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Benedikt XVI. in Deutschland: Fremde Heimat

Benedikt XVI. in Deutschland

Fremde Heimat

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    Papst Benedikt ist auf kritische Stimmen in der Heimat vorbereitet. dpa
    Papst Benedikt ist auf kritische Stimmen in der Heimat vorbereitet. dpa

    Ein warmes, weiches Morgenlicht verabschiedet den Airbus 320 Alitalia „George Bizet“. 1182 Kilometer weit wird er von Ciampino nach Berlin-Tegel fliegen. Keine Strecke für ein Flugzeug, gerade zwei Stunden. Benedikt XVI. reist in seine Heimat. Und doch: Zugleich reist das Oberhaupt der katholischen Kirche in ein Land, zu dem die gefühlte Entfernung größer geworden ist.

    Im Erzbistum Berlin etwa leben heute noch rund 390000 Katholiken, neun Prozent der Bevölkerung. In seiner bayerischen Heimat werden die katholischen Christen auch nicht mehr. Der Missbrauchsskandal ist nur eine der Krisen dieser Kirche. Deutschland, so scheint es, ist ihm fremder geworden.

    Weil Deutschland nicht mehr Papst ist. Auch wenn die Bild das ganz anders am Berliner Springer-Gebäude plakatiert. Überlebensgroß. Und doch, auch im Flugzeug wird Benedikt XVI. sagen, wie viel ihm dieser Besuch bedeutet: „Ich komme freudig nach Deutschland. Ich bin in Deutschland geboren, diese Wurzel kann und soll nicht abgeschnitten werden.“ Durch die Kultur seines Landes, durch ihre Größe und Schwere sei er geprägt. „Noch immer lese ich vorwiegend auf Deutsch.“

    7.15 Uhr Abflug

    Der Papst ist an Bord, als die Maschine abhebt. Er muss es sein, auch wenn man ihn nicht hat kommen sehen. Übernachtet hat er vor seiner schwierigsten und wohl anstrengendsten Reise dieses Jahres im nahen Sommersitz in Castelgandolfo. Die Papst-Maschine ist von schlichter Funktionalität, Grau und Weiß sind die dominierenden Farbtöne des Interieurs. Weiter vorne, wo sich das päpstliche Gefolge sammelt, ist ab und zu Kardinalspurpur zu sehen. Zur päpstlichen Reisebegleitung gehören 33 hochrangige Männer der Kirche. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone gehört dazu. Für die Organisation des Besuches ist der päpstliche Reisemarschall Alberto Gasbarri verantwortlich. Natürlich ist Privatsekretär Georg Gänswein an Bord der Maschine, genauso Benedikts Leibarzt. Der Rest des Flugzeuges ist gefüllt mit Journalisten und den päpstlichen Personenschützern.

    Dass er kommt, sieht man gewöhnlich an einem kleinen Mann, der immer ein wenig gestresst wirkt. Es ist Francesco Sforza, der Vatikan-Fotograf, der von seinen italienischen Kollegen stets mit besonderem Respekt behandelt wird. Und Sforza ist jetzt deutlich zu sehen. Der graue Vorhang mit den harten Bügelfalten geht schließlich ganz auf. Und dann steht der Papst auf einmal da. Er sieht besser aus. Viel besser jedenfalls als vergangenen Samstag. Da hat er für die ARD das „Wort zum Sonntag“ gesprochen und sehr alt und sehr müde gewirkt.

    Papst Benedikt XVI. besucht Deutschland.
    Papst Benedikt XVI. besucht Deutschland. Foto: dpa

    Ganz anders jetzt. Der Papst wirkt heiter. Ein Drittel aller Lautsprecher des Flugzeuges ist mit Tonbändern und Kreppband verklebt. Kein Wort soll verloren gehen. „Proteste sind normal in einem säkularisierten demokratischen Land“, sagt er in dem kurzen Gespräch, das folgt. Die Fragen dafür mussten vorher eingereicht werden. „Es ist richtig, dass sie – mit allem Respekt – ihren Widerspruch bekunden. Das gehört zu unserer Freiheit, und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Säkularismus und auch die Opposition zum Katholizismus in unseren Gesellschaften stark sind. Wenn diese Einwände sich in ziviler Weise äußern, gibt es nichts dagegen zu sagen.“

