Keine zwei Jahre ist es her, dass Großbritannien erleichtert aufatmete: "Die Schotten bleiben bei uns." Das Kunstwort Brexit kannte damals noch keiner. Das EU-Referendum war zwar angekündigt, aber weit, weit weg. Jetzt haben die Briten der EU den Laufpass gegeben und damit ganz Europa, aber vor allem sich selbst in gewaltige Schwierigkeiten gebracht. Weit oben auf der Liste der Probleme: Die Schotten sind sauer - und bereiten erneut die Trennung vom Vereinigten Königreich vor. Diesmal könnte es klappen.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 62 Prozent der Wähler im nördlichen Landesteil Großbritanniens haben beim EU-Referendum pro Europa gestimmt, in jedem einzelnen der 32 schottischen Wahlkreise waren die Europa-Freunde in der Mehrheit. Bleiben sie im Vereinigten Königreich, müssen sie die Union aller Voraussicht nach trotzdem verlassen, denn 52 Prozent der Briten stimmten pro Brexit.
"Demokratisch inakzeptabel", nennt Nicola Sturgeon das, und steht dabei zwischen zwei Fahnen: Der europäischen und der schottischen. Mit ihrer Kurzhaarfrisur und den einfarbigen Blazern erinnert die schottische Regierungschefin nicht nur die Deutschen an Angela Merkel, im Auftreten ist sie meist resoluter als die Kanzlerin. Ihr Kabinett sei sich einig, sagt sie einen Tag später: Schottland werde selbst mit der EU sprechen, um die schlimmsten Folgen des Brexit-Votums aufzufangen. Und schon mal die rechtlichen Vorbereitungen treffen für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum.
Klares "Ja", klares "Nein"
Hinter vorgehaltener Hand hatten schottische Abgeordnete in London verraten, die Nationalpartei SNP wünsche sich ein klares Ja zur EU im Norden und ein klares Nein im Süden. So ist es gekommen. In einer zweiten Volksabstimmung hätte die SNP damit gute Karten. Schon 2014 lag das Unabhängigkeits-Lager in Umfragen zwischenzeitlich vorn. Was das Vereinigte Königreich schließlich vereinigt bleiben ließ: Viele Schotten stimmten gegen die Abspaltung, weil ihnen der Nationalismus und die Kleinstaaterei suspekt waren, die sie hinter der SNP-Kampagne witterten.
Doch genau dieser egozentrische Blick nach innen, der den Schotten nicht passte, bestimmte in den vergangenen Monaten das Brexit-Lager. Eine der größten Zeitungen im Norden, der sozialdemokratische "Daily Record", schreibt am Wochenende, Sturgeon habe "kaum eine andere Wahl", als ein erneutes Referendum auszurufen. 2014 hatte das Blatt eher für die Union mit England, Wales und Nordirland geworben. Jetzt steht im Leitartikel, das Brexit-Votum mache die Unabhängigkeit zur "positiven, weltoffenen Option" für Schottland.
Auch abgesehen vom Thema Brexit hat England die Schotten enttäuscht, nachdem sie sich fürs Bleiben im Vereinigten Königreich entschieden hatten. Das große Versprechen nur Tage vor dem Referendum, den Schotten mehr Selbstbestimmung zu geben, verbandelte Premier David Cameron wenig später mit der Forderung nach einem englischen Parlament - und löste damit erst einmal zähe Debatten aus.
Im Norden fühlten sich viele veräppelt
Im Norden fühlten sich viele veräppelt: Erst mit allen denkbaren Schmeicheleien umworben, dann fallen gelassen, als die Aussicht auf Scheidung vom Tisch war. Der Geist der Unabhängigkeit war deswegen nie ganz zurückgekrochen in die Flasche, das Thema waberte weiter durch politische Debatten und Leitartikel.
Natürlich gibt es viele Hürden: Die SNP hat seit Mai keine absolute Mehrheit mehr in Edinburgh und müsste Parlamentarier anderer Parteien überzeugen. Damit das Votum auch rechtlich bindend wäre, müsste London der Volksabstimmung den Segen geben. Und: 2014 konnte die SNP noch mit Schottlands Ölvorkommen argumentieren, die das Land finanzieren könnten. In Zeiten niedriger Ölpreise fiele das kaum ins Gewicht.
Einen groben Zeitplan entwirft Sturgeon trotzdem schon mal. Wenn Großbritannien etwa in drei Monaten den Ausstiegs-Mechanismus in Gang setze, dann blieben bis zum Austritt aus der EU noch etwa zwei Jahre. Sollte es ein Referendum geben, dann innerhalb dieses Zeitraums. Teresa Dapp, dpa