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Bertram Meier: Corona-Pandemie: Warum sich der neue Bischof so um Rom sorgt

Bertram Meier

Corona-Pandemie: Warum sich der neue Bischof so um Rom sorgt

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    Bertram Meier in seinem Wohnzimmer. Sein Haus, in dem er sich „pudelwohl“ fühle, befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Augsburger Dom. Ins Bischofshaus, gleich nebenan, will er nicht ziehen.
    Bertram Meier in seinem Wohnzimmer. Sein Haus, in dem er sich „pudelwohl“ fühle, befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Augsburger Dom. Ins Bischofshaus, gleich nebenan, will er nicht ziehen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Im Flur seines Hauses in Sichtweite des Augsburger Doms hängt der Bischofsornat. Der römische Papstschneider Gamarelli hat ihn kürzlich erst für Bertram Meier gefertigt, einen Talare filetata mit roten Säumen und Knöpfen. Samt einer Pelerina, einem Cape, das der Wind kirchlichen Würdenträgern manchmal um die Ohren flattern lässt. Der Bischofsornat wird noch eine Weile lang im Flur Meiers hängen bleiben müssen. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Weihe des ernannten Bischofs von Augsburg „bis auf Weiteres“ verschoben.

    Die Verschiebung seiner Bischofsweihe macht Bertram Meier traurig

    Am vergangenen Freitagabend steht Meier vor der Tür seines Hauses und erklärt vor laufender Fernsehkamera die Gründe. Das öffentliche Interesse ist groß. Am 21. März hätte das Bistum Augsburg einen neuen katholischen Oberhirten bekommen sollen, Bischöfe aus ganz Deutschland und weit darüber hinaus wurden erwartet. Im Dom sollten mehr als tausend Gläubige mit Bertram Meier feiern. Es gibt insgesamt nur 27 Diözesanbischöfe in Deutschland, Meier wäre am 21. März einer von ihnen gewesen. So müssen er und die knapp 1,3 Millionen Katholiken im Bistum weiter warten. Auf bessere Zeiten.

    „Ich habe mich sehr auf den 21. März gefreut“, sagt Meier am Freitagabend. Er sagt, dass er traurig sei. Andererseits: Die bedrohlich gewordene Corona-Pandemie hätte ihn zu einem Weihegottesdienst in der Hauskapelle gezwungen. Nicht einmal seine Mutter, die wenige Schritte entfernt im Afraheim lebt, hätte teilnehmen können. Nein, das habe er nicht gewollt, sagt der 59-Jährige, der in Kaufering bei Landsberg am Lech aufwuchs. Seine Bischofsweihe solle ein richtiges Fest für alle Gläubigen werden, kein Akt im Verborgenen.

    Als Theologe weiß er, dass bei seiner Bischofsweihe die Fülle der Gnade des Heiligen Geistes auf ihn herabkommen wird. Ähnlich wie bei seiner Priesterweihe, bei der er die Gaben des Heiligen Geistes empfing, damals, am 10. Oktober 1985 in Rom. Nahe der Piazza Barberini in der Via di San Nicola da Tolentino wohnte er zu dieser Zeit, im Collegium Germanicum et Hungaricum. Ab September 1980 wurde das deutsch-ungarische Priesterseminar für neun Jahre zu seiner Heimat.

    Um den Augsburger Bischof zu verstehen, muss man nach Rom

    Rom ist für Bertram Meier ein besonderer Ort. Einer, der wichtig ist, um ihn zu verstehen. Einer, der ihn in diesen Tagen mit Sorgen erfüllt. Italien hat europaweit die meisten Corona-Infizierten, in Rom wird ein weiterer, massiver Anstieg erwartet.

    Meier wird die Bilder gesehen haben, die zeigen, wie Papst Franziskus am Sonntag alleine durch die Via del Corso pilgerte. Zuvor hatte der Papst in der Basilika Santa Maria Maggiore am Esquilins-Hügel vor der Maria Salus populi Romano gebetet. Die Marienfigur ist traditionell für das Wohl der Römer zuständig. In der normalerweise vor Leben pulsierenden, aber jetzt menschenleeren Via del Corso suchte Franziskus die Kirche San Marcello auf. Auch dort beten die Römer – vor einem Kruzifix, das im 16. Jahrhundert einen Kirchenbrand überstand und seither als Talisman zum Schutz vor Heimsuchungen verehrt wird. An San Marcello ist Meier in seinen römischen Jahren unzählige Male vorbeigekommen.