    Auch zur sexualisierten Gewalt innerhalb der Kirche sagt Benedikt XVI. etwas: „Ich kann verstehen, dass angesichts von Verbrechen wie dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Priester Personen, die den Opfern nahestehen, sagen: Dies ist nicht meine Kirche. Die Kirche ist eine Kraft der Humanität und Moral, und wenn ihre eigenen Leute das Gegenteil tun, kann ich nicht mehr in dieser Kirche sein.“ Die Kirche müsse lernen, solche Skandale auszuhalten und jeden Missbrauch entschieden zu bekämpfen. Der Papst wird sich in diesen Tagen auch mit Opfern solcher Übergriffe treffen. Aber noch ist er nicht einmal angekommen.

    10.37 Uhr Deutschland

    Um 10.37 Uhr betritt er deutschen Boden. Salutschüsse in Tegel und ganz vorne in der Reihe der Honoratioren, der Minister, steht Herr Rösler, FDP, Wirtschaftsressort. Kanzlerin Angela Merkel stellt alle vor. Brav sehen sie aus, wie sie da stehen in Reih und Glied. Als müsse sich der zerstrittene Haufen betont geschlossen zeigen, jetzt, wo ein Würdenträger kommt, der eine höhere Instanz vertritt. Bundespräsident Christian Wulff und Ehefrau Bettina holen Benedikt ab. Sie geleiten ihn in der Eskorte zum Schloss Bellevue. Sicherheitsstufe 1. Berlin ist abgesperrt. Freundliche Menschen winken an den Straßen. Viele sind es nicht. Es sind eher sehr wenige. Die Polizisten winken nicht. Demonstranten sind keine zu sehen.

    Das Beeindruckendste an Schloss Bellevue ist der Rasen. Er ist weich und saftig und sehr grün. Der Papst wird ihn mit seinen sehr roten Schuhen nicht betreten. Sie bilden einen starken Kontrast zur weißen Soutane. Hymnen erklingen, Militär marschiert. Wulff spricht. Er heißt den Papst sehr herzlich willkommen, sagt aber auch Kritisches. Die Kirche, so Wulff, sei immer wieder von neuen Fragen herausgefordert, etwa der, wie barmherzig sie mit Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen umgehe, mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern. „Ich freue mich über den begonnenen Dialogprozess der katholischen Kirche in Deutschland und darüber, dass der Papst im Stammland der Reformation mit Erfurt auch eine wichtige Wirkungsstätte Martin Luthers besucht.“

    Dann spricht der Papst

    Dann spricht der Papst. Er weicht ein wenig vom Manuskript ab und dankt dem Bundespräsidenten nicht nur für seine „freundlichen Begrüßungsworte“, sondern auch für seine „in die Tiefe gehenden Worte“. In seiner ersten von 17 Reden sagt er auch: „Freiheit braucht die Rückbindung an eine höhere Instanz.“

    Als der Papst gelandet ist, war der Himmel über Berlin bewölkt. Weit weg war das warme Licht Ciampinos. Als Benedikt Bellevue verlässt, ist der Himmel noch immer bewölkt. Aber so ein bisschen kommt die Sonne durch. Benedikt XVI. ist gerade erst angekommen. Da geht es schon zur Bundestagsrede. Der Höhepunkt des ersten Tages.

    Volker Beck sitzt auf seinem Stuhl im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes und verharrt in regungsloser Stille. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, von Anfang an ein erbitterter Gegner des Papst-Auftritts vor dem Bundestag, hält sich demonstrativ mit Beifall zurück, während sich links und rechts von ihm die Abgeordneten seiner eigenen Fraktion, der Union und der SPD von den Plätzen erheben und kräftig applaudieren. Schließlich gibt er seinen inneren Widerstand doch auf und klatscht, nicht euphorisch, aber doch unübersehbar. Sein Parteifreund Hans-Christian Ströbele hat zu diesem Zeitpunkt längst den Saal verlassen, weil er den Begrüßungsbeifall als „zu heftig“ empfand.

    Applaus von allen Parteien

    Der Papst hat gesprochen – und mit einer klugen, tiefschürfenden, geradezu staatsphilosophischen Rede auch Zweifler überzeugt. Sogar die wenigen Vertreter der Linkspartei – in ihren Reihen bleiben die meisten Sitze leer – erheben sich von ihren Plätzen und geizen nicht mit Beifall. Munition für Kritik, gar für eine

    Papst Benedikt bei seinem Auftritt im Bundestag. dpa
    Papst Benedikt bei seinem Auftritt im Bundestag. dpa

    Nein, der deutsche Papst nimmt seinen Auftritt vor den frei gewählten Parlamentariern zum Anlass, den Politikern in ihr Gewissen zu reden und sie an die ethischen Grundlagen ihres Tuns zu erinnern. Für einen Politiker, so sein Appell, dürfe es nicht primär um Erfolg „und schon gar nicht um materiellen Gewinn“ gehen, vielmehr müsse politisches Handeln „Mühen um Gerechtigkeit sein“, um so die Grundvoraussetzungen für Frieden zu schaffen. Benedikt bekennt, dass es für ihn als „Landsmann, der sich lebenslang seiner Herkunft verbunden weiß und die Geschicke der deutschen Heimat mit Anteilnahme verfolgt“, eine besondere „Ehre“ sei, hier sprechen zu dürfen.

    Kein einfaches Pflaster für den Papst, ist doch der Bundestag auch in Glaubensfragen ein Spiegelbild der Gesellschaft: vielschichtig, bunt, gespalten. 185 der 622 Abgeordneten sind katholisch, 177 evangelisch, drei sind Muslime, 28 bezeichnen sich als konfessionslos, zwei als Atheisten – und 227 erklären ihre Religionszugehörigkeit zur Privatsache, über die sie keine Auskunft erteilen. Acht Abgeordnete haben Theologie studiert, sechs standen vor ihrer Wahl in den Bundestag in den Diensten der Kirche, die grüne Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ist Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihr Kollege Wolfgang Thierse von der SPD gehört dem Zentralkomitee deutscher Katholiken an, ebenso Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Für die einen spielt der Glauben in ihrem Beruf als Politiker eine wichtige Rolle, für die anderen tut er nichts zur Sache.

    Papst redet Politikern ins Gewissen

    Benedikt XVI. weiß das und mahnt daher umso eindringlicher die Abgeordneten, sich der ethischen Fundamente ihres Tuns bewusst zu sein. Es dürfe nicht sein, dass man Natur und Schöpfung nur nach funktionalen Gesichtspunkten bewerte, Ethos und Religion aber außen vor blieben. Eine Denkweise, in der es nur um das bloße Funktionieren gehe, gleiche einem Betonbau ohne Fenster.

    Ein Ruck geht durch die Reihen der Grünen, als der Papst ausdrücklich die ökologische Bewegung der 70er Jahre lobt, die ein „Schrei nach frischer Luft“ gewesen sei. So etwas sei auch heute wieder nötig. „Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen.“ Da klatschen die Grünen als Einzige, doch der Papst wehrt spontan ab – es sei wohl klar, „dass ich hier nicht Werbung für eine Partei mache – nichts liegt mir ferner als das“.

    Das löst Heiterkeit in den Abgeordnetenreihen aus, ebenso der Moment, als der Pontifex den bedeutenden Rechtstheoretiker Hans Kelsen zitiert – und daraus schließt: „Das tröstet mich, dass man mit 84 Jahren offenbar doch noch etwas Vernünftiges denken kann.“

    Hinterher sind die meisten Abgeordneten voll des Lobes über die Worte des Papstes. Patrick Meinhart, Sprecher der Gruppe „Christen in der FDP-Fraktion“, sagt: „Auch als Protestant darf ich sagen: Ein bewegender Moment im Deutschen Bundestag.“ Benedikt XVI. sei eine Persönlichkeit „voller Demut – mit einem begnadeten Intellekt gesegnet und von tiefer Spiritualität geprägt“.

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