Die EU will sich im Poker um die Ratifizierung des Brexit-Abkommens in Großbritannien nicht erpressen lassen. Der EU-Gipfel machte Premierministerin Theresa May am Donnerstag zwar eine Reihe von Zusicherungen, diese blieben aber rechtlich unverbindlich. EU-Vertreter berichteten von wachsendem Unverständnis über das Brexit-Chaos in Großbritannien und unklare Vorstellungen Mays. Die EU will sich deshalb nun verstärkt auf einen Austritt ohne Abkommen vorbereiten.
May steht seit Monaten innenpolitisch massiv unter Druck und hatte eine Abstimmung über den Brexit-Vertrag im britischen Unterhaus wegen fehlender Mehrheiten verschieben müssen. May forderte zum Gipfelauftakt "rechtliche und politische Zusicherungen" mit Blick auf die im Austrittsvertrag festgelegte Auffanglösung für Nordirland.
Diese würde in Kraft treten, wenn sich die EU und Großbritannien in den kommenden Jahren nicht auf eine bessere Lösung einigen. Das Vereinigte Königreich bliebe dann bis auf weiteres in einer Zollunion mit der EU.
Brexit-Hardliner in Mays konservativer Partei befürchten, dass das Vereinigte Königreich auf Dauer an die EU gebunden bliebe. Sie fordern deshalb ein Enddatum für den sogenannten backstop zu Nordirland. Dies lehnt die EU aber kategorisch ab.
May bat ihre EU-Kollegen am Abend eindringlich um Unterstützung. In ihrem Land habe sich der Eindruck verbreitet, die Nordirland-Klausel in dem Austrittsvertrag sei eine "Falle, aus der das Vereinigte Königreich nicht mehr herauskommt", sagte sie nach Angaben ihres Büros. Mit den "richtigen Zusicherungen" von Seiten der EU könne das ausgehandelte Brexit-Abkommen im Unterhaus doch noch verabschiedet werden.
EU schließt Neuverhandlungen zum Brexit aus
In einer Erklärung hielten die anderen EU-Chefs daraufhin fest, dass sie "Neuverhandlungen" zu dem Austrittsvertrag ausschließen. Die EU sei aber "fest entschlossen", mit London nach dem EU-Austritt im März kommenden Jahres schnell Verhandlungen über eine Vereinbarung aufzunehmen, um die Auffanglösung für die irische Grenze überflüssig zu machen. Falls die Notlösung doch kommen würde, solle sie nur "vorübergehend" und "so lange wie unbedingt erforderlich" in Kraft bleiben.
All dies sind jedoch unverbindliche Absichtserklärungen - offenbar auch, weil May selbst nicht zu klaren Forderungen in der Lage war. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel warnte die britische Premierministerin davor, die Geduld der EU-Partner durch eine Hinhaltetaktik überzustrapazieren. "Wir werden nicht Gipfel auf Gipfel auf Gipfel machen", sagte er. "Wir müssen jetzt wissen, was London will."
Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte die britische Regierung auf, in den kommenden Wochen zu klären, was genau sie von Brüssel erwarte. "Ich brauche Klarstellungen", sagte er. Die Diskussion sei "mitunter nebulös und unpräzise". Es gehe nicht an, dass Großbritannien erwarte, dass die EU "die Lösungen liefert".
Die Stimmung sei "sehr schlecht" gewesen, hieß es aus EU-Kreisen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterbrach May demnach während ihres Vortrags mehrfach und forderte sie zur Präzisierung ihrer Haltung auf.
Auf offene Ablehnung bei Merkel stieß Mays Vorschlag, statt eines Enddatums für den backstop einen konkreten Termin für den Abschluss eines angestrebten Freihandelsabkommens festzulegen, das die Nordirland-Frage lösen könnte. Nach Angaben aus EU-Kreisen nannte die Premierministerin als Termin Dezember 2021.
Ob es das Freihandelsabkommen gebe, hänge "immer von zwei Seiten ab", sagte Merkel. "Da können wir keinen anderen Termin nennen." Und die Auffanglösung sei "ja gerade die Rückversicherung", die greifen würde, falls es in der vorgegebenen Zeit nicht zu einer Einigung komme. (afp)
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