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Beate Zschäpe: Wer ist diese Frau?

Beate Zschäpe

Wer ist diese Frau?

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    Wer ist diese Frau? Die Untersuchung der Rolle von Beate Zschäpe innerhalb der Terror-Gruppe ist Teil des NSU-Prozesses.
    Wer ist diese Frau? Die Untersuchung der Rolle von Beate Zschäpe innerhalb der Terror-Gruppe ist Teil des NSU-Prozesses. Foto: BKA, dpa

    Natürlich gibt es diese Fotos von Beate Zschäpe: Bravo lesend auf einer Party, bei einer Neonazi-Demo, im Neoprenanzug an der Ostsee, im Wohnmobil mit ihren beiden Uwes - den Kumpanen Mundlos und Böhnhardt. Es sind verstörend banale Schnappschüsse aus der Vergangenheit. Heute wissen wir, dass die Bilder wahrscheinlich eine braune Mörderbande zeigen. Die Männer sollen aus ideologischem Hass zehn Menschen getötet und 15 Banküberfälle verübt haben. Zudem sollen sie für zwei Nagelbombenanschläge mit dutzenden Verletzten verantwortlich sein. Und die Frau?

    Es wäre vermessen, aus den Momentaufnahmen etwas über die Rollenverteilung in dem Trio herauslesen zu wollen. Rasch könnte man auf die Idee kommen, dass die harmlos wirkende Frau eine Randfigur neben den beiden dominanten Männern ist. Es passt ja auch zu gut ins Rollenklischee für Neonazis. So bekam Zschäpe monatelang das Image der "Hausfrau" des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).

    Mittäterin oder Mitläuferin?

    Inzwischen sind wir weiter. Seit 8. November liegt eine Anklage des Generalbundesanwalts vor. Der NSU war "eine aus drei gleichberechtigten Mitgliedern bestehende Gruppierung", heißt es da. Und weiter: "Die ‚NSU‘-Mitglieder verstanden sich als ein einheitliches Tötungskommando, das seine Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven arbeitsteilig verübte."

    Gleichberechtigte Mitglieder, Arbeitsteilung beim Morden? Für die Bundesanwaltschaft war Beate Zschäpe weit mehr als eine Mitläuferin. Sie war Mittäterin. Sie hatte eine genau definierte, "unverzichtbare" Aufgabe: Dem Terror-Trio "den Anschein von Normalität und Legalität zu geben". Sie sei maßgeblich für die Logistik der Gruppe verantwortlich gewesen. Und: "Sie verwaltete das Geld aus den Raubüberfällen (...)"

    Wer ist diese Frau?

    War sie Mitläuferin oder Herz der Gruppe? Oder irgendwas dazwischen? Was trieb sie an? Warum wurde sie vom harmlosen Mädchen zur Terroristin? Suche nach Anerkennung? Mundlos war der Kopf. Böhnhardt war die Faust. Was war Beate Zschäpe? Die Frage wird auch im Mittelpunkt des NSU-Prozesses stehen.

    Selbst sprechen kann man Beate Zschäpe, 38, nicht. Sie sitzt in Untersuchungshaft. Erst in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf, Gefangene Nummer 4876/11/3. Im März 2013 wurde sie nach München-Stadelheim verlegt, an den Ort des Prozesses. Das, was in der Öffentlichkeit kursiert, zeichnet einen Menschen mit zwei Gesichtern: Eine kontaktfreudige junge Frau, die einnehmend, kinderfreundlich und nett zu ihren Nachbarn ist und ihre Katzen umsorgt. Und eine unerbittliche "Nazi-Braut", die seelisch kalt und körperlich brutal sein konnte, raffiniert, dominant. Passt das zusammen? Warum eigentlich nicht? Adolf Hitler liebte auch seinen Hund über alles, wenn dieser Vergleich hier ausnahmsweise gestattet ist.

    Wer ist diese Frau?

    Sie war der Hauptgrund, warum der NSU nicht früher entdeckt worden ist. Sie erzählte den Nachbarn Lügengeschichten. Sie kochte und backte in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau. Drei Jahre lang lebten die drei dort hinter Rüschengardinen in einer biederen Neckermann-Umgebung. Riesiger Kühlschrank, Badvorleger, Dr. Oetker: "1000 - die besten Backrezepte". Aber die Wohnung hatte einen öffentlichen und einen geheimen Bereich, weil das Trio zwei Appartements zusammenlegen ließ. Auf besonderen Wunsch der Mieter wurde auch eine Schallschutzdecke eingezogen.

    Plastikblumen und ein geladenes Gewehr

    Zschäpe saß mit den Nachbarn im Garten. Aber am Küchenfenster der Wohnung standen Plastikblumen, hinter denen eine Überwachungskamera versteckt war. Sie kaufte für Nachbarn ein. Aber im Schrank an der Wohnungstür soll ein geladenes Gewehr gelegen haben. Die Nachbarn nannten sie "Diddl-Maus". Aber sie erledigte Behördengänge für den NSU und mietete unter falschem Namen Autos für die Männer an. Fast 20 Jahre haben die drei zusammen verbracht - 13 davon im Untergrund. Beate Zschäpe sagt, das Trio sei ihre Familie gewesen.

    Wer ist diese Frau?

    Wahrscheinlich hilft es, Kindheit und Jugend näher zu betrachten. Die Journalisten Christian Fuchs und John Goetz haben das für ihr Buch "Die Zelle" (Rowohlt, 14,95 Euro) getan. Zschäpe, geboren am 2. Januar 1975 in Jena, wurde von Beginn an das Gefühl vermittelt, nicht erwünscht zu sein. Ihre Mutter, damals 22 Jahre alt, hatte einen - in der DDR begehrten - Studienplatz für Zahnmedizin in Rumänien. Den wollte sie nicht verlieren.

    Zwei Wochen nach der Geburt ging sie wieder nach Rumänien. Ihr Baby ließ sie in Jena zurück. Neben dem deutschen Freund hatte Annerose A. einen rumänischen Geliebten. Er ist vermutlich Beates Vater, auch wenn er dies nie anerkannt hat. Die Oma kümmerte sich. Als Beate ein halbes Jahr alt war, nahