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Bundespräsident: Halbzeit in Schloss Bellevue: Was hat Joachim Gauck geleistet?

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Halbzeit in Schloss Bellevue: Was hat Joachim Gauck geleistet?

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    Längst im höchsten deutschen Amt angekommen: Bundespräsident Joachim Gauck mit Lebensgefährtin Daniela Schadt.
    Längst im höchsten deutschen Amt angekommen: Bundespräsident Joachim Gauck mit Lebensgefährtin Daniela Schadt. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Der Vergleich mag ein wenig hinken – aber er dürfte Joachim Gauck gefallen haben. Ende August, bei der 200-Jahr-Feier der Monarchie, saß der Bundespräsident unter den Ehrengästen in Maastricht, als der niederländische Außenminister Frans Timmermans zu einer wahren Eloge auf ihn anhob.

    Ein Schatz der europäischen Geschichte, schwärmte er, sei der deutsche Präsident – und stellte ihn in eine Reihe mit dem tschechischen Freiheitshelden Vaclav Havel, den Gauck schon zu DDR-Zeiten als Oppositioneller und Pfarrer zitiert hatte: „Die Macht der Mächtigen erwächst aus der Ohnmacht der Ohnmächtigen.“

    Es sind Sätze wie diese, eindringlich, plakativ und seltsam zeitlos, aus denen Gauck noch immer einen Großteil seiner Popularität schöpft. Nach den Rücktritten seiner Vorgänger Horst Köhler und Christian Wulff hat er dem höchsten Amt, das die Republik zu vergeben hat, in den vergangenen zweieinhalb Jahren wieder zu neuer Seriosität verholfen und den Verdacht, er baue sich als eine Art Gegenspieler der Kanzlerin auf, schnell widerlegt.

    Mit Kritik hält sich Gauck nicht zurück

    Seine scharfe Kritik an Russland, zum Beispiel, war mit Angela Merkel vorher abgesprochen: „Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern.“ Sollen die Linke und ein paar Historiker ihm ruhig vorwerfen, er habe sich in Ton und Diktion vergriffen.

    Gauck hat mit seinem Auftritt bei der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen genau das erreicht, was er erreichen wollte und worüber er sich anschließend mit einer fast schon kindlichen Eitelkeit freuen kann: Wirkung. Deshalb nennt er die Anhänger der rechtsextremen NPD auch „Spinner“ und den Kurs von Recep Tayyip Erdogan in der Türkei „eine Gefahr für die Demokratie“.

    Militäreinsätze lehnt der Bundespräsident nicht generell ab

    Das ist Joachim Gauck

    Bundespräsident Joachim Gauck hat ein bewegtes Leben hinter sich. Seine wichtigsten Stationen.

    Gauck kommt 1940 in Rostock zur Welt. Sein Vater ist Kapitän, seine Mutter gelernte Bürofachfrau. Sein Vater wird von den Russen wegen angeblicher Sabotage in einem Lager in Sibirien verschleppt, als Gauck sechs Jahre alt ist. Er kommt erst viele Jahre später wieder frei.

    Nach dem Abitur studiert Joachim Gauck Theologie in Rostock und arbeitet dann ab 1967 als Pastor in Lüssow. Sein eigentlicher Berufswunsch Journalist zu werden, lässt sich in der DDR nicht erfüllen.

    Ab 1974 wird Joachim Gauck wegen seiner kritischen Predigten von der Stasi beobachtet.

    Als sich in der DDR Ende der achtziger Jahre Widerstandsgruppen formieren, wird Gauck Mitbegründer und Sprecher des „Neuen Forums“. Er leitet unter anderem Gottesdienste und führt Großdemonstrationen an.

    Das Ende des DDR-Regimes und die Wendezeit nennt Gauck die "prägende Zeit meines Lebens".

    1990 leitet er als Abgeordneter der frei gewählten DDR-Volkskammer den Sonderausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit.

    Am Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 übernimmt Joachim Gauck die nach ihm benannte Stasi-Unterlagen-Behörde. Bis zum Jahr 2000, als er die Leitung an Marianne Birthler abgiebt, avanciert Gauck zum bekanntesten Gesicht der DDR-Demokratiebewegung.

    Nach dem Mauerfall trennt sich der Theologe von seiner Frau und findet eine neue Lebenspartnerin aus dem Westen - eine Journalistin aus Nürnberg. Bis heute sind beide nicht miteinander verheiratet.

    2003 wird Joachim Gauck aus den Reihen der FDP erstmals als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten ins Spiel gebracht.

    2005 wird Joachim Gauck, damals 65 Jahre alt, Ehrendoktor der Universität Augsburg.

    Der Vater von vier Kindern und mehrfache Großvater engagiert sich auch im Verein „Gegen Vergessen für Demokratie“. Als Vorsitzender kümmert er sich zusammen mit vielen Mitstreitern um die Aufarbeitung der Geschichte der Diktaturen in Deutschland.

    Im Sommer 2010 wird er von SPD und Grünen zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert. Dass er bei der durch Horst Köhlers Rücktritt nötig gewordenen Wahl knapp an Wulff scheitert, ändert nichts an seiner Beliebtheit.

    2011 sorgt Gauck für Schlagzeilen, als er Thilo Sarrazin für sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ Mut attestiert. „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik“, sagte Gauck, wobei er sich den den Inhalten des Buches distanzierte.

    Nach dem Rücktritt von Christian Wulff wird Gauck von Union, FDP, Grünen und SPD zum gemeinsamen Kandidaten für die Wahl eines neuen Bundespräsidenten nominiert.

    Am 18. März 2012 wählt ihn die Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum Bundespräsidenten, am 23. März wird er vereidigt.

    In diesen Tagen hat der 74-Jährige die erste Hälfte seiner Amtszeit hinter sich – und in einer für ihn elementaren Frage früher als erwartet recht bekommen. Als Gauck im Januar bei der Münchner Sicherheitskonferenz dafür warb, Deutschland solle sich in internationalen Krisen früher, entschiedener und substanzieller engagieren, machte im Irak noch kein Islamist Jagd auf die Jesiden und Wladimir Putin ein noch unschuldigeres Gesicht als heute.

    Mittlerweile schickt die Bundeswehr Waffen in den Nordirak und wird bald auch Soldaten für eine neue Eingreiftruppe der Nato abstellen, was beides ganz im Sinne des Präsidenten ist. Als Christ, hat Gauck einmal in kleiner Runde gesagt, sei er nicht automatisch Pazifist. „Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein.“

    Tritt Gauck 2017 noch einmal an?

    Ob er eine zweite Amtszeit anstrebt, lässt er bislang offen, obwohl es in Deutschland nur die Kanzlerin an Beliebtheit mit ihm aufnehmen kann und die halbe Parteienlandschaft von Grünen-Chef Cem Özdemir über den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner bis zu CDU-Vize Thomas Strobl ihn schon mehr oder weniger direkt zu einer erneuten Kandidatur aufgefordert hat.

    Lediglich in der SPD, deren Vorsitzender Sigmar Gabriel der Kanzlerin schon 2010 Gauck als Kandidaten empfohlen hatte, eh die sich dann für Wulff entschied, hält man sich bedeckt. Dem Vernehmen nach hat die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ein Auge auf die Gauck-Nachfolge geworfen.

    Bis dahin allerdings sind es noch zweieinhalb Jahre, wenn nicht mehr. Das Amt, mit dem er anfangs so fremdelte, hat von seinem Inhaber längst Besitz ergriffen – und der von ihm. Einer von Gaucks engsten Vertrauten aus der Zeit in der Stasi-Unterlagenbehörde, der spätere BND-Chef Hansjörg Geiger, hat es vor kurzem so formuliert: „Ich glaube, er freut sich jeden Tag, dass er Bundespräsident ist.“

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