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Bild-Zeitung: "Bild"-Talkshow will Empörung - und bekommt sie nicht

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"Bild"-Talkshow will Empörung - und bekommt sie nicht

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    Szene aus der Talkshow „Hier spricht das Volk“ mit Bild-Chefredakteur Julian Reichelt als Moderator (links).
    Szene aus der Talkshow „Hier spricht das Volk“ mit Bild-Chefredakteur Julian Reichelt als Moderator (links). Foto: dpa

    Die Bild-Zeitung gibt es jetzt auch als Fernsehen. Das Boulevardblatt will dort "ganz normalen Menschen" eine Bühne geben. Die erste Folge der Online-Talkshow "Hier spricht das Volk" erinnert allerdings eher an eine Schulstunde, in der die Schüler den Ansprüchen des Lehrers nicht so recht genügen. Unterrichtet wird die Klasse, die aus 15 Personen besteht und in zwei Reihen an ihren Tischen sitzt, von Bild-Chefredakteur Julian Reichelt – und der gibt sich redlich Mühe, Volkes Stimmung anzuheizen.

    Bild-Chefredakteur Reichelt versucht, Volkes Zorn zu entfachen

    "Wer von Ihnen hat schon mal ältere Menschen gesehen, die Flaschen sammeln", fragt Lehrer Reichelt und bittet um Handzeichen. Und siehe da: Alle Hände gehen nach oben. Ist das schon der ultimative Beweis dafür, dass es in Deutschland ungerecht zugeht? Offenbar nicht. Volkes Zorn lässt sich im Hamburger Studio jedenfalls nicht so recht entfachen. Auch nicht, als Reichelt fragt, ob die Rentenhöhe gerecht ist, wenn man auf die Lebensleistung älterer Menschen schaut. Oder als er wissen will, welche Gründe es gibt, immer ein Messer in der Tasche dabei zu haben. Weil man sich in diesem Land ja gar nicht mehr alleine auf die Straße traut, scheint die erhoffte Antwort zu lauten.

    Doch es meldet sich lediglich eine "normale Frau" und erklärt, so ein Taschenmesser sei doch ganz praktisch, wenn man unterwegs mal einen Apfel schälen will. Reichelt gibt nicht auf und legt mit einer Grafik nach, die den Anstieg von Messerattacken in Deutschland belegen soll. Er fragt den Polizisten in der ersten Reihe. Der antwortet nüchtern: "Dass es eine massive Zunahme von Taten mit Messern gibt, das habe ich jetzt so in meinem Berufsalltag bisher nicht festgestellt." Es ist schon kurios, da will das Boulevardblatt endlich mal die anständigen, empörten Deutschen zu Wort kommen lassen und dann empört sich keiner.

    Medienexperte: Versprechen des Bild-Chefs ist "Quatsch"

    Der "Lehrer" wirkt ein bisschen enttäuscht. Seine Aufmerksamkeit sinkt jedenfalls spürbar, wenn die Antworten nicht die erwartete Brisanz bieten. "Die Panik, die er haben wollte, ist einfach ausgefallen", sagt Jürn Kruse. Der Medienexperte hält schon das Versprechen der Bild, dies sei die erste Talkshow, in der normale Bürger sprechen dürfen, für Unsinn. "Reichelt versucht den Eindruck zu erwecken, dass die Bild der einzige Ort ist, wo man noch seine Meinung sagen darf. Das ist natürlich totaler Quatsch", sagt Kruse, der für das Magazin Übermedien arbeitet. "Die Bild schmeißt sich da an ein Gefühl ran. Aber im Bayerischen Rundfunk zum Beispiel gibt es doch seit Jahrzehnten die Sendung "Jetzt red i" – und ähnliche Formate schießen wie Pilze aus dem Boden."

    Was also ist dann das Besondere an dem neuen Bild-Projekt? Reichelt erklärt das auf Nachfrage unserer Redaktion unbeirrt so: "Während in anderen Formaten die Zuschauer weitestgehend Staffage sind oder reine Stichwortgeber sein dürfen, kommen bei ,Hier spricht das Volk‘ ganz normale Menschen als die eigentlichen Talk-Gäste zu Wort. Sie stehen mit ihren Meinungen für den Querschnitt der Gesellschaft."

    Julian Reichelt, Chefredakteur der Bild-Zeitung, hat ein neues Talkshow-Format entwickelt.
    Julian Reichelt, Chefredakteur der Bild-Zeitung, hat ein neues Talkshow-Format entwickelt. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Seit der heute 39-Jährige vor zwei Jahren die Führung der Boulevardzeitung übernahm, setzt Bild wieder stärker auf Stammtisch-Themen und Stimmungen. Während das Blatt unter dem früheren Chefredakteur Kai Diekmann beispielsweise noch eine Hilfskampagne für Flüchtlinge gestartet hatte, macht es heute vor allem Schlagzeilen mit den Problemen, die durch die Migration entstehen. Für den Medienexperten Kruse ist das klares Kalkül. "Sein Kurs ist wesentlich härter – und auch populistischer", sagt er über Reichelt. "Das ist die Methode, die beispielsweise Donald Trumps Lieblingssender Fox News in den USA verfolgt."

    Die Bild will ARD und ZDF Konkurrenz machen

    Ob das auch in Deutschland funktioniert? Kruse hat nach Analyse der Talkshow-Premiere seine Zweifel: "Je mehr die Auflage zurückgeht, desto lauter und schriller wird die Bild. Aber die Sendung hat ja gezeigt, dass selbst ein Publikum, das sie selbst ausgesucht hat, nicht unbedingt empfänglich dafür ist." Reichelt sieht das naturgemäß anders: "Wir freuen uns, dass schon die erste Sendung so große Aufmerksamkeit hat und breit diskutiert wird. Das zeigt, dass wir mit dem neuen Bild-Talk den Nerv treffen und mit unseren Videoformaten auf dem richtigen Weg sind." Die Unterrichtsstunde war tatsächlich nur der Anfang. Der Bild-Chef hatte im vergangenen Herbst angekündigt, ein großes Video-Angebot als Gegenentwurf zu den öffentlich-rechtlichen Sendern aufzubauen.

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