Es ist ein Muster, das sich Jahr für Jahr wiederholt: Kaum haben die Sommerferien begonnen, steigen die Zahlen in der Arbeitslosenstatistik: Tausende Lehrerinnen und Lehrer ohne feste Anstellung, die während des Schuljahres für einen reibungslosen Ablauf des Unterrichts sorgen, müssen sich für mindestens sechs Wochen arbeitslos melden. Danach werden ihre Verträge verlängert, manchmal sogar an der gleichen Schule. Jedes Jahr wird diese Praxis von den Gewerkschaften lautstark kritisiert – doch eine Änderung ist trotz Corona nicht in Sicht.
Zahlen, die unserer Redaktion vorliegen, zeigen, dass sich das Problem in den vergangenen beiden Jahren und auch in diesem Jahr auf hohem Niveau fortgesetzt hat. Wie sich aus der Statistik der Agentur für Arbeit herauslesen lässt, hatte die Zahl der arbeitslos gemeldeten Lehrkräfte im Sommer 2020 sogar einen Höchststand erreicht. Im August 2020 waren bundesweit 5215 Lehrerinnen und Lehrer arbeitslos gemeldet, im September immerhin noch 1549 – zum Vergleich: Im Juni 2020 waren nur 609 Lehrerinnen und Lehrer in dieser Statistik aufgetaucht. Wie aktuelle Werte bis Stand Juli zeigen, dürfte sich dieser Trend auch 2021 fortsetzen. Im Juni 2021 waren 5012 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden Schulen arbeitslos gemeldet. Im Juli 2021 waren dies 5918 Personen. Für August liegen noch keine Zahlen vor. Die Arbeitsagentur schreibt: „Besonders häufig melden sich jüngere Lehrkräfte arbeitslos. 54 Prozent der Lehrkräfte, die im August 2020 arbeitslos wurden, waren unter 35 Jahre alt. Da mehr Frauen als Männer den Lehrerberuf ergreifen, ging die Mehrzahl der Arbeitslosmeldungen im August 2020 auf Frauen zurück (72 Prozent).“
In Baden-Württemberg und Bayern verbreitete Praxis
Interessant auch der Ländervergleich: In Baden-Württemberg, Hamburg und Bayern meldeten sich im Jahr 2020 anteilig die meisten Lehrkräfte während der Sommerferien arbeitslos. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt das: In Bayern waren im August 2020 653 Lehrerinnen und Lehrer arbeitslos, im September 297, im Oktober noch 86, im November 60. Das zeigt: Kaum läuft das Schuljahr wieder, werden die Lehrkräfte – ohne Verbeamtung – wieder eingestellt. Voraussetzung für dieses Vorgehen, das dem Staat Geld sparen soll, ist ein befristeter Vertrag. Die Hilfslehrer mit befristeten Verträgen werden gebraucht, um Ausfälle durch Krankheit oder Schwangerschaft auszugleichen.
Linkspartei kritisiert das Vorgehen scharf
Der Linkspartei ist diese Praxis seit Jahren ein Dorn im Auge. Dass die Lehrkräfte ausgerechnet während der Corona-Pandemie in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden, stößt der Vize-Fraktionschefin Susanne Ferschl besonders sauer auf. „Schlimm genug, dass Lehrerinnen und Lehrer während der Pandemie von der Politik vernachlässigt wurden und auf verlorenem Posten kämpfen mussten“, sagt sie unserer Redaktion. „Dass jetzt auch noch eine Großzahl von ihnen pünktlich zu den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit geschickt wird, ist unsäglich.“ Die Pandemie habe Leerstellen im Bildungs- und Schulsystem schonungslos offengelegt. „Und während man über Klassengröße, Digitalisierung und Schulreform diskutiert, entlässt man diejenigen, die das alles durchführen sollen, regelmäßig in die Arbeitslosigkeit“, sagt Ferschl. „Bayern sucht händeringend nach Lehrkräften - den Lehrkräftemangel aber mit Krokodilstränen zu beweinen ist wohlfeil, wenn man statt sicherer Arbeit nur prekäre Arbeitsplätze im Angebot hat.“ Die Lehrerinnen und Lehrer würden eine Festanstellung brauchen. Das sei die Grundvoraussetzung und der erste Schritt für die „Überwindung der Bildungskrise“. „Das sollte sich vor allem Kultusminister Piazolo hinter die Ohren schreiben.“
Das bayerische Kultusministerium hingegen betont, dass Lehrkräfte, die in den Sommerferien keinen Vertrag erhalten, „in Bayern die absolute Ausnahme“ seien. Nur wenn bestimmte Voraussetzungen nicht vorliegen, könne es vorkommen, dass Verträge für Vertretungslehrkräfte zum Ende des Schuljahres auslaufen. Das sei unter anderem dann der Fall, wenn Vertretungskräfte nur kurz eingesetzt waren, etwa für Mutterschutzfristen. „Kultusminister Piazolo hat zu Beginn der laufenden Legislaturperiode ein Sonderprogramm zur Entfristung von befristet beschäftigten Lehrkräften beschlossen, die sich im bayerischen Schuldienst bewährt haben“, so ein Sprecher des Ministeriums. „Für dieses Programm standen 800 Planstellen zur Verfügung, die vollständig besetzt wurden.“
Politischer Streit in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg, das die Praxis noch deutlich häufiger anwendet als Bayern, kam es erst jüngst zum politischen Streit über das Thema. Denn auch die neue Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) will an der Methode festhalten, zumindest junge Lehrkräfte nach ihrem Referendariat in unbezahlte Sommerferien zu schicken. Die Ausbildung sei mit Ende des Vorbereitungsdienstes abgeschlossen, die Einstellung zum neuen Schuljahr erfolge davon unabhängig zum einheitlichen Termin im September, sagte ein Ministeriumssprecher. „Das ist ein regulärer Vorgang, der sich beim Referendariat für Juristen und bei zahlreichen anderen Berufsgruppen genauso verhält.“ Bei den etwa 3500 Aushilfslehrern will sich das Land dagegen bemühen, zumindest einen Teil von ihnen künftig auch über die Sommerferien zu bezahlen. Schon Schoppers Vorgängerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte es mit Hinweis auf die Kosten abgelehnt, dieses Prinzip zu ändern.
„Die neue Kultusministerin Theresa Schopper ist mit dem Versprechen angetreten, mit einem neuen Stil die Bildungspolitik in Baden-Württemberg zu gestalten. Warum schickt sie dann den gefragten Nachwuchs nach der Ausbildung erst einmal in die Arbeitslosigkeit?“, fragte GEW-Landeschefin Monika Stein. Der FDP-Bildungsexperte Timm Kern nannte das Agieren des Ministeriums „töricht“. „Gerade in der schwierigen Situation während der Pandemie verbietet sich die unwürdige Praxis, angehende und angestellte Lehrkräfte in die Sommer-Arbeitslosigkeit zu entlassen.“ (mit dpa)