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Ewald König: Beobachter der Wiedervereinigung: "Es wurden Fehler gemacht"

Ewald König

Beobachter der Wiedervereinigung: "Es wurden Fehler gemacht"

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    Ewald König beschäftigt sich heute immer noch mit der Wiedervereinigung Deutschlands.
    Ewald König beschäftigt sich heute immer noch mit der Wiedervereinigung Deutschlands. Foto: Sammlung Ewald König

    Aus drei Gründen beschäftigt mich die deutsche Wiedervereinigung immer noch – auch nach dreißig Jahren, obwohl ich kein deutscher Historiker, sondern österreichischer Journalist bin. Der erste, der emotionale Grund: Ich durfte damals alles hautnah miterleben, den Zusammenbruch eines Systems, den Mut der Demonstranten, die Verzweiflung der Flüchtlinge, die legendäre Schabowski-Pressekonferenz („sofort, unverzüglich“), die Wahnsinnsnacht des Mauerfalls, das Tempo der Einigungsverhandlungen und die Mühen des Zusammenwachsens danach und bis heute. Auch drei Jahrzehnte danach geht mir immer noch vieles unter die Haut.

    Südkorea will aus dem Ende der DDR lernen

    Der zweite, der professionelle Grund: Ich habe vier Bücher über die Wendezeit geschrieben, einfach weil ich viel zu erzählen hatte und als Beobachter aus einem neutralen Land anders schreiben konnte als ein Wessi oder ein Ossi. Wenn ich zu Lesungen oder Diskussionen eingeladen werde, kommen stets Menschen mit ihrem berührenden Schicksal oder damalige Entscheidungsträger mit ihren Erklärungen auf mich zu. Das Kapitel ist noch lang nicht zu Ende.

    Ewald König erhielt die Akkreditierung für die BRD und die DDR - das war einzigartig und bescherte ihm eine besondere Perspektive auf das Geschehen.
    Ewald König erhielt die Akkreditierung für die BRD und die DDR - das war einzigartig und bescherte ihm eine besondere Perspektive auf das Geschehen. Foto: Korrespondenten.tv

    Der dritte, der exotische Grund: Ich habe beruflich immer wieder mit Korea zu tun und bin sogar mit einer Koreanerin verheiratet, die in ihrem Beruf viel mit Politik zu tun hat. Die Koreaner hätten gern, was den Deutschen gelungen ist: die friedliche Wiedervereinigung. Unzählige Delegationen und Konferenzen befassten und befassen sich mit dem deutschen Modell. Die Südkoreaner wollen lernen, was sie eines Tages besser machen könnten als die Deutschen, aber auch Nordkorea will seine Schlüsse aus dem Versagen der DDR ziehen.

    Nach den drei Jahrzehnten also fesselt mich das Thema nach wie vor, und mit Erstaunen stelle ich fest, dass ich heute fast der einzige Auslandskorrespondent bin, der damals journalistischer Zeitzeuge war und immer noch in Deutschland sitzt. Ich frage mich heute, immer noch in Berlin lebend: Was ist aus der Begeisterung, den Hoffnungen geworden? Ist das alles für die Koreaner, die für ihre geteilte Halbinsel aus der deutschen Wiedervereinigung lernen wollen, abschreckend?

    Journalist König: Berlins Umgang mit der Geschichte von der Teilung ist falsch

    Dass ein Journalist sowohl in der BRD als auch in der DDR akkreditiert war, galt als unvereinbar. Als damaliger Deutschland-Korrespondent der österreichischen Zeitung Die Presse gelang es mir als einzigem Journalisten überhaupt, beide Akkreditierungen zu erhalten und die Entwicklung in West und Ost synchron zu verfolgen und nicht nur aus Bonner, West-Berliner oder Ost-Berliner Sicht. Mein Pendler- und Doppelleben lieferte große Geschichte und kleine Geschichten, von meinen Stasi-Nachbarn in der Leipziger Straße nahe dem Checkpoint Charlie bis hin zu meinen Stasi-Nachbarn im Diplomatenviertel Bonn-Bad Godesberg am Rhein.

    Für mich war die Leipziger Straße der Logenplatz der Zeitgeschichte – mit Blick über die ganze Stadt, die gar keine ganze Stadt war. Nicht erst im Rückblick nach dreißig Jahren, sondern schon damals zur Wendezeit fand ich Berlins Umgang mit der Geschichte von Teilung und Wiedervereinigung falsch. Wer heute die erniedrigende Behandlung am Checkpoint Charlie nachempfinden oder das Original-Inventar des Internationalen Pressezentrums (IPZ) mit Schabowski-Pressekonferenz sehen möchte, muss nach Bonn ins Haus der Geschichte reisen. Zumindest vor der Corona-Zeit suchten tagtäglich abertausende von Touristen aus aller Welt die Spuren der Teilung des Kontinents und finden nicht viel.

    Die Bildkombo zeigt einen Abschnitt der Berliner Mauer in der Mühlenstraße in Berlin-Friedrichshain, aufgenommen am 25.01.1990 und den gleichen Abschnitt der Mauer am 10.10.2014, heute als East Side Gallery bekannt. Das Mauerstück zwischen dem Berliner Ostbahnhof und der Oberbaumbrücke wurde von 118 Künstlern mit Wandbildern verschönert. Foto: Eberhard Klöppel/Lukas Schulze (zu dpa «Themenpaket zum Jahrestag des Mauerfalls» vom 30.10.2014) +++(c) dpa - Bildfunk+++
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    20 Bilder
    Die Bilder zeigen, wie es an bekannten Stellen dem Mauerfall aussah und wie es heutzutage dort aussieht.

    Vor allem verstehe ich nicht, was im ehemaligen IPZ in der Mohrenstraße passiert ist: Das Gebäude, das heute das Bundesjustizministerium beherbergt, wurde entkernt, der Pressekonferenzsaal verschwand, stattdessen soll eine Kunstinstallation daran erinnern, was hier am 9. November 1989 geschah. Diese Installation, bestehend aus ein paar Stapelstühlen auf schiefer Ebene und einem Flatscreen mit Meereswellen, finde ich so missglückt, dass sie schon wieder sehenswert ist. Ausgewählt aus 427 Einreichungen, wird sie dem Thema überhaupt nicht gerecht. Dabei gehört das, was an diesem Ort gesprochen wurde, zu den dramatischsten und entscheidendsten Minuten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ich habe über Jahre hinweg noch nie jemanden gesehen, der sich durch das Schaufensterglas diese Szene angesehen hätte.

    Dreißig Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung arbeite ich immer noch und sehr gerne als Journalist in Berlin. Im Haus der Bundespressekonferenz im Regierungsviertel verläuft der frühere Mauerstreifen genau durch mein Redaktionsbüro, mitten in der Hauptstadt eines Landes, das heute weniger in Wessis und Ossis geteilt ist, sondern mehr in Aldi Süd und Aldi Nord, und in dem junge Deutsche den Eisernen Vorhang für ein Ikea-Produkt halten mögen.

    Deutschland habe bei der Wiedervereinigung Fehler gemacht

    Vieles hat Deutschland richtig gemacht, obwohl es keine historischen Vorbilder gab. Es wurden aber auch Fehler gemacht. Medien analysieren die AfD-Empfänglichkeit im Osten, erinnern an Fehlentwicklungen in der Treuhandanstalt und zitieren immer wieder die – teilweise auch zutreffenden – Klischees von Besserwessis und Jammerossis.

    Das Kennzeichen QA 43-01 lässt sich leicht entschlüsseln: QA steht für „akkreditierter Auslandskorrespondent“, 43 für „Österreich“ und 01 für „Bürochef“.
    Das Kennzeichen QA 43-01 lässt sich leicht entschlüsseln: QA steht für „akkreditierter Auslandskorrespondent“, 43 für „Österreich“ und 01 für „Bürochef“. Foto: Sammlung Ewald König

    Aber es gibt weitere Gründe, die im Mainstream nicht aufgegriffen werden. Ich erinnere an den verheerenden Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“, der Westdeutschen zur Restitution ihres früheren Immobilienbesitzes verhalf, womit sie doch nicht mehr gerechnet hatten, und viele Ostdeutsche, ohnehin arbeitslos geworden, auch aus ihren Wohnungen und Datschen vertrieb.

    Zweites Beispiel, kaum diskutiert: die kaltgestellte Elite mancher Bereiche der DDR. DDR-Diplomaten wurden fast ausnahmslos ohne jede individuelle Überprüfung entlassen. Bonn verzichtete auf deren umfangreiches Wissen und vor allem deren Netzwerke. Ich wage zu behaupten: Hätte man geeignete, unbelastete Diplomaten eingebunden, könnte Europa heute ein anderes Verhältnis zu Russland haben!

    Die „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl versprach, gibt es in der Tat. Aber viele Menschen darin fühlen sich vergessen. West und Ost werden auch durch Sonntags- und Jubiläumsreden nicht schneller zusammenwachsen. Es wird noch lang dauern. Vielleicht schaffen es die Koreaner einmal besser.

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