Es sind dramatische Appelle, die Ärzteschaft und Pflegepersonal aus der Amazonas-Metropole Manaus über die sozialen Netzwerke nach Brasilien und den Rest der Welt hinaus senden. „Sauerstoff. Schickt uns Sauerstoff“, ruft eine weinende, verzweifelte Krankenschwester in die Kamera ihres Handys. Die Lage in der Zwei-Millionen-Stadt inmitten des brasilianischen Regenwaldes ist geradezu apokalyptisch. Weil es in den Krankenhäusern fast keinen Sauerstoff mehr gibt, müssen Pflegerinnen und Pfleger schwer kranke Covid-19-Patienten mit Handpumpen beatmen und sich gegenseitig abwechseln, wenn sie erschöpft sind.
Weil auch Betten in den Krankenhäusern fehlen, versuchen immer mehr Familien, an Covid erkrankte Angehörige in den eigenen Wohnungen zu pflegen. Wenige wohlhabende Familien nehmen Physiotherapeuten als Krankenpfleger unter Vertrag. Und sie suchen nach Sauerstoff auf dem freien Markt. Dort sind die Preise explodiert. Für eine Sauerstoffflasche, die vorher 2000 Real (ca. 300 Euro) kostete, wird laut der Tageszeitung Folha inzwischen das Dreifache verlangt.
Corona in Brasilien: Auch in Manaus scheint es eine Mutation des Virus zu geben
In einer Woche stieg die Zahl der Neuinfektionen dramatisch, ebenso die Zahl der Toten. „Es spricht alles dafür, dass in Manaus eine Mutation des Coronavirus diese neuen hohen Infektionszahlen verursacht hat“, sagt Luis Castro, Gesundheitskoordinator der Stiftung nachhaltiger Amazonas aus Manaus im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Situation erinnert an die erste Welle vor ein paar Monaten, doch diesmal scheint alles noch schlimmer. Die von einigen Wissenschaftlern aufgestellte These, dass Manaus Herdenimmunität erreicht haben könnte, dürfte erst einmal widerlegt sein.
Für die katastrophale Lage gibt es Gründe. Im Dezember wurde der Lockdown in Manaus gelockert – prompt kam es zu Festen, viele Menschen trafen zusammen. Zuvor hat auch der Wahlkampf für gesorgt, dass sich viele Menschen auf engem Raum begegneten. Brasiliens rechtspopulistischer Präsident Jair Bolsonaro gratulierte Manaus vor einigen Wochen noch zu den Lockerungen, die sich jetzt zu rächen scheinen. Die Wucht der zweiten Welle spült nun die Patienten in die schon jetzt überlasteten Krankenhäuser und sorgt für eine Versorgungskrise bei einem der wichtigsten Hilfsmittel. Die Regierung lässt Sauerstoff per Militär ein- und Patienten ausfliegen. Künstler organisieren Spendenmarathons.
Katastrophe in Manaus: Ein Ergebnis der katastrophalen Corona-Politik Bolsonaros
Dass es so weit kommen musste, ist letztlich das Ergebnis der katastrophalen Corona-Politik der Regierung Bolsonaro seit Ausbruch der Pandemie. Zu Beginn der Krise trennte sich der rechtspopulistische Präsident gleich von zwei Gesundheitsministern, die auf die Empfehlungen von Experten setzten, während Bolsonaro die Gefährlichkeit der Pandemie verharmloste, keine Maske trug und von einem „Grippchen“ sprach.
Inzwischen präsentiert sich der Präsident auch als Impfgegner. In der ihm eigenen Mischung aus Ironie und Spott stellt er die Wirksamkeit der Impfstoffe infrage: „Im Vertrag ist klar geregelt, dass Pfizer nicht für Nebenwirkungen verantwortlich ist. Wenn du dich in einen Kaiman verwandelst, ist es dein Problem.“ Seine Schlussfolgerung von vor einigen Wochen: „Ich werde mich nicht impfen lassen, und Schluss.“
Bitter ist für die Bevölkerung, dass das riesige südamerikanische Land eigentlich einen relativ guten Zugang zu den Impfstoffen hatte, denn nahezu jeder Konzern, auch der deutsche BionTech aus Mainz, ließ direkt oder indirekt in Brasilien bei Probanden testen. Das brachte dem Land den Ruf ein, das Versuchslabor der Welt zu sein. Trotzdem versäumte es die Regierung, rechtzeitig Impfdosen in ausreichender Zahl zu bestellen. Der Start der Impfkampagne wurde immer wieder hinausgezögert. Der nächste Versuch soll nun starten, die Regierung erwartet nach eigenen Angaben zwei Millionen Dosen des gemeinsam von der Universität Oxford und dem Pharmakonzern Astrazeneca entwickelten Impfstoffs.
Corona in Brasilien: Jetzt werden die Proteste gegen den Präsidenten wieder lauter
Für die Krankenhäuser in Manaus und ihr verzweifeltes Personal kommt das alles viel zu spät. Unterdessen rücken nicht nur die lokalen und regionalen Behörden angesichts des katastrophalen Managements in den Fokus der Ermittlungsbehörden: Erstmals seit Wochen sind nun auch wieder Proteste von den Balkonen der großen Städte gegen Bolsonaro zu hören. Mit dem Schlagen auf Kochtöpfen verschaffen sich die Menschen Gehör. Dieser Protest-Lärm war am Wochenende in zahlreichen brasilianischen Städten zu hören und erinnert Bolsonaro daran, dass die Corona-Krise noch längst nicht ausgestanden ist.
Hinzu kommt ein weiteres Problem. Die Auszahlung der Corona-Hilfsgelder an die Bevölkerung sicherte ihm trotz des schlechten Krisenmanagements eine vergleichsweise immer noch ordentliche Zustimmungsrate in der Bevölkerung. Doch auch diese Auszahlung scheint längst nicht mehr sicher zu sein.
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