Unter großem Zeitdruck versuchen die Europäische Union und Großbritannien von diesem Dienstag an, doch noch einen Handelspakt nach dem Brexit zustande zu bringen. Beide Seiten sehen noch Chancen, obwohl acht Verhandlungsrunden bisher kaum Fortschritte brachten. Zudem gibt es weiter Streit über britische Gesetzespläne, die den bereits gültigen Brexit-Vertrag zum Teil aushebeln sollen. Das Unterhaus in London soll am Dienstagabend darüber abstimmen.
Großbritannien hat die EU bereits im Januar verlassen und scheidet nach einer Übergangsfrist zum Jahresende auch aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion aus. Das anvisierte Abkommen soll einen harten Bruch mit Zöllen und Handelshemmnissen verhindern.
Handelspakt mit EU: Boris Johnsin setzt Frist bis 15. Oktober
Zur vorerst letzten vereinbarten Verhandlungsrunde bis Freitag wird das Team des britischen Chef-Unterhändlers David Frost bei seinen EU-Kollegen um Unterhändler Michel Barnier in Brüssel erwartet. Besonders umstritten sind nach wie vor die Punkte Fischerei sowie die staatlichen Regeln und Subventionen für britische Unternehmen. Die Zeit drängt: Der britische Premierminister Boris Johnson hat eine Frist bis 15. Oktober gesetzt, die EU bis Ende Oktober, um noch Zeit zur Ratifizierung zu haben.
Die Atmosphäre sei zuletzt etwas besser gewesen, doch lägen die Positionen immer noch weit auseinander, sagte ein EU-Diplomat am Montag. Diese Woche müsse es endlich Bewegung geben. EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic sagte am Montag, die EU werde ihr Möglichstes tun, um einen Deal mit London zu erreichen. Auch der britische Staatsminister Michael Gove versicherte, London wolle "eine ausgehandelte Vereinbarung und wir arbeiten auf dieses Ziel hin".
Wie zuverlässig ist der britische Premier Johnson für die EU?
Doch überschattet der Streit über das britische Binnenmarktgesetz die Verhandlungen. Der Gesetzesplan soll Teile des mühsam ausgehandelten und bereits gültigen Austrittsvertrags aushebeln, nämlich Sonderregeln für Nordirland. Die EU bezeichnet dies als schweren Vertrauensbruch und forderte London auf, bis Ende September einzulenken - was die Briten jedoch ablehnen. Sefcovic bekräftigte die Forderung, machte aber deutlich, dass die EU auf jeden Fall mit London weiter verhandeln will.
Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini forderte mit Blick auf das Binnenmarktgesetz eine harte Linie. "Die britische Regierung muss die Klauseln, die gegen internationales Recht verstoßen, wie von der EU gefordert zurückziehen", erklärte sie. "Bei allem guten Willen, den die EU zeigt, ist eine gewisse Skepsis angebracht: Bei Boris Johnson bleibt immer ein Restzweifel an Zuverlässigkeit, wie seine jüngsten taktischen Manöver gezeigt haben."
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