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Berlin: Bürgermeister auf Abruf

Berlin

Bürgermeister auf Abruf

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    Hätlt Berlin trotz Flughafen-Desaster noch immer für attraktiv: Der Regierende Bürgermeister Wowereit (SPD).
    Hätlt Berlin trotz Flughafen-Desaster noch immer für attraktiv: Der Regierende Bürgermeister Wowereit (SPD). Foto: Michael Kappeler, dpa

    Zurücktreten? Er doch nicht! Klaus Wowereit steht vor dem Abgeordnetenhaus, streckt das Kreuz noch einmal durch – und dreht den Spieß dann einfach um. „Ich gehöre zu denen, die nicht weglaufen“, sagt er. Soll die Opposition ruhig versuchen, ihn mit einem Misstrauensantrag aus dem Amt zu kippen – Berlins Bürgermeister ist längst zum Gegenangriff übergegangen. „Ihnen geht es doch gar nicht um die Situation am Flughafen, sondern um eine Generalabrechnung“, wirft Wowereit den Grünen vor, die diese Debatte erzwungen haben. Und überhaupt: „Es ist viel anstrengender und viel komplizierter, sich der Verantwortung zu stellen.“

    Wowereit im Stil eines Wahlkämpfers

    Dafür, dass das Debakel am neuen Hauptstadtflughafen immer verrücktere Dimensionen annimmt, klingt der Regierende Bürgermeister noch bemerkenswert selbstbewusst. 35 000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs, 40 000 neue Einwohner, Jahr für Jahr mehr Touristen, Passagierrekorde an den beiden alten Flughäfen: „Die Stadt ist so attraktiv wie seit ewigen Zeiten nicht mehr“, rechnet er im Stil eines Wahlkämpfers vor.

    Wie auf Knopfdruck hat sich der müde, sichtlich angeschlagene Wowereit, der gerade noch in sich zusammengesunken auf der Regierungsbank saß, am Rednerpult in Wowereit, den Selbstverteidiger, verwandelt, der sich nicht einfach abservieren lassen will und von der Opposition schon zweimal nicht. „Wir haben noch viel vor“, sagt er. „Verantwortung bedeutet nicht, dass man sich aus der Verantwortung stiehlt.“

    Wenn der Pfälzer Kurt Beck demnächst als Ministerpräsident abtritt, wird sein Genosse Wowereit mit elfeinhalb Amtsjahren der dienstälteste Chef einer Landesregierung in Deutschland sein. Dass er den neuen Flughafen noch als Bürgermeister eröffnet, ist damit aber noch lange nicht gesagt.

    Berliner SPD fällt hinter Koalitionspartner CDU zurück

    Viele Berliner, die ihn früher gerade wegen seiner lockeren, schnoddrigen Art geschätzt haben, finden heute, dass ihr Regierender seinen Auftrag als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft etwas zu lange etwas zu locker genommen hat und dass es mit dem Verzicht auf diesen Posten noch nicht getan sein kann.

    „Sie haben den Ruf Berlins beschädigt“, sagt Ramona Pop zu Wowereit, die als Fraktionsvorsitzende der Grünen die Rolle der Chefanklägerin übernommen hat. Würde am Sonntag gewählt – der 59-Jährige wäre sein Amt los. In den Umfragen nach den populärsten Politikern der Stadt taucht er unter den ersten Zehn nicht mehr auf. Dazu ist die SPD hinter ihren Koalitionspartner CDU zurückgefallen, was auch Genossen nervös macht, die bisher loyal zu ihrem Bürgermeister standen.

    Junge SPDler stehen in den Startlöchern

    Den politischen Chaos-Theoretikern lieferte die Berliner Sozialdemokratie in dieser Woche jedenfalls reichlich Anschauungsmaterial. Erst hieß es in Parteikreisen, Wowereit, der neue Landesvorsitzende Jan Stöß und der Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel hätten auch über einen möglichen Rücktritt des Bürgermeisters gesprochen. Dann dementierten Stöß und Gabriel eine entsprechende Agenturmeldung auf allen Kanälen, ehe der Berliner Landeschef die Verwirrung am Abend perfekt machte. Dessen Satz „Er hat sich entschieden, trotz des Flughafendebakels zu bleiben“, deutete nicht nur die Berliner Zeitung als verklausulierte Bestätigung der Rücktrittsgerüchte: „Bevor man sich zum Bleiben entschließt, muss man erst mal wegwollen.“

    Den Misstrauensantrag der Opposition am Samstag wird Wowereit unbeschadet überstehen – so viel Verlass ist auf die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen dann doch noch. Die Erosion seiner Macht ist damit aber nicht gestoppt.

    Der Weg zum Berliner Hauptstadtflughafen

    Dezember 1991: Gründung der Berlin Brandenburg Flughafen Holding (BBF). Gesellschafter sind die Länder Berlin und Brandenburg.

