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Bundespräsident: Schuhe für den ersten Mann im Staat

Bundespräsident

Schuhe für den ersten Mann im Staat

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    „Wulff zieh Leine, wir machen dir jetzt Beine“, skandierten aufgebrachte Menschen vor Schloss Bellevue in Berlin.
    „Wulff zieh Leine, wir machen dir jetzt Beine“, skandierten aufgebrachte Menschen vor Schloss Bellevue in Berlin. Foto: Foto: John MacDougall, afp

    So etwas hat das altehrwürdige Schloss Bellevue in seiner mittlerweile 226-jährigen Geschichte noch nie erlebt. Direkt vor seinen Toren, auf dem Spreeweg im Berliner Tiergarten, haben sich am frühen Samstagnachmittag trotz strömenden Regens rund 450 aufgebrachte Demonstranten eingefunden und halten zornig Schuhe aller Art in die Höhe, Lederstiefel und Turnschuhe, Gummistiefel und Badelatschen – eine alte arabische Sitte, um jemandem seine Verachtung zu zeigen. „Wulff zieh Leine, wir machen dir jetzt Beine“, skandieren die Demonstranten lautstark im Chor, später: „

    Einige haben selbst gemalte Plakate und Transparente mitgebracht. „Ich habe fertig“ ist auf einem zu lesen, „Mr. President, go home!“ auf einem anderen. Für den 77-jährigen Rechtsanwalt Klaus Hoffmann ist es die erste Demo seines Lebens, an der er teilnimmt, Verständnis für das Verhalten des Bundespräsidenten hat er nicht. „Aber wenn der erste Mann des Volkes so handelt, mag man sich nicht vorstellen, wie es in den Reihen dahinter aussieht.“ Deutliche Worte findet auch der Sprecher des Vereins „Creative Lobby of Future“, Jürgen Jänen, der zu dem Protest aufgerufen hat. „Das ist kein Party-Happening“, sagt er, „es ist eine politische Auseinandersetzung mit der klaren Forderung des Rücktritts an Herrn Wulff.“

    Doch der, so scheint es, denkt gar nicht daran, sein Amt aufzugeben. Im Gegenteil, er gibt sich zuversichtlich, die Krise ohne Schaden zu überstehen. Er sei optimistisch, „dass dieses Stahlgewitter bald vorbei ist“, soll er nach einem Bericht der Bild am Sonntag am Freitag beim Neujahrsempfang des Präsidialamtes seinen Mitarbeitern gesagt haben. „In einem Jahr ist alles vergessen.“ Er wolle weiter Staatsoberhaupt bleiben und dem Amt einen zweiten Rücktritt innerhalb von eineinhalb Jahren nach dem überraschenden Abgang seines Vorgängers Horst Köhler ersparen.

    Gleichwohl machen in Berlin offensichtlich gezielt an die Medien lancierte Gerüchte die Runde, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Vizekanzler Philipp Rösler bereits Kontakt aufgenommen hätten, um das weitere Vorgehen im Falle eines Rücktritts des Staatsoberhauptes zu besprechen. Die CDU-Chefin und der FDP-Vorsitzende stünden angeblich in engem telefonischen Kontakt über die Frage, wer die Nachfolge Wulffs antreten soll, meldet die in der Regel gut informierte Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung unter Berufung auf FDP-Kreise. „Der Vorschlag muss so sein, dass es der SPD schwerfällt, ihre Unterstützung zu verweigern“, heißt es.

    Als potenzielle Kandidaten werden unter anderem Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der frühere Chef der UN-Umweltbehörde, Klaus Töpfer (CDU), oder die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der EKD, genannt. Dagegen soll Angela Merkel den von SPD-Chef Sigmar Gabriel ins Gespräch gebrachten früheren DDR-Bürgerrechtler und ersten Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, abgelehnt haben. Gauck war im Mai 2010 als Kandidat von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Wulff unterlegen.

    Derweil machen neue Vorwürfe die Runde. Der Bundespräsident habe während seines offiziellen Staatsbesuches in die Golf-Staaten Mitte Dezember nicht nur auf die Mailbox von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann gesprochen, um mit Drohungen die Berichterstattung über den 500000-Euro-Privatkredit für den Kauf seines Hauses zu verschieben, sondern auch von Springer-Chef Mathias Döpfner. Die Wortwahl Wulffs soll dabei ähnlich deutlich ausgefallen sein wie gegenüber Diekmann, heißt es im Springer-Verlag, in dem auch Bild erscheint. Als Döpfner Wulff zurückrief, sei dieser äußerst aufgebracht gewesen. Wenn der Artikel erscheine, so drohte Wulff dem Vorstandsvorsitzenden, bedeute dies „Krieg“ zwischen dem Präsidialamt und dem Verlag bis zum Ende seiner Amtszeit 2015.

    Die Oppositionsparteien im Bundestag haben am Wochenende den Druck auf den Präsidenten erhöht. SPD-Chef Sigmar Gabriel bietet Kanzlerin Angela Merkel und der schwarz-gelben Koalition an, im Falle eines Rücktritt Wulffs auf einen eigenen Personalvorschlag zu verzichten und gemeinsam mit Union und FDP einen parteiübergreifenden Kandidaten für das Amt des Staatsoberhauptes mitzutragen. CDU/CSU und FDP bräuchten keine Sorge zu haben, „dass die SPD diese Situation zu nutzen versucht, um einen eigenen Kandidaten durchzubringen“. Gleichzeitig weist er die Forderung seiner Generalsekretärin Andrea Nahles nach vorgezogenen Bundestagswahlen zurück, falls Wulff zurücktritt. „Die SPD wollte und will keinen parteipolitischen Streit um das Amt des Bundespräsidenten.“

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