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Brexit: Rabenschwarzer Tag für Boris Johnson: Gegner erzwingen Niederlage

Brexit

Rabenschwarzer Tag für Boris Johnson: Gegner erzwingen Niederlage

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    Kommt es doch nicht zu einem ungeregelten Brexit? In Großbritannien kämpfen Gegner und Befürworter mit harten Bandagen. Mittwoch wird ein entscheidender Tag.
    Kommt es doch nicht zu einem ungeregelten Brexit? In Großbritannien kämpfen Gegner und Befürworter mit harten Bandagen. Mittwoch wird ein entscheidender Tag. Foto: Daniel Leal-olivas, dpa

    Die britische Regierung hat am Abend eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. Es geht um den künftigen Brexit-Kurs. Premierminister Boris Johnson steht nun unter massivem Druck. Zudem büßte er durch den Fraktionswechsel eines Abgeordneten seine Mehrheit im Unterhaus ein.

    Boris Johnson muss herbe Niederlage einstecken

    Boris Johnson führt gerade aus, dass Großbritannien „kurz davor steht, die Kontrolle über unsere Handelspolitik zurückzugewinnen“, als der britische Premierminister selbst die Kontrolle verliert. Der Abgeordnete Phillip Lee wechselt demonstrativ und spektakulär die Seiten. Der Konservative schreitet aus den Reihen der Regierungsfraktion zu den gegenüberliegenden Bänken der Opposition. Dann nimmt er zwischen den Liberaldemokraten Platz. Die Parlamentarier johlen und grölen, Johnson unterbricht kurz seine Rede, wünscht „meinem ehrenwerten Freund“ zum Abschied alles Gute und macht, sichtlich irritiert, weiter. So beginnt am Dienstag Johnsons rabenschwarzer Tag. Mit dem Überläufer Lee büßte der Regierungschef seine rechnerische Mehrheit im Unterhaus ein. Ausgerechnet an diesem „historisch bedeutsamen Tag“, wie Kommentatoren nicht müde wurden zu betonen. Der Tag, an dem der große Showdown zwischen Regierung und No-Deal-Gegnern im Unterhaus beginnt.

    Die Situation von Premier Boris Johnson erinnert an die von Theresa May

    Wie lange die Kraftprobe anhält und wer als Gewinner aus der erbittert geführten Auseinandersetzung hervorgehen wird, ist noch völlig unklar. Je nach Sieger könnten die Briten entweder am 31. Oktober ohne Abkommen aus der EU scheiden – oder der Austritt wird noch einmal verzögert.

    Die Wahrscheinlichkeit, dass die Scheidungsfrist abermals verlängert wird, ist jetzt gestiegen. Denn die No-Deal-Gegner im Parlament haben bei einer wichtigen Abstimmung am späten Abend mit einer Mehrheit von 328 Stimmen die Kontrolle über die Tagesordnung an sich gerissen und damit der Regierung eine schwere Niederlage zugefügt. 301 folgten Johnsons Linie.

    Am Mittwoch könnte das Zweckbündnis aus Opposition und rebellierenden Konservativen nun im Eiltempo ein Gesetz auf den Weg bringen, das den Handlungsspielraum des Premiers erheblich einschränken würde. Johnson steht unter massivem Druck. Die Situation erinnert auffällig an jene seiner Vorgängerin Theresa May, die ebenfalls unter dem Dilemma litt, die völlig zerstrittenen Tories auf einen Kurs einzuschwören

    Kurz zur Ausgangslage: Der britische Premierminister schickt das Parlament in eine verlängerte Sommerpause geschickt. Doch kurz vor dieser Zwangspause versuchen sich die Gegner eines Brexits ohne Abkommen zu wehren und einen Gesetzesentwurf auf dem Weg zu bringen. Ihnen bleibt dafür wenig Zeit.

    Parlamentspräsident John Bercow ließ gegen die Wünsche der Regierung deshalb eine Dringlichkeitsdebatte im Unterhaus zu. Damit wollten Opposition und Rebellen in der Regierungsfraktion die Kontrolle über die Tagesordnung im Parlament an sich reißen. Wenn die Kritiker Johnsons die Abstimmung gewinnen, wollen sie ab Mittwoch in Rekordzeit ein Gesetz durch das Parlament peitschen, das Johnsons Handlungsspielraum erheblich einschränken würde. Sollte bis zum 19. Oktober kein mit der EU vereinbartes Austrittsabkommen vorliegen, verpflichtet das Gesetz den Regierungschef, in Brüssel eine neue Verschiebung des Austritts aus der Europäischen Union zu beantragen.

    Beobachter gehen davon aus, dass es bald Neuwahlen in Großbritannien gibt

    Bevor das Drama im Parlament seinen Lauf nahm, warnte Johnson seine Fraktionskollegen mehrmals davor, sich in dieser Woche gegen ihn zu stellen. Er machte das Votum zu einer Vertrauensfrage. Ginge der geplante Gesetzentwurf durch, käme das einer „Kapitulation“ gegenüber der EU gleich. „Es würde unseren Freunden in Brüssel ermöglichen, die Bedingungen der Verhandlungen zu diktieren.“ Sollte die Regierung am Ende verlieren, so hieß es, wollte Johnson Neuwahlen beantragen. Die Regierung pocht darauf, am 31. Oktober aus der EU zu scheiden, im Notfall auch ohne Austrittsabkommen.

    Regierungschef Johnson dagegen versucht unaufhörlich, seine Kritiker zu überzeugen, dass auch er das Land mit einem Abkommen aus der Staatengemeinschaft führen will. Ein No-Deal müsse, so seine Argumentation, als Option auf dem Tisch bleiben, um den Druck auf die EU aufrechtzuerhalten. Angesichts der Signale aus Brüssel sei er optimistisch, dass ein Vertrag möglich ist. Er sprach von einem „echten Momentum“. Doch von welchen Signalen redet er? Medien auf der Insel berichten, dass die Regierung unter Johnson nie ernsthaft neue Verhandlungen aufgenommen, geschweige denn brauchbare Vorschläge präsentiert habe, wie etwa der umstrittene Backstop durch eine Alternative ersetzt werden könnte. Die Brextremisten wollen die Garantieklausel für eine offene Grenze auf der irischen Insel streichen und verlangen stattdessen Alternativlösungen, ohne welche anzubieten.

    Deshalb gehen Beobachter davon aus, dass es bald zu Neuwahlen kommt. Um diese zu beantragen, bräuchte Johnson jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Unterhaus. Würde sich Labour darauf einlassen? Deren Chef, Jeremy Corbyn, fordert zwar seit Monaten genau das und zeigte sich selbst diese Woche aufgeschlossen, aber viele Sozialdemokraten warnen vor einer Falle der Tories. Aus taktischen Gründen könnte Labour deshalb gegen Neuwahlen stimmen. Die No-Deal-Gegner wollen vor allem verhindern, dass eine Wahl kurz nach dem Austrittstermin stattfindet. In diesem Szenario könnte Großbritanniens Mitgliedschaft enden, während das Parlament geschlossen ist und sich die Politik im Wahlkampf befindet. (mit dpa)

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