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Beirut: Nach verheerender Explosion: Die Regierung im Libanon löst sich auf

Beirut

Nach verheerender Explosion: Die Regierung im Libanon löst sich auf

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    Was wird aus dem Libanon? Die Proteste gegen die korrupte Politik nehmen an Schärfe zu.
    Was wird aus dem Libanon? Die Proteste gegen die korrupte Politik nehmen an Schärfe zu. Foto: Marwan Naamani, dpa

    Sechs Tage lang klammerten sich die Verantwortlichen nach dem Inferno von Beirut an die Macht. Am Montagabend gab Ministerpräsident Hassan Diab schließlich auf und trat zurück. Am Abend fuhr er zum Präsidentenpalast, um dem 85-jährigen Staatschef Michel Aoun sein Rücktrittsschreiben zu übergeben. Zu der Kabinettssitzung zuvor war lediglich ein Teil seiner zwanzig Minister erschienen. Vier hatten ihr Amt bereits niedergelegt, andere taten später dasselbe. Erst im Januar hatte Diab die Führung der Regierung nach einer monatelangen Hängepartie übernommen. Er folgte auf Saad Hariri, der nach Massenprotesten Ende Oktober zurückgetreten war.

    Mit seiner Demission reagierte der 61-jährige Hochschullehrer auf die gewaltsamen Proteste und den wachsenden internationalen Druck seit dem vergangenen Wochenende. Nach Angaben des Gouverneurs der libanesischen Hauptstadt ist die Zahl der Toten bei der verheerenden Explosion im Hafen mittlerweile auf 220 gestiegen. 110 Menschen werden vermisst, darunter viele ausländische Arbeiter und Lastwagenfahrer im Hafen. Die eingeflogenen Rettungstrupps glauben nicht, dass sie noch weitere Verschüttete lebend finden. Von den 7000 Verletzten befinden sich 120 in einem kritischen Zustand. 80.000 Wohnungen sind verwüstet. Der materielle Schaden in der halb zerstörten Stadt wird bisher auf mindestens 13 Milliarden Dollar geschätzt.

    Massendemonstrationen in Beirut

    Nach dem Schock der ersten Tage war es am Wochenende zu Massendemonstrationen im Zentrum von Beirut gekommen – mit schweren Zusammenstößen zwischen aufgebrachten Bürgern und der Polizei, die mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Menge vorging. Mehrere Protestierende wurden auch von Schrotsalven getroffen – im Gesicht, am Oberkörper oder an den Händen. Auf Fotos waren Männer in Zivil zu sehen, die mit Gewehren in Richtung der Demonstranten zielten. Nach Angaben eines Komitees libanesischer Anwälte mussten 90 Verletzte in Krankenhäuser eingeliefert werden, die meisten mit Schusswunden. Zehn befinden sich in kritischem Zustand.

    Parallel dazu sagte am Sonntag eine internationale Geberkonferenz Soforthilfen von rund 300 Millionen Dollar zu. Die Mittel für Nahrung, Medikamente, Schulen und Krankenhäuser wurden jedoch an die Bedingung geknüpft, dass sie über die Vereinten Nationen direkt an die Bevölkerung gehen und nicht durch die Hände der völlig korrumpierten libanesischen Politikerkaste. Zudem fordern die Geldgeber, dass die Ursache der Mega-Explosion von einer internationalen Expertenkommission untersucht wird.

    Heiko Maas reist in den Libanon

    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mahnte Libanons Machthaber erneut, politische und wirtschaftliche Reformen einzuleiten, ein Aufruf, dem sich auch die Bundesregierung anschloss. Außenminister Heiko Maas (SPD) reist am Mittwoch nach Beirut. Im libanesischen Parlament, das diese Woche zu einer Sondersitzung einberufen wurde, legten bis Montagabend bisher neun der 128 Volksvertreter ihr Mandat nieder. Die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgieva, unterstrich ihre Bereitschaft, dem Libanon mit einem Rettungspaket zu helfen. Dies setze voraus, „dass diejenigen, die in der Vergangenheit von den exzessiven Renditen profitiert haben, jetzt auch die Hauptlast bei der Rekapitalisierung der Banken tragen, um die Ersparnisse der großen Mehrheit der Libanesen zu retten.“ Dagegen sträubt sich bisher die Mafia aus korrupten Politikern, ehemaligen Warlords, Bankern und Oligarchen. Sie haben sich über Jahre untereinander libanesische Staatsanleihen mit Zinsen bis zu 15 Prozent zugeschustert. Dieses kriminelle Schneeballsystem verschlang die gesamten Sparguthaben libanesischer Normalbürger bei ihren Banken.

    Selbst bei Neuwahlen dürfte sich politisch wenig ändern: Das erst 2017 novellierte Wahlgesetz ist nach wie vor so konzipiert, dass unabhängige Kandidaten der Zivilgesellschaft oder neue politische Kräfte praktisch keine Chancen haben, in das Parlament einzuziehen.

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