Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi soll am Dienstag an "einem geheimen Ort in der Wüste" beerdigt werden. Das berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Arabija am Montagabend unter Berufung auf den libyschen Übergangsrat. Gaddafi soll demnach gemeinsam mit seinem Sohn Mutassim begraben werden.
Zuletzt hatte es geheißen, die Leichen Gaddafis und seines Sohnes sollten an Angehörige übergeben werden, statt sie an einem unbekannten Ort zu vergraben. Gaddafi war am vergangenen Donnerstag in seiner Heimatstadt Sirte getötet worden. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass ihn Kämpfer des Übergangsrates nach seiner Gefangennahme gezielt erschossen hatten.
Muammar al-Gaddafi - Aufstieg und Fall des libyschen Despoten
Muammar Abu Minyar al-Gaddafi heißt der Mann, dessen langjährige Gewaltherrschaft sich das libysche Volk nicht mehr länger gefallen lassen wollte. Die Proteste im Februar 2011 haben einen blutigen Bürgerkrieg ausgelöst.
Gaddafi soll am 19. Juni 1942 in der Region Tripolitanien geboren und unter Beduinen aufgewachsen sein. Sein Jura- und Geschichtsstudium brach er für seine Offizierslaufbahn ab. Er war schon sehr früh von den nationalistischen Ideologien des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser angetan.
1963 begann Gaddafi seine Offizierslaufbahn an der Militärakademie und erwarb anschließend weitere militärische Qualifikationen in Großbritannien. 1966 rief er den "Bund freier Offizier" ins Leben.
Am 1. September 1969 verübte Gaddafi einen Militärputsch auf König Idris von Libyen und regiert das Land seit 1979 als Revolutionsführer. Korruption und Unterdrückung sind unter seiner Herrschaft an der Tagesordnung.
Der Revolutionsführer rief 1977 die "Sozialistische Libysch- Arabische Volks-Dschamahirija (Herrschaft der Massen)" aus. Bereits 1973 veröffentlichte Gaddafi seine "Dritte Universaltheorie" als Mittelweg zwischen Kommunismus und Kapitalismus.
1985 verhängen die USA wegen Libyens Verstrickung in den internationalen Terrorismus einen Wirtschaftsboykott.
1986: Die USA machen Gaddafi für einen Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" verantwortlich und bombardieren Tripolis.
270 Tote gibt es 1988 bei einer Explosion eines US-Jumbos über Lockerbie. Der UN-Sicherheitsrat verhängt 1991 Sanktionen gegen Libyen. Erst 2003 sagt Libyen für den Anschlag von Lockerbie die Zahlung von Entschädigungen zu; die UN heben die Sanktionen auf.
Im selben Jahr kündigt Gaddafi die Einstellung des libyschen Atomprogramms und die Zerstörung seiner Massenvernichtungswaffen an. Deshalb heben die USA 2004 ihre Handelsbeschränkungen auf.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vereinbart 2007 mit Gaddafi eine militärische und atomtechnische Kooperation. Anvisiert wird die Lieferung von Kampfjets und eines Atomkraftwerks. Auch die USA Kooperieren: 2007 schließen die USA mit Libyen ein Öl-Handelsabkommen.
2009 wird Gaddafi für ein Jahr Ratsvorsitzender der Afrikanischen Union und fordert die "Vereinigten Staaten von Afrika".
Nach Festnahme seines Sohns Hannibal in Genf wegen Misshandlung von Angestellten ruft Gaddafi 2010 um Dschihad gegen die Schweiz. Außerdem zahlt die EU Gaddafi 50 Millionen Euro, um den Zustrom afrikanischer Flüchtlinge über Libyen einzudämmen.
Am 15. Februar 2011 demonstrieren Tausende gegen Gaddafi. Seine Gefolgsleute richten später ein Blutbad unter Zivilisten an. Der folgende Bürgerkrieg läutet den Sturz des "Führers" ein.
Der Nationale Übergangsrat übernimmt die Regierungsgeschäfte in Libyen. Die Rebellen versuchen den früheren Machthaber Gaddafi zu fassen. Am 20. Oktober soll der Ex-Diktator während der Flucht aus seiner Heimatstadt Sirte getötet worden sein.
