldeämter Daten wie Namen und Adressen ohne ausdrückliche Einwilligung der Bürger an Firmen weitergeben? "Nein" lautet das Ergebnis des Vermittlungsausschusses.
    Sollen Meldeämter Daten wie Namen und Adressen ohne ausdrückliche Einwilligung der Bürger an Firmen weitergeben? "Nein" lautet das Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Foto: Nicolas Armer dpa

    Eine Sternstunde des Parlaments war es wahrlich nicht. Am Abend des 28. Juni 2012 vergangenen Jahres – im Fernsehen lief die Live-Übertragung des Halbfinales zwischen Deutschland und Italien bei der Fußball-Europameisterschaft – verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition das „Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens“. Im weiten Rund des Reichstagsgebäudes verloren sich gerade einmal 26 Abgeordnete, eine Aussprache fand nicht statt, Vertreter der Koalition wie der Opposition gaben ihre Reden „zu Protokoll“, nach nicht einmal einer Minute war das Gesetz verabschiedet.

    Gesetzesänderung sollte Kommunen "immensen Arbeitsaufwand" ersparen

    Hinterher allerdings war die Empörung umso größer. Denn mit ihrer Mehrheit hatten Christdemokraten und Liberale zuvor im Rechtsausschuss des Bundestags eine entscheidende Veränderung an dem Gesetz vorgenommen. Sah der ursprüngliche Entwurf von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vor, dass die Meldeämter der Städte und Gemeinden die Daten nur dann an Dritte weitergeben dürfen, wenn der Betroffene dem ausdrücklich zugestimmt hat, kehrte die Koalition das ins Gegenteil um.

    Das missglückte Meldegesetz - eine Chronologie

    28. Juni: Der Bundestag verabschiedet das neue Meldegesetz. Darin eingeschlossen: Eine kurzfristig von CSU und FDP eingebrachte Änderung, nach der sich Bürger nicht mehr so einfach gegen die Weitergabe ihrer Daten wehren können.

    An der Abstimmung nehmen nur 27 Abgeordnete teil - zeitgleich läuft das EM-Halbfinale Deutschland-Italien.

    In Pressemitteilungen kritisieren Oppositionspolitiker - darunter die Nördlinger SPD-Abgeordnete Gabriele Fograscher - die Neuregelung. Das große Medienecho bleibt aber zunächst aus.

    In den nächsten Tagen berichten mehrere Fachportale wie heise.de und Blogs wie netzpolitk.org über den geschwächten Datenschutz im Meldewesen.

    05. Juli: Die SPD kündigt an, das vom Bundestag beschlossene neue Meldegesetz im Bundesrat doch noch stoppen zu wollen.

    6. bis 8. Juli: Die Neuregelung schlägt jetzt immer höhere Wellen in den Medien.

    8. Juli: Auch Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sieht nun Nachbesserungsbedarf beim neuen Meldegesetz. «Nach dem Beschluss des Bundestags sehe ich hier noch Diskussionsbedarf», sagt sie der «Berliner Zeitung».

    9. Juli, vormittags: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) lehnt vorschnelle Kritik an dem vom Bundestag verschärften Meldegesetz ab. Der Datenschutz werde dadurch gegenüber der jetzigen Rechtslage verbessert, sagt er vor den Medien.

    9. Juli, vormittags: CSU-Chef Horst Seehofer kündigt an, das vom Bundestag verschärfte Meldegesetz zu stoppen. «Wenn das stimmt, was ich bisher weiß, dann wird Bayern dem nicht zustimmen», sagt er.

    9. Juli, später Vormittag: Die Bundesregierung distanziert sich vom Meldegesetz. Man gehe davon aus, dass es im parlamentarischen Verfahren wieder verändert werde.

    9. Juli, nachmittags: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich rechnet nach eigenen Angaben fest damit, dass der Bundesrat das umstrittene Meldegesetz zumindest in Teilen entschärft.

    6. September: Der Innenausschuss des Bundesrates plädiert dafür, dass der Vermittlungsausschuss von Länderkammer und Bundestag sich den Entwurf noch einmal vornimmt und korrigiert.

    Nach der Neufassung durften die Daten grundsätzlich weitergegeben werden, außer der Betroffene hatte dagegen Widerspruch eingelegt. Diese Änderung erfolgte vor allem auf Wunsch des CSU-Innenexperten Hans-Peter Uhl, der dies mit den Interessen der Meldeämter begründete. Die Widerspruchslösung sei der effizientere Weg, der den Kommunen einen „immensen Arbeitsaufwand“ erspare. Zudem gebe es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „kein Recht, sich zu verstecken“. Auch Friedrich begrüßte die Änderung als Verbesserung.

    Meldeämter dürfen nur bei ausdrücklicher Zustimmung Adressen weitergeben

    Doch nicht nur SPD, Grüne und Linke liefen Sturm gegen die Neufassung des Meldegesetzes, auch CSU-Chef Horst Seehofer und CSU-Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner fielen ihren eigenen Rechtsexperten in den Rücken, distanzierten sich von dem Gesetz und kündigten an, die Neuregelung stoppen zu wollen. Im Herbst stimmte der Bundesrat schließlich mit großer Mehrheit dagegen und rief den Vermittlungsausschuss an. Dort kam es nun zu einer Einigung. Bund und Länder, schwarz-gelbe Koalition und rot-grüne Opposition einigten sich nach zähen Verhandlungen auf einen Kompromiss, der weitgehend wieder den ursprünglichen Zustand des Gesetzentwurfs herstellt.

    Demnach dürfen die Meldeämter die Namen und Adressen nur dann zu Werbezwecken an Firmen weitergeben, wenn die Betroffenen dem ausdrücklich vorher zugestimmt haben. Dazu sollen sie entweder eine generelle Zustimmung bei der Meldebehörde hinterlegen oder aber das Unternehmen, das die Daten nutzen will, muss das Einverständnis der Betroffenen einholen.

    Verstoßen Werbehändler gegen das Gesetz, droht Bußgeld

    Und: Empfänger von Meldedaten dürfen diese nur für den Zweck verwenden, für dessen Erfüllung sie übermittelt wurden. Danach sind die Daten zu löschen. Um auf Nummer sicher zu gehen, erhalten die Meldeämter das Recht, stichprobenartig zu prüfen, ob sich Adresshändler und Werbefirmen an das Gesetz halten, bei Verstößen soll ein Bußgeld fällig werden.

    „Wir haben uns auf ganzer Linie durchgesetzt“, jubelte die SPD-Innenexpertin Gabriele Fograscher aus dem schwäbischen Nördlingen gegenüber unserer Zeitung. „Schwarz-Gelb hat keinen großen Widerstand mehr geleistet.“ Die Neuregelung sei im Sinne der Bürger und Verbraucher und schiebe einem unkontrollierbaren Handel mit Adressen einen Riegel vor.

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