    Januar 1992: Beginn der Planungen für den Flughafen mit dem Projektnamen Berlin Brandenburg International, BBI.

    Juni 1996: Die Gesellschafter entscheiden sich für den Ausbau des Flughafens Schönefeld und die Schließung der Flughäfen Tegel und Tempelhof.

    August 2004: Zum Abschluss des Genehmigungsverfahrens gibt der Planfeststellungsbeschluss grünes Licht: Der BBI darf unter Auflagen gebaut werden. Im Oktober reichen tausende Gegner beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Klagen ein.

    April 2005: Das Gericht gibt Eilanträgen mehrerer Anwohner statt und verhängt einen weitgehenden Baustopp bis zu seiner endgültigen Entscheidung. Zulässig sind nur Bauvorbereitungen.

    März 2006: Das Gericht genehmigt in letzter Instanz den Bau des BBI unter verschärften Lärmschutzauflagen.

    Juli 2008: Erster Spatenstich für die Inbetriebnahme des Flughafens.

    Oktober 2009: Das Brandenburger Verkehrsministerium erlässt eine neue Nachtflugregelung: Keine Starts und Landungen von Mitternacht bis 5.00 Uhr, Ausnahme Post- und Regierungsmaschinen, Notfälle. In den Randzeiten davor und danach ist die Zahl begrenzt.

    Juni 2010: Wegen der Pleite einer Planungsfirma und verschärften Sicherheitsbestimmungen wird die für November 2011 geplante Eröffnung des Flughafens auf den 3. Juni 2012 verschoben.

    September 2010: Die Deutsche Flugsicherung legt einen ersten Flugrouten-Vorschlag vor. Tausende Betroffene gehen dagegen auf die Straße. Es gibt neue Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss.

    Juli 2011: Nach monatelangen Beratungen in der Fluglärmkommission folgt die Flugsicherung mit einem neuen Vorschlag dem Kompromiss des Gremiums. Rund um den Berliner Müggelsee geht der Protest weiter.

    Oktober 2011: Das Bundesverwaltungsgericht gibt grünes Licht für nächtliche Flüge in den Randzeiten. Der Airport kann ohne weitere Einschränkungen an den Start gehen.

    Januar 2012: Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung legt die Flugkorridore fest. Bürgerinitiativen kündigen weitere Klagen an.

    Mai 2012: Wegen Problemen beim Brandschutz wird die Anfang Juni geplante Eröffnung des Flughafens erneut verschoben.

    September 2012: Die Eröffnung wird wieder verschoben - diesmal auf den 27. Oktober 2013.

    Im Gegenteil: Schon im Sommer vergangenen Jahres hatte die Parteilinke gegen Wowereits engsten Vertrauten, Stadtentwicklungssenator Michael Müller, geputscht und Stöß zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Von ihm, von Fraktionschef Raed Saleh und von Sozialsenatorin Dilek Kolat heißt es schon länger, ihre persönlichen Karriereplanungen sähen auch das Amt des Regierenden Bürgermeisters vor – und wer weiß heute schon, ob die Große Koalition das Flughafendebakel tatsächlich gemeinsam durchsteht oder ob die CDU der SPD nicht noch die Gefolgschaft aufkündigt und Neuwahlen erzwingt.

    Wowereit kam selbst aufgrund eines Skandals an die Macht

    Wowereit selbst hat im Sommer 2001 auf dem Höhepunkt des Bankenskandals ja ganz ähnlich gehandelt. Damals verließ die SPD die Große Koalition unter Eberhard Diepgen und wählte mithilfe der Grünen und der PDS ihren Fraktionschef zum Regierenden. Seitdem war es vor allem dessen Popularität, die ihr die Macht in der Stadt gesichert hat.

    Mittlerweile jedoch betonen Funktionäre der CDU süffisant, sie hätten ihren Koalitionsvertrag mit der Berliner SPD geschlossen und nicht mit Klaus Wowereit persönlich – ein feiner, in der gegenwärtigen Situation aber nicht ganz unwichtiger Unterschied.

    „Niemand glaubt mehr, dass Sie noch ein guter Botschafter Berlins sein können“, hat die Grüne Pop zum Auftakt der Debatte zu dem Mann gesagt, mit dem sie 2011 noch über ein rot-grünes Bündnis verhandelt hat. Heute warnt sie ihn davor, nicht weiter „wie Pattex“ an seinem Stuhl zu kleben. Politische Karrieren, sagt die Politologin Pop, würden fast immer nach ihrem Ende beurteilt.

    So gesehen bliebe Kurt Beck der Republik als der Mann in Erinnerung, der dreistellige Millionenbeträge am Nürburgring versenkt hat – und Klaus Wowereit als der Mann, der den modernsten Flughafen Europas bauen wollte und am Ende vor einem Milliardengrab stand.

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