Brexit oder nicht? Europa hält den Atem an, wenn die Briten kommende Woche in einer Volksabstimmung über den Verbleib in der EU abstimmen. Hier eine Übersicht über die Pro- und Contra-Argumente.
PRO BREXIT
Einwanderung: Die Zuwanderung in Großbritannien ist seit 2012 hochgeschnellt. Die Nettoeinwanderung aus EU-Ländern hat sich verdoppelt, aber auch aus Nicht-EU-Ländern kamen laut nationalem Statistikamt deutlich mehr Menschen. In vielen Städten gibt es massive Integrationsprobleme, auch die Angst vor Terroranschlägen wird als Argument angeführt.
Auch Brexit-Gegner erkennen an, dass die Einwanderung den Druck auf die Sozialsysteme erhöht hat und dass sie sogar Lohnerhöhungen in mehreren Branchen verhindert haben könnte. Durch den Austritt aus der EU könnte London die Zuwanderung wesentlich stärker begrenzen: Es entstünden mehr Jobs für Briten, der Druck auf Krankenhäuser und Schulen würde abnehmen, lautet das Argument im Pro-Brexit-Lager.
Souveränität: Immer mehr Gesetze und Richtlinien werden von der EU beschlossen oder auf den Weg gebracht. Durch die Verlagerung der Entscheidungsprozesse von London nach Brüssel sehen viele Briten ihre Demokratie ausgehöhlt. Der Austritt würde dem Land also nicht nur die Souveränität über seine Grenzen zurückbringen, sondern auch der stolzen Westminster-Demokratie wieder mehr Macht verschaffen. Die Angst, in Brüssel werde ein Superstaat gebaut, trieb Brexit-Wortführer Boris Johnson mit einem Hitler-Vergleich auf die Spitze: Auch Hitler habe versucht, den Kontinent unter einer Regierung zu einen, "und es endete tragisch".
Wirtschaft: 2014 überwies Großbritannien - nach Abzug der Rückflüsse - laut EU-Zahlen knapp fünf Milliarden Euro nach Brüssel - etwa 77 Euro pro Kopf. Der Nettobeitrag ist dem Königreich schon seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Rechtspopulist Nigel Farage bedient den Zorn bei jedem seiner Auftritte. Prognosen des Brexit-Lagers sehen ein Wachstumspotenzial von bis zu 1,6 Prozent für die heimische Wirtschaft, sollten britische Unternehmen nicht länger durch EU-Regeln geknebelt und das eingesparte Steuergeld ins Land investiert werden. Laut einer Berechnung des Institute for Fiscal Studies macht der Nettobeitrag für die EU indes nur 1,2 Prozent des britischen Gesamtbudgets aus.
PRO EU
Wirtschaft: Anstelle eines Werbefeldzuges für die EU und ihre Werte führen die Brexit-Gegner um Premier David Cameron eine Abwehrschlacht. Sie verweisen auf zahlreiche Studien, wonach die Wirtschaft langfristig gar um bis zu 9,5 Prozent einbrechen könnte und halten dem ein Export-Plus von 55 Prozent durch die EU-Mitgliedschaft entgegen. Britische Unternehmen verlören ihre wichtigsten Handelspartner, müssten Zölle auf Exporte zahlen, internationale Konzerne könnten abwandern, Jobs wegfallen, das Pfund ins Trudeln geraten. Der Brexit wäre eine "Selbstverletzung", die Briten dürften nicht "mit der Zukunft unserer Kinder spielen", warnte Cameron in einem TV-Auftritt.
Einfluss: Die Hoffnung, Großbritannien könnte durch einen Austritt Souveränität zurück erlangen, ignoriert nach Einschätzung des renommierten Instituts Chatham House die Globalisierung: Durch wechselnde Bündnisse auf EU-Ebene könne London seine eigenen Interessen besser durchsetzen als in der Isolation. Cameron verweist darauf, dass die Briten für einen künftigen Handel mit der EU deren Vorschriften akzeptieren müssten - ohne sie noch beeinflussen zu können. Der britische Einfluss könnte weiter geschmälert werden, wenn sich die EU-freundlichen Schotten im zweiten Anlauf abspalten.
Sicherheit: Dank des EU-Haftbefehls seien 1100 Mörder und Vergewaltiger an Großbritannien ausgeliefert worden, berichtete Cameron im Fernsehen. Nicht nur die Kriminalitätsbekämpfung sähe er zurückgeworfen, sondern gar den Frieden in Europa bedroht, wenn sich Großbritannien als "führende Militärmacht" zurückziehe, warnte er im Mai. Das Argument wurde indes zum Bumerang: Der Vorwurf, Cameron schüre mit der Warnung vor einem "Dritten Weltkrieg" Panik, um den Brexit abzuwenden, gehört inzwischen zum Standardrepertoir seiner Widersacher. afp/AZ