Gegen massiven Widerstand der Opposition haben Union und SPD am Donnerstagabend im Bundestag eine Wahlrechtsreform durchgesetzt. Bei der Bundestagswahl in einem Jahr wird es demnach bei der Zahl von 299 Wahlkreisen bleiben. Um die befürchtete unverhältnismäßige Aufblähung des Parlaments zu verhindern, werden allerdings Überhangmandate einer Partei zum Teil nicht mehr mit ihren Listenmandaten verrechnet. Wird die Größe von 598 Sitzen überschritten, werden bis zu drei Überhangmandate nicht mehr durch Ausgleichsmandate kompensiert.
Vorausgegangen war eine jahrelange Auseinandersetzung um den stetig wachsenden Bundestag. Aktuell hat das Parlament 709 statt der vorgesehenen 598 Mitglieder. Es war befürchtet worden, dass der Bundestag nach der Wahl im kommenden Jahr sogar auf über 800 Abgeordnete anwachsen könnte.
Dass die jetzt mit Regierungsmehrheit beschlossene Reform dies verhindern kann, ist indes umstritten. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags hatte der Wahlrechtsreform der Regierungskoalition eine allenfalls geringe Wirkung hinsichtlich einer Verkleinerung des Parlaments bescheinigt. Beim einem gleichen Ergebnis wie bei der Bundestagswahl 2017 wäre eine Absenkung der Gesamtsitze auf bis zu 682 Abgeordnete möglich gewesen. Laut der Ausarbeitung wäre also eine Ersparnis von höchstens 27 Abgeordneten herausgekommen. Schon zuvor hatten Berechnungen von Politikwissenschaftlern Zweifel an der Tauglichkeit der Reform geweckt. Demnach sind zahlreiche Wahlergebnisse denkbar, nach denen das nächste Parlament sogar noch größer ist, als das aktuelle.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Wahlrechtsreform
Noch brisanter als die womöglich nur geringe Wirksamkeit des schwarz-roten Konzepts sind verfassungsrechtliche Bedenken. So weist der Wissenschaftliche Dienst darauf hin, dass durch die Reform der Effekt des „negativen Stimmgewichts“ auftreten kann. Eine Partei könnte dann Mandate verlieren, obwohl sie tatsächlich bei der Wahl Stimmen hinzugewonnen hat. Aber auch der umgekehrte Fall wäre denkbar: Mehr Sitze trotz eines schlechteren Ergebnisses. Dieser Effekt war bereits früher vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Es gilt deshalb praktisch als sicher, dass die Opposition die Verfassungshüter in Karlsruhe anrufen werden.
FDP, Linkspartei und Grüne lehnen die Reform der Großen Koalition vehement ab. Sie hatten gemeinsam einen Alternativvorschlag gemacht. Ihr Plan sah eine Art Obergrenze von maximal 630 Bundestagsmitgliedern vor. Dafür sollte etwa die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 verringert werden. Dies hätte weniger Überhang- und Ausgleichsmandate zur Folge gehabt. Von Verfassungsrechtlern war dieser Vorschlag bereits gelobt worden.
Auch die AfD präsentierte ein eigenes Konzept, nach dem die Zahl der Wahlkreise nicht verändern werden soll. Direktmandate sollen jedoch so vergeben werden, dass keine Überhangmandate entstehen. Wahlkreisgewinner würden damit nicht mehr automatisch in den Bundestag einziehen.
FDP-Politiker Thomae: „Ein fauler Kompromiss“
Mit heftiger Kritik reagierte die Opposition auf die Reform. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sagte unserer Redaktion: „Sowohl die Öffentliche Anhörung im Innenausschuss als auch das von uns in Auftrag gegebene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes haben bestätigt, dass der Vorschlag von Union und SPD völlig ungeeignet ist, ein weiteres Aufblähen des Bundestages effektiv zu verhindern.“ Das Gesetz begegne zudem verfassungsrechtlichen Bedenken. Die FDP habe bereits Ende 2019 gemeinsam mit Linken und Grünen einen Gesetzentwurf eingebracht, „dessen Wirksamkeit wissenschaftlich bestätigt wurde“. Thomae weiter: „Dass die GroKo lieber einen faulen Kompromiss präsentiert statt unserem Vorschlag zuzustimmen lässt sich nur mit ihrem Machterhaltungstrieb erklären.“ Gesetze würden durch eine Vergrößerung des Parlaments nun mal nicht besser oder schneller erlassen. „Und das ist es, was für die Bürger zählt“, so Thomae.
- Diese Wahlrechtsreform ist vermurkst, kommentiert unser Autor.
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