    Sant’Ignazio in Rom: In dieser Kirche wurde Meier zum Priester geweiht.
    Sant’Ignazio in Rom: In dieser Kirche wurde Meier zum Priester geweiht. Foto: Julius Müller-Meiningen

    Die Via del Corso, eine zentrale Straße, teilt das alte Marsfeld. Und Meiers Rom. Von der Piazza Venezia aus gesehen liegt rechter Hand die Päpstliche Universität Gregoriana, an der er 1989 zum Doktor der Theologie promovierte. Linker Hand befinden sich zwei Kirchen, die eine Rolle in seinem Leben spielten: Sant’Ignazio und die Hauptkirche der Jesuiten in Rom, Il Gesù, in der er als junger Priester seine erste Osternacht mit deutschsprachigen Pilgern feierte. Die Gregoriana ist wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Ein ungewöhnlicher Anblick, strömen doch sonst Priesteramtskandidaten, Dozenten und Theologiestudenten aus und ein. Besonders beliebt bei ihnen ist die Universitäts-Bar, in der auch Meier einst seinen Cappuccino genoss. Vor allem der üppige Milchschaum habe es ihm angetan, erinnert er sich. „Greg Café“ nennt sich das inzwischen stark modernisierte Etablissement, in dem mehrere Flachbildschirme über weltliche Ereignisse informieren. Der immer noch ausgezeichnete Cappuccino hat einen rekordverdächtigen Preis von nur 90 Cent. Man kann sich vorstellen, dass Meier rundherum zufrieden aus der Bar herausspazierte.

    Es riecht nach Putzmitteln, die gegen die Verbreitung von Corona helfen sollen

    Wenn er dann den Corso überquerte, führte ihn sein Weg durchs wuselige Rom oft hinüber zur Kirche Sant’Ignazio – hindurch auch durch den römischen Geruchsmix aus Abgasen, Bratendüften aus den Trattorien und Zigarettenrauch. Heute riecht es nach chlorhaltigen Putzmitteln, die gegen die Verbreitung des Coronavirus helfen sollen. Sant’Ignazio ist die Kirche, in der Meier 1985 zum Priester geweiht wurde. 1985 war Johannes Paul II. gerade so lange im Amt wie Papst Franziskus heute. Es war Kalter Krieg, und unter „Corona“ verstanden gläubige Katholiken den Heiligenschein. Auf Deutsch bittet jetzt ein Bettler vor dem Portal von Sant’Ignazio um „eine kleine Spende“. Drinnen, über dem Hauptaltar, lautet die Inschrift: „Ego vobis Romae propizius ero“, was soviel bedeutet wie: „Ich werde euch in Rom gnädig sein.“

    Rom war, wenn man so will, auch gnädig zu Bertram Meier. Die Stadt war ihm Heimat, prägte sein Leben und sollte ihn nicht zuletzt auf sein Bischofsamt vorbereiten. Begonnen mit dem Priesterseminar, dem Collegium Germanicum et Hungaricum, in das er als 20-Jähriger eintrat. Das Kolleg wurde 1552 als katholische Kaderschmiede gegründet für ein Deutschland, das im Glauben von der Reformation umgepflügt worden war. Bestens ausgebildete, papsttreue Priester sollte es hervorbringen. Wer hier studiert, ist in der Regel für die höhere kirchliche Laufbahn vorgesehen. Denn er hat, gewissermaßen, ins Herz der Kirche geschaut und beherrscht ihre Sprache. Etwas von diesem elitären Anspruch hat sich über die Jahrhunderte erhalten. „Es wird immer noch sehr viel Wert auf das Studium der Philosophie, der systematischen Theologie und der Bibelwissenschaften gelegt“, erzählt Meier in seiner anderen Heimat, seinem Haus in Augsburg.

    Viel Wert gelegt wurde auch auf die Beherrschung von Fremdsprachen. Neben Vorlesungen auf Italienisch hatte Meier Kurse auf Latein und Seminare auf Englisch. Das Germanicum und noch mehr die Gregoriana weiteten seinen Blick ins Internationale. Die katholische Kirche ist eine Weltkirche, „katholisch“ das griechische Wort für „allumfassend“. „Das Germanicum“, sagt Meier, „war tagtäglich eine Plattform, um sich in die Kultur des Dialogs einzuüben.“ Hier trafen die verschiedenen Mentalitäten aufeinander, Rheinländer und Nordlichter auf Bayern und Österreicher. Und alle zusammen auf Kroaten, Ungarn und Polen. Meier habe dieses Gemisch „mit gesunder Neugier“ betrachtet, wie er sagt.

    Ein Kellner richtet Bertram Meier schöne Grüße aus

    1989 kam er zurück ins Bistum Augsburg, wurde erst in Neu-Ulm, später in Neuburg Kaplan. 1992 schließlich Stadtpfarrer in Neu-Ulm. Es folgten weitere römische Jahre, nun im Vatikan, wo er Leiter der deutschsprachigen Sektion im Staatssekretariat wurde. Eine der Schaltstellen der Institution Kirche, deren Teilkirchen in vielen Ländern bisweilen eigene Wege einschlagen. Wie nach der Amazons-Synode vor kurzem, bei der es unter anderem um Zölibat und Frauendiakonat ging. Mancher deutsche Bischof würde bei diesen Themen voranschreiten, den Zölibat freistellen oder Frauen weihen. Im Vatikan achtet man aber sehr genau darauf, dass keine Sonderwege beschritten werden.

    Meier gibt sich nicht nur heute bodenständig, er war es schon damals in Rom. Auf die römisch-klerikale Kleidung, wie sie vor allem amerikanische Seminaristen gerne tragen, verzichtete er. Schnallenschuhe, Talar, seidene Schärpe, Radmantel und flacher, breitkrempiger Priesterhut – nichts für ihn. Gleichwohl ist er Stammkunde bei Papstschneider Gamarelli, der in der Nähe des Pantheons logiert. Gegenüber auf der Piazza mit dem kleinen Obelisken auf dem Rücken eines Elefanten befindet sich die Päpstliche Diplomatenakademie, die er von Herbst 1990 bis Frühjahr 1991 besuchte. Und da ist ja auch die Bar Sant’Eustachio, in der er kein Unbekannter zu sein scheint. Das legt die Reaktion von Fabio vor ein paar Tagen nahe, als die Bar wegen der Pandemie noch nicht geschlossen hatte. Fabio bereitete gerade den gezuckerten Kaffeeschaum, die Spezialität von Sant’Eustachio, zu. „Sein Gesicht kommt mir bekannt vor, aber er war schon lange nicht mehr da“, sagte der Kellner, als er auf ein Foto Meiers schaute. „Er wird Bischof?“, fragte er. „Dann grüße ihn ganz herzlich von mir!“

    Kellner Fabio in einer Bar nahe des Pantheons.
    Kellner Fabio in einer Bar nahe des Pantheons. Foto: Julius Müller-Meiningen

    Während der Jahre am Vatikanischen Staatssekretariat wohnte Meier im deutschen Priesterkolleg beim Campo Santo Teutonico auf vatikanischem Gebiet, bewacht von der Schweizer Garde und den italienischen Vigili, Wachleuten. „Carolus Magnus me fundavit“ (Karl der Große hat mich gegründet) steht über dem Eingang des Pilgerfriedhofs, zu dem die innen ziegelnackte Marienkirche und das dreistöckige Kolleg gehören, dessen Dachterrasse einen einmaligen Blick auf die Kuppel von Sankt Peter erlaubt. Bischöfe und Kardinäle steigen hier ab, wenn Rom sie ruft. Meier stieg hin und wieder hinauf, auf die Kuppel des Petersdoms. „Aus der Vogelperspektive da oben haben sich auch die Probleme in den Niederungen des Lebens relativiert“, erzählt er. Von der Kuppel blickt man auch auf den Park der Villa Pamphili hinter dem Gianicolo-Hügel. An dessen Rand befindet sich die letzte, nicht unwichtige römische Pilgerstätte für den ernannten Bischof, die Trattoria „Lo Scarpone“. Geschlossen auch sie. Und so wird es dauern, bis er in ihr wieder eines seiner Lieblingsgerichte essen kann, Fettuccine mit Meeresfrüchten und Pilzen.

    Was ein Kurienkardinal Bertram Meier riet

    Als Meier an Fasching in Rom war, traf er einen betagten Kurienkardinal, der prompt gute Ratschläge für ihn hatte. Er solle als Bischof Bruder und Freund seiner Priester sein und mit allen Menschen im Gespräch bleiben, auch mit den Ungetauften und den Nichtglaubenden. „Man meint immer, die Römer in der Kurie seien engstirnig. Doch sie denken weit und blicken in die Weltkirche“, sagt Meier.

    Es ist Dienstagmittag geworden, Meier hat die Verschiebung seiner Bischofsweihe, wie es scheint, überwunden. Seit dem Freitagabend, seitdem er sich vor seinem Haus in Augsburg vor Journalisten erklärte, meldete er sich mehrfach öffentlich zu Wort. Es gehe nun darum, „alles zu tun und auf noch mehr zu verzichten, um unsere Mitmenschen nicht zu gefährden“, appellierte er zunächst in einem Schreiben an alle Gläubigen. „Lasst einander nicht allein“, war seine Botschaft.

    Bertram Meier ruft zu besonderer Aktion auf

    Am Dienstagmittag also lässt er seine Pressestelle eine Mitteilung verbreiten. Das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt habe sich durch die Corona-Pandemie radikal verändert, liest man. Meier lade deshalb am kommenden Donnerstag, 19. März, dem Gedenktag des heiligen Joseph, um 21 Uhr alle Gläubigen im Bistum Augsburg zu einem Rosenkranz-Gebet im Anliegen der Solidarität mit allen vom Coronavirus Betroffenen ein. Gläubige sollen ein weißes Tuch ins Fenster hängen und eine Kerze aufstellen. Auch sämtliche Kirchenglocken sollen läuten, fünf Minuten lang. Christen sollten „Flagge zeigen“. Es ist eine Initiative der italienischen Bischofskonferenz, die er übernimmt. Auch dort werden zur selben Zeit Menschen beten.

    Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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