Der Leichnam des ehemaligen Machthabers befand sich am Montag weiter in einem Lagerhaus in der Stadt Misrata, wohin ihn die Milizionäre gebracht hatten. Nach islamischer Tradition müssen Muslime normalerweise binnen 24 Stunden beigesetzt werden.
Massaker in Sirte: 53 Gaddafi-Anhänger getötet
Die Milizen des Übergangsrates geraten unterdessen zunehmend ins Zwielicht. Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fanden Anhaltspunkte für ein Massaker unter 53 Gaddafi-Anhängern in Sirte. Das wäre das schwerste Kriegsverbrechen der neuen Machthaber.
Bei einigen der Toten waren die Arme mit Plastikbändern hinter dem Rücken zusammengebunden, hieß es in dem Bericht, den die Organisation am Montag veröffentlichte. Mit Hilfe von Bewohnern der Umgebung konnten einige der Männer als örtliche Gaddafi-Kader und -Anhänger identifiziert werden.
Human Rights Watch forderte den Übergangsrat auf, "eine unverzügliche und transparente Untersuchung der offensichtlichen Massenhinrichtung einzuleiten und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen". Die Leichen lagen auf einem Grundstück nahe einem Hotel, das zum Zeitpunkt des Todes der Männer von Anti-Gaddafi-Kämpfern kontrolliert worden war. Die Blutspuren, Einschüsse im Grasboden und die Verteilung der Geschosshülsen deuteten darauf hin, dass die meisten Opfer gemeinsam an dieser Stelle erschossen worden seien, hieß es in dem Bericht.
Sollte sich die Massenerschießung eindeutig Anti-Gaddafi-Milizen zuschreiben lassen, wäre dies das schwerste Kriegsverbrechen, das diese in ihrem acht Monate währenden Kampf gegen das Regime begangen haben. Bislang wurden vor allem Übergriffe gegen Gaddafi-Anhänger wie willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen bekannt. Außerdem wurden mancherorts Dorfbewohner vertrieben, weil sie der Sympathien für Gaddafi verdächtigt wurden.
Der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, gerät damit bereits am ersten Arbeitstag nach dem Neubeginn in Libyen weiter unter Druck. Weil die Vorwürfe einer gezielten Tötung Gaddafis nicht verstummen wollen, kündigte Dschalil eine seit Tagen geforderte Untersuchung an.
"Alle Libyer brannten darauf, Gaddafi wegen seiner Verbrechen vor Gericht zu sehen", erklärte Dschalil auf einer Pressekonferenz in Bengasi. "Die Libyer wollten ihn im Gefängnis und gedemütigt sehen", fügte er hinzu. Am Tag zuvor hatte der führende Politiker der Nach-Gaddafi-Ordnung das Land für befreit erklärt. Darüber hinaus hatte er zu Toleranz und Respekt sowie zur Einhaltung von Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit aufgerufen. Die neuen Machthaber wollen sich außerdem an der islamischen Rechtsprechung Scharia orientieren.
Nato sieht Libyen-Mission beendet
Die Nato sieht das Ziel ihres Militäreinsatzes in Libyen erreicht. Alle Gebiete Libyens seien heute unter Kontrolle des Nationalen Übergangsrates, sagte der Kommandeur des Einsatzes, der kanadische General Charles Bouchard, am Montag in seinem Hauptquartier in Neaple. "Die Gefahr organisierter Angriffe von Resten des Gaddafi-Regimes ist vorbei."
Zugleich verteidigte Bouchard den Angriff auf einen Konvoi von 175 Fahrzeugen, mit dem Gaddafi am Donnerstag versucht hatte, aus Sirte zu flüchten. "Wir hatten die Befürchtung, dass die Kämpfer aus Sirte sich mit Resten der Kämpfer aus Bani Walid zusammenschließen und dann Zivilisten in einer Stadt als Geiseln nehmen könnten", berichtete Bouchard. "Wir haben daher beschlossen, den Konvoi aufzubrechen und in kontrollierbare Teile aufzuspalten. Wir haben unsere Waffensysteme zweimal auf den Konvoi gerichtet und dieses Ziel erreicht." Auf einigen Pickup-Fahrzeugen hätten sich Raketen und Maschinengewehre befunden: "In unserer Einschätzung war das eine eindeutige potenzielle Bedrohung der Zivilbevölkerung." dpa/AZ