"Mythos, Mythos", rufen seine Fans meist, wenn sie Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro irgendwo bei einem seiner Auftritte sehen. Doch Mythisches umgibt den Rechtspopulisten, der das riesige Land durch die anhaltende Verharmlosung der Coronavirus-Pandemie in arge Probleme gebracht hat, schon lange nicht mehr. Es ist vielmehr ein zäher politischer Überlebenskampf, in dem ein entzauberter Populist zu retten versucht, was eigentlich nicht mehr zu retten ist.
Der Rücktritt des Justizministers ist eine Zäsur
Der Rücktritt von Justizminister Sergio Moro ist eine Zäsur für die Präsidentschaft. Er ist nicht nur ein Schock für jenes politische Lager, das Bolsonaro gewählt hat, um "den Korrupten da oben mal so richtig Dampf" zu machen. Er ist auch eine politische Delegitimierung. Denn Moro stand für das klassisch konservative Lager. Für jene Kräfte, die Bolsonaro mit Bauchschmerzen wählten, die die rassistischen oder vulgären Verbalattacken des Populisten eher abstießen, die aber auf keinen Fall eine neue linke Regierung wollten. Und die auch mit dem evangelikalen Fundamentalismus, den diese Regierung kennzeichnet, nur wenig anfangen konnten. Nun ist nach Gesundheitsminister Luiz Mandetta, der in der Corona-Krise nach wissenschaftlichen Kriterien handelte und deswegen gehen musste, der zweite Realpolitiker innerhalb kürzester Zeit weg.
Justizminister Moro ging mit schweren Anschuldigungen: Der Präsident habe auf die Ermittlungen der Bundespolizei Einfluss zu nehmen versucht. Ausgerechnet gegen die Behörde, die gegen die Bolsonaro-Söhne ermittelt, denen unter anderem Korruption und die Produktion von Fake News vorgeworfen wird. Und da ist immer noch der unaufgeklärte Mord an der afrobrasilianischen Stadträtin Marielle Franco aus dem Jahr 2018, deren Hauptverdächtige eine unheimliche Nähe zum Bolsonaro-Clan aufweisen. Wenn nun ausgerechnet der Politiker, der angetreten war, den Korruptionssumpf trockenzulegen, damit beschäftigt ist, seine eigene Familie vor der Justiz zu schützen.
Der Großteil der Brasilianer glaubt Moros, nicht Bolsonaro
Laut ersten Umfragen glauben zwei Drittel der Brasilianer eher den Anschuldigungen Moros, als den Erklärungsversuchen Bolsonaros. Selbst einflussreiche Unterstützer Bolsonaros wie die ehemalige Volleyball-Nationalspielerin Ana Paula erklären ihren Millionen Followern in den sozialen Netzwerken nun, warum sie Bolsonaro nicht mehr folgen können. "Moro ist ein Gigant", schreibt die populäre Sportlerin.
Zur Corona-Krise kommt in Brasilien auch noch eine Regierungskrise
Zugleich stürzen Börse und die Währung ab, die Märkte wissen, dass Brasilien inmitten der Corona-Krise auch noch auf eine Regierungskrise zusteuert. Die Armeespitze von deren Wohl Bolsonaro abhängt, zeigt sich "tief besorgt". Brasiliens Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso forderte Bolsonaro zum Rücktritt auf: "Ersparen Sie uns das Impeachment." Tatsächlich mehren sich die Stimmen, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten fordern.
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