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Berlin: Rosen und ein goldener Riss - Gedenken an die Terroropfer von Berlin

Berlin

Rosen und ein goldener Riss - Gedenken an die Terroropfer von Berlin

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    Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Einweihung der Gedenkstätte in Berlin.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Einweihung der Gedenkstätte in Berlin. Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa)

    Hunderte weiße Rosen liegen vor der Berliner Gedächtniskirche. Ein schmaler, mattgoldener Riss durchzieht den Platz. Angehörige, Verletzte, Helfer und Politiker stehen an diesem nasskalten, trüben Dienstag zusammen auf einer Insel der Stille in der sonst so quirligen City-West und verharren in stummem Gedenken an dem neuen Mahnmal. Im Hintergrund ragt der im Zweiten Weltkrieg zerstörte Turm in den Himmel - als Mahnmal für den Frieden. Die Trauergäste sind zur offiziellen Übergabe des Gedenkzeichens gekommen.

    Ein Jahr nach dem Terroranschlag in Berlin

    Es ist der erste Jahrestag des islamistischen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt, bei dem zwölf Menschen aus sechs Nationen starben und annähernd 100 verletzt wurden. Stille habe auch damals am Abend des 19. Dezember 2016 in den ersten Minuten nach dem Anschlag geherrscht, hatten Opfer berichtet. Betroffenheit und Trauer spiegeln sich in vielen Gesichtern. Ein Mann mit einer schwarzen Mütze senkt den Kopf und ringt nach Luft. Eine grauhaarige Frau wird von einer jüngeren untergehakt und gestützt.

    Der Platz ist weiträumig abgesperrt, die Weihnachtsmarktbuden sind geschlossen. Vielen Betroffenen ist es schwer gefallen, an den Tatort zurückzukommen. Sie wollen Respekt, Ruhe und Abstand. Die Wunden sind noch längst nicht geschlossen. Daran sollen auch der 17 Meter lange Riss sowie die Namen der zwölf Todesopfer an den Treppenstufen erinnern. Es war der Wunsch der Hinterbliebenen, die Namen zu nennen.

    Die komplette politische Spitze Deutschlands ist gekommen. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sind auch Kanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) dabei. 

    Im schwarzen Mantel steht Merkel sichtlich betroffen am Anschlagsort. Sie umklammert ein Glas mit einer kleinen Kerze, senkt den Kopf und schweigt minutenlang wie alle anderen. 

    Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Gedenkfeier an der Gedächtniskirche.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Gedenkfeier an der Gedächtniskirche. Foto: Maurizio Gambarini (dpa)

    Nur Müller spricht. "Ein Riss symbolisiert die Wunden, die der Anschlag geschlagen hat. Aber wir wollen den Riss, der durch unsere Gesellschaften geht, überwinden", mahnt er. "Wir wollen uns nicht durch Terror und Hass spalten lassen. Darum ist das Gedenkzeichen auch ein Symbol für Toleranz und gegen Verbohrtheit. Das schulden wir den Opfern, nicht nur hier in Berlin, sondern überall."

    Politiker, Angehörige und Helfer stellen ihre Kerzen auf die Stufen neben die Namen der Toten. Im Nieselregen gehen die Trauernden langsam zurück zu den Bussen. Im Berliner Abgeordnetenhaus war eine weitere Gedenkstunde geplant. 

    Angela Merkel zeigt sich selbstkritisch

    Merkel aber äußert sich noch kurz vor den Kameras - nach Vorwürfen und längerem Schweigen sehr ernst und selbstkritisch. Es solle nicht nur alles Menschenmögliche getan werden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Es müsse auch alles getan werden, damit Betroffene möglichst gut wieder ins Leben kommen, verspricht sie. "Heute ist ein Tag der Trauer, aber auch ein Tag des Willens, das, was nicht gut gelaufen ist, besser zu machen." 

    Hinterbliebene hatten der Kanzlerin einen Brief geschrieben und sich bitter beklagt, dass sie nach dem schwersten islamistischen Anschlag in Deutschland untätig geblieben sei und nicht mal persönlich kondoliert habe, während sich Betroffene durch bürokratische Hindernisse mühen und fehlende Empathie verkraften mussten. Sie erlebten mit, wie immer mehr Pannen der Sicherheitsbehörden ans Licht gelangten. Es war der Polizei vor dem Anschlag nicht gelungen, den bekannten Gefährder Anis Amri hinter Gitter zu bringen oder ihn auszuweisen. 

    Am Montagabend hatte sich Merkel mit Angehörigen, Verletzten und Helfern im Kanzleramt getroffen. Es sei ein "schonungsloses Gespräch" gewesen, bekennt die CDU-Politikerin. Es habe die Schwächen des Staates in dieser Situation gezeigt. In einigen Monaten will sich Merkel wieder mit den Menschen treffen. 

    Auch Bundespräsident Steinmeier fand zuvor bei einer interreligiösen Andacht in der Kirche sehr persönliche Worte. "Denn für Sie, dass wissen wir alle, ist eben seit einem Jahr nichts mehr so, wie es einmal war", wendet er sich an die Trauergäste. "Wir geben dem Terror nicht nach", bekräftigt er. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass Schmerz und Leid verdrängt würden. "Dass wir miteinander traurig sind, wütend sind, miteinander das Entsetzen teilen und auch die Suche nach Trost - auch das gehört zum Zusammenhalt, den wir brauchen, um gemeinsam unsere Freiheit zu verteidigen." 

    Hinter den Absperrungen steht eine 62 Jahre alte Berlinerin. Der Anschlag und das Schicksal der Menschen habe sie sehr berührt. Es hätte jeden treffen können, sagt sie. "Ich hoffe, dass das nicht noch mal passiert in Berlin." (dpa)

    Europa im Visier der Attentäter: Die Anschläge der vergangenen Jahre

    Paris, 12. Mai 2018:

    Im Viertel um die Pariser Oper, einem besonders belebten im Zentrum der Stadt, greift ein Mann vorbeigehende Menschen mit einem Messer an. Dabei tötet er einen 29-Jährigen und verletzt vier weitere Personen, zwei davon schwer. Bei dem Täter handelt es sich mutmaßlich um einen 20 Jahre alten Islamisten, der in Tschetschenien geboren wurde.

    Carcassonne und Trèbes, 23. März 2018

    Bei einer Geiselnahme tötet ein 26-jähriger mutmaßlicher Islamist in einem südfranzösischen Supermarkt zwei Menschen. Danach nimmt er einen Polizist als Geisel. Später wird der Angreifer erschossen.

    Marseille, 1. Oktober 2017

    Ein Mann geht mit einem Messer auf Passanten am Bahnhof Saint-Charles los. Er ersticht zwei junge Frauen. Wenig später wird der islamistische Attentäter von französischen Soldaten erschossen.

    Barcelona. 17. August 2017

    Ein Attentäter fährt mit einem Lieferwagen durch eine Menschenmenge auf dem Boulevard La Rambla im Zentrum von Barcelona. Dabei werden 14 Menschen getötet und mindestens 118 Menschen verletzt. Auf der Flucht ersticht der Attentäter eine weitere Person.

    Hamburg, 28. Juli 2017

    Bei einer Messerattacke in einem Supermarkt im Hamburger Stadtteil Bambek-Nord stirbt ein Mensch. Sieben weitere werden zum Teil schwer verletzt.

    London, 19. Juni 2017

    Bei einem Anschlag tötet ein Mann mit einem Lieferwagen eine Person und verletzt zehn weitere Menschen nahe der Finsbury Park Moschee im Norden der britischen Hauptstadt.

    Paris, 6.Juni 2017:

    Ein Mann attackiert einen Polizisten mit einem Hammer. Auch wenn der Polizist überlebt stuft die Polizei die Attacke später als Terroranschlag ein.

    London, 3. Juni 2017:

    Ein Lieferwagen rast auf der London Bridge auf den Bürgersteig und fährt mehrere Passanten an. Anschließend springen die Attentäter heraus und greifen in einem nahegelegenen Ausgehviertel mit Messern wahllos Menschen an. Sieben Menschen werden getötet. 48 Verletzte müssen in Krankenhäuser eingeliefert werden. Die Polizei erschießt die drei Angreifer. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert die Tat für sich.

    Manchester, 22. Mai 2017:

    Ein Selbstmordattentäter sprengt sich am Ende eines Konzertes von US-Popstar Ariana Grande in Manchester in die Luft und reißt 22 Menschen mit in den Tod. 116 Menschen werden verletzt. Unter den Opfern sind viele Jugendliche und Kinder. Die Tat des 22-jährigen libyschstämmigen Briten Salman Abedi reklamiert die IS-Miliz für sich.

    Stockholm, 7. April 2017:

    Ein Mann rast in einem gestohlenen Lastwagen durch eine Einkaufsstraße in Stockholms Innenstadt und fährt wahllos Passanten um. Fünf Menschen sterben. Die Polizei nimmt den 39-jährigen Usbeken Rachmat Akilow fest, er gesteht die Tat. Akilow gilt als Anhänger der Dschihadistenmiliz IS.

    St. Petersburg, 3. April 2017:

    Ein Selbstmordattentäter zündet in einer fahrenden U-Bahn in der Innenstadt von St. Petersburg eine Bombe. 15 Menschen sterben. Als mutmaßlichen Täter identifizierten die Ermittler den 22-jährigen Akbarschon Dschalilow aus Kirgistan. Die Behörden gehen möglichen Verbindungen zur Dschihadistenmiliz IS nach. 

    London, 22. März 2017:

    Der mutmaßlich islamistische Attentäter Khalid Masood rast auf der Westminster-Brücke im Herzen Londons mit seinem Auto in eine Gruppe von Passanten, vier Menschen sterben. Vor dem Parlament ersticht Masood dann einen Polizisten, ehe er selbst erschossen wird. Die IS-Miliz reklamierte die Tat für sich.

    Istanbul, 1. Januar 2017:

    Kurz nach Mitternacht betritt ein Mann den Istanbuler Nachtclub "Reina" und schießt um sich. 39 Menschen, die dort den Jahreswechsel feiern wollten, werden getötet. Zwei Wochen später nimmt die Polizei den 34-jährigen Usbeken Abdulkadir Mascharipow als Hauptverdächtigen fest. Auch zu diesem Anschlag bekennt sich die Dschihadistenmiliz IS.

    Berlin, 19. Dezember 2016:

    Der Tunesier Anis Amri erschießt einen Lkw-Fahrer aus Polen, setzt sich an das Steuer des Lasters und rast in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Zwölf Menschen sterben. Amri wird später von der Polizei in Mailand erschossen. Der Fall löst eine Debatte über Behördenversagen aus: Amri konnte zum Attentäter werden, obwohl er als islamistischer Gefährder auf dem Radar deutscher Sicherheitsbehörden war.

    Nizza, 14. Juli 2016:

    Der Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel rast über die Uferpromenade von Nizza, wo tausende Menschen den französischen Nationalfeiertag begehen. Erst nach einigen hundert Metern kommt der Lkw zum Stehen, 86 Menschen werden getötet. Die Polizei erschießt Bouhlel. Der IS bekennt sich zu der Tat.

    Istanbul, 28. Juni 2016:

    Drei Selbstmordattentäter sprengen sich auf dem Istanbuler Atatürk-Flughafen in die Luft, 47 Menschen werden getötet. Offiziell bekennt sich niemand zu der Tat, die Regierung macht die IS-Miliz verantwortlich. Ihren Angaben zufolge stammen die Attentäter aus Russland, Usbekistan und Kirgistan.

    Brüssel, 22. März 2016:

    Selbstmordattentäter zünden Sprengsätze am Brüsseler Flughafen und in der U-Bahn-Station Maelbeek. 32 Menschen sterben, mehr als 230 werden verletzt. Hinter den Taten steht eine Zelle des IS, die auch an den Pariser Anschlägen vier Monate zuvor beteiligt war.

    Paris, 13. November 2015:

    Frankreichs Hauptstadt wird zum Ziel einer blutigen Anschlagsserie. Insgesamt 130 Menschen werden bei Bomben- und Schusswaffenattentaten getötet. Die Attentäter nehmen die Konzerthalle Bataclan, Bars, Restaurants und ein Stadion ins Visier. Zu diesen Taten bekennt sich ebenfalls der IS. (afp. AZ)

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