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Bonn: Geschichte rekonstruiert: Ein Besuch bei Helmut Schmidt im Kanzleramt

Bonn

Geschichte rekonstruiert: Ein Besuch bei Helmut Schmidt im Kanzleramt

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    Bundeskanzler Helmut Schmidt SPD löffelt im seinem Arbeitszimmer in Bonn - im wahrsten Sinne des Wortes - seine Suppe aus. Aufgenommen im Dezember 1978. | Verwendung weltweit
    Bundeskanzler Helmut Schmidt SPD löffelt im seinem Arbeitszimmer in Bonn - im wahrsten Sinne des Wortes - seine Suppe aus. Aufgenommen im Dezember 1978. | Verwendung weltweit Foto: Dpa

    Die Pfeife liegt auf dem Aschenbecher, dahinter steht die lederne Tabaksdose. In der zweiten Schublade des Schreibtischs hat er eine Packung seiner heiß geliebten Menthol-Zigaretten versteckt, zudem eine Packung Zigarillos und eine aufgerissene Tüte „Fisherman’s Friend“. Genau hinter seinem Schreibtisch, im großen Bücherregal, stehen die Erinnerungen seines Vorgängers Willy Brandt mit dem Titel „Begegnungen und Einsichten“ und eine Herbert-Wehner-Biografie, aber auch die Jahrgangsbände der Zeitschrift „Die Internationale Politik“ von 1961 bis 1976 sowie der dicke Gedenkband „Hundert Jahre deutsche Sozialdemokratie“. Und an der Wand hängen Fotos, die ihn im Kreise der Großen und Mächtigen der Welt zeigen, unter anderem mit US-Präsident Gerald Ford, Kremlchef Leonid Breschnew oder seinem Freund, dem französischen Staatspräsidenten Valerie Giscard d’Estaing.

    Es scheint, als sei Bundeskanzler Helmut Schmidt nur einmal kurz aufgestanden und habe sein Büro im Bonner Kanzleramt mit dem offenen Blick auf den weitläufigen, zum Rhein führenden Park lediglich für einen Augenblick verlassen. Alles liegt akkurat an seinem Platz, sogar das Schachspiel ist griffbereit.

    Dabei ist es ein kleines Wunder, dass das originale Arbeitszimmer des im November vergangenen Jahres im Alter von 96 Jahren gestorbenen Altkanzlers, der von 1974 bis 1982 regierte, mit allen Einrichtungsgegenständen, Büchern, Fotos und Erinnerungsstücken an diesem Ort wieder so steht, wie es einst ausgesehen hat, und künftig sogar besichtigt werden kann.

    Minister Gerd Müller machte die Räume wieder der Öffentlichkeit zugänglich

    Geschafft hat dieses Kunststück Gerd Müller, CSU-Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dessen Ministerium seit 2005 in der früheren Bonner Regierungszentrale seinen ersten Dienstsitz hat. Der Allgäuer machte nicht nur das Arbeitszimmer wieder ausfindig, sondern sorgte auch dafür, dass es künftig zusammen mit dem Vorzimmer („Heckel-Zimmer“) sowie dem einstigen Sitzungssaal des Bundeskabinetts für Besucher zugänglich gemacht wird und im Rahmen von Führungen besichtigt werden kann. Am Freitag stellt er zusammen mit Hans Walter Hütter, dem Präsidenten der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die historischen Räume vor und gibt sie für die Öffentlichkeit frei.

    Als Müller nach der Bundestagswahl 2013 Hausherr im Bonner Kanzleramtsgebäude wurde, fand er ein leeres und verwaistes Kanzlerbüro vor. Denn nach seiner Abwahl und seinem Auszug aus dem Kanzleramt 1982 nahm Helmut Schmidt alles mit, genauso machten es auch seine Nachfolger Helmut Kohl, der von 1982 bis 1998 in diesem Büro arbeitete, sowie Gerhard Schröder, der 1999 von Bonn nach Berlin umzog. Das Arbeitszimmer des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, das vor genau 40 Jahren, im Sommer 1976, von Schmidt bezogen wurde und in dem bis zum Umzug 1999 alle Fäden der Macht zusammenliefen, geriet in Vergessenheit. Ebenso der Kabinettssaal, in dem einst die Regierung getagt hatte und der nun hin und wieder vom Personalrat des Entwicklungsministeriums genutzt wurde.

    Schröder und Schmidt waren beim Planen dabei

    Gerd Müller, Jahrgang 1955, ein Kind der alten Bundesrepublik, der mit den Bildern vom Kabinettssaal groß wurde, die abends in der „Tagesschau“ zu sehen waren, entschloss sich, das zu ändern. „Ich habe mich erinnert an meinen ersten Besuch im Bundeskanzleramt, als ich 1994 als jung gewählter Abgeordneter von Helmut Kohl eingeladen wurde“, erzählt er. „Das Kanzleramt steht für die Geschichte in Bonn – und diese Geschichte muss dokumentiert werden mit den Kanzlern, die hier deutsche Politik gestaltet haben.“

    So traf sich Müller mit Schmidt und Schröder und lud Kohl sowie weitere Mitglieder des Kabinetts ins Kanzleramt ein. Dabei stellte sich heraus, dass Schmidt sein Arbeitszimmer komplett in sein Berliner Büro mitgenommen hatte. Alles war da. Und nach dem Tod des Altkanzlers war der Weg frei. Zusammen mit dem Bonner Haus der Geschichte übernahm das Entwicklungsministerium das Büro mit allem, was dazugehört, und brachte es zurück nach Bonn. Lediglich das Gemälde von August Bebel, dem Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie, fehlte. Es war auf Umwegen beim früheren rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und SPD-Chef Kurt Beck gelandet. Dieser ist heute Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung und das Bild schmückt sein Büro. Für das Bonner Kanzleramt wurde daher eine Kopie angefertigt und am Originalplatz aufgehängt. Alles ist wieder so wie einst.

    In Bonn gibt es die Geschichte der alten Bundesrepublik zum Anfassen

    Für das Bonner Haus der Geschichte ist die Entscheidung Müllers, Kabinettssaal und Kanzlerarbeitszimmer für Besucher zugänglich zu machen, ein Glücksfall. Schon jetzt können Bonn-Besucher das Palais Schaumburg, in dem die Bundeskanzler Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger (alle CDU) und Willy Brandt (SPD) regierten, sowie den Kanzlerbungalow im Park des Kanzleramtes, in dem die Regierungschefs wohnten und ihre Gäste empfingen, besichtigen. „Das ist ein weiterer Mosaikstein, die Geschichte der Bonner Republik zu präsentieren“, sagt die Historikerin Judith Kruse. „Die historischen Orte haben ihre eigene Aura. Und die Besucher sind richtig heiß darauf, diese Orte, an denen Geschichte geschrieben wurde, zu sehen.“

    Kostenlose Besichtigungen des Kabinettssaales und des Arbeitszimmers des Bundeskanzlers für Gruppen organisiert der Besucherdienst des Hauses der Geschichte in Bonn. Telefon: 0228/9165-400 E-Mail: besucherdienst-bonn@hdg.de.

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