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Bundestag: AfD nutzt Corona-Debatte zur Abrechnung mit der Regierung

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AfD nutzt Corona-Debatte zur Abrechnung mit der Regierung

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    Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD, hat die Regierung im Bundestag für ihr Vorgehen in der Corona-Krise kritisiert.
    Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD, hat die Regierung im Bundestag für ihr Vorgehen in der Corona-Krise kritisiert. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    An normalen Sitzungstagen herrscht im Regierungsviertel atemlose Hektik. Rund um das Reichstagsgebäude reihen sich die schwarzen Limousinen der Fahrbereitschaft mit laufenden Motoren zu langen Schlangen. Vor dem Parlament und den Abgeordnetenhäusern bilden sich Pulks von Abgeordneten und ihren Mitarbeitern, Minister eilen mit bewaffneten Leibwächtern zum nächsten Termin. Dazwischen Scharen von Putzfrauen mit Migrationshintergrund, Kellnern, Sicherheitsmitarbeitern und anderen Bediensteten, die den Parlamentsbetrieb am Laufen halten. Doch das Coronavirus treibt sein Unwesen, und im Bundestag ist gerade vieles anders. Das Parlament tagte am Mittwoch nicht nur in einem historischen Format, es hatte auch Historisches zu beschließen.

    Wie auf den Flächen rund um das Reichstagsgebäude herrschte im Innern des Parlamentsgebäudes unübliche Übersichtlichkeit. Die Bundestagsabgeordneten waren dazu verdonnert, sich an die Abstandsregeln zu halten – viele der blauen Stühle blieben unter der Reichstagskuppel frei. Da dies womöglich auch in Zukunft erforderlich sein wird, änderte der Bundestag – befristet bis spätestens Ende September – seine Geschäftsordnung. Das Quorum für die Beschlussfähigkeit des Plenums und der Ausschüsse wurde auf ein Viertel der Mitglieder abgesenkt.

    Der Fraktionsvize der Union, Andreas Jung, sprach angesichts der Umstände von einer „außergewöhnlichen Debatte in schwerer Zeit“ und bilanzierte: „Dasselbe Gebäude, derselbe Plenarsaal und doch ist alles anders.“ Stimmen und Stimmung seien gedämpft. „Auf den Gängen kein Gedrängel wie sonst. Man grüßt freundlich, eilt weiter“, beschrieb der Konstanzer CDU-Abgeordnete im Gespräch mit unserer Redaktion seine Eindrücke.

    In der Tat war im Plenarsaal wegen Corona fast alles anders als sonst. Weiße Zettel markierten die Sitze, auf die sich niemand setzen durfte, um den Sicherheitsabstand zu wahren. Die großen Glastüren zum Plenarsaal, die normalerweise in jede Richtung genutzt werden dürfen, waren als Ein- und Ausgänge gekennzeichnet, um Berührungen möglichst zu vermeiden. Das höhenverstellbare Rednerpult wurde jedes Mal desinfiziert, bevor der nächste Parlamentarier vortragen konnte. Gleichwohl suchte mancher den besonderen Schutz. Linken-Chefin Katja Kipping etwa wurde mit einem Schal vor dem Mund gesichtet.

    Volker Ullrich: „Bedrückende Atmosphäre“

    „Wir erleben eine absolute Ausnahmesituation, die auch uns als Abgeordnete extrem fordert“, sagte der CDU-Abgeordnete Felix Schreiner unserer Redaktion. Ihm sei es wichtig gewesen, „unter schwierigen Bedingungen nach Berlin zu reisen, da das Parlament Handlungsfähigkeit unter Beweis stellt und wichtige Milliardenhilfen für die Wirtschaft auf den Weg bringt“, erklärte er. Von einer „bedrückenden Atmosphäre“ berichtete der Augsburger CSU-Abgeordnete Volker Ullrich. „Meine Arbeit fühlt sich dieser Tage anders an“, sagte er. Viele Mitarbeiter seien im Homeoffice, die intensive Kommunikation und die Streitkultur müssten ruhen.

    Wer angesichts der Umstände eine rein auf die Krise und ihre Folgen fokussierte Plenardebatte erwartet hatte, wurde eines anderen belehrt. So ließ es sich die AfD nicht nehmen, die Sitzung für eine Abrechnung mit der schwarz-roten Regierung zu nutzen. Fraktionschef Alexander Gauland kritisierte, die Einreisekontrollen seien zu spät gekommen. Auch die Beschaffung von Schutzkleidung funktioniere nicht. Es mache keinen Sinn, die Zahl der Corona-Infizierten auf Kosten möglicher Suizide zu senken, sagte Gauland zu den Ausgangsbeschränkungen.

    Im Kampf gegen das Coronavirus beschloss das Parlament einen Nachtragshaushalt von gewaltigem Ausmaß und lockerte dafür in namentlicher Abstimmung auch die Schuldenbremse. Mit 156 Milliarden Euro will sich der Staat gegen die Folgen der Krise stemmen. Unter anderem. Denn der Schutzschirm, den die Regierung aufspannt, ist insgesamt mehr als 600 Milliarden Euro stark. Zum Hilfspaket zählen Garantien für die Unternehmen, Hilfen für Mieter, Zuschüsse für Solo-Selbstständige sowie befristete Lockerungen im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht. Die Maßnahmen sollen schnell auf den Weg gebracht werden, zuständig sind meist die Bundesländer.

    Bundestag hat sich in Corona-Krise nicht abgeschottet

    Das Rettungspaket wird im Großen und Ganzen von der Opposition mitgetragen. Von der FDP „trotz Bedenken im Detail“, wie Fraktionschef Christian Lindner erklärte. Von der Linksfraktion mit Blick auf „viele gute Regelungen, mit denen wir einverstanden sind“, aber mit Verbesserungsvorschlägen, wie Fraktionschefin Amira Mohamed Ali sagte. Auch von den Grünen, die es für wichtig halten, dass durch ein gemeinsames Vorgehen der Parteien das Vertrauen in den Staat gestärkt wird, wie es die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt formulierte. Am Ende stand ein mehrheitliches Ja zu dem laut CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt „größten Solidarpakt unserer Gemeinschaft seit der deutschen Wiedervereinigung“.

    Bei aller spürbaren Euphorie darüber, dass der Staat die finanziellen Hilfen tragen kann, nahm der Abgeordnete Jung den Tilgungsplan und damit die Belastung für die nachfolgenden Generationen in den Blick. „Wir werden diese Schulden zurückbezahlen, wenn diese Krise vorbei ist“, versprach er. CDU/CSU-Fraktionsvize Thorsten Frei widersprach Kritikern, die sich in der Corona-Krise mehr Befehlsgewalt des Bundes gegenüber den Ländern wünschen. Die Krise habe gezeigt, dass der Föderalismus kein Nach-, sondern ein Vorteil sei. So seien etwa die Initiativen zu Grenzschließungen von einzelnen Bundesländern ausgegangen, sagte Frei. Er wies Göring-Eckardts Äußerung zurück, es sei beschämend, dass Deutschland seine Grenzen dichtgemacht habe: „Es geht um Gesundheitsschutz, nicht um Abschottung.“

    Auch der Bundestag hat sich in der Corona-Krise nicht abgeschottet. Die parlamentarische Demokratie sei in der Krise handlungsfähig, brachte es Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) auf den Punkt. Aber wie das Volk wartet auch das Parlament spürbar darauf, dass das Virus abebbt und wieder ein normales Leben zulässt.

    Wie verändert sich die Arbeit von Journalisten in Zeiten des Coronavirus? In einer neuen Folge unseres Podcasts geben wir einen Einblick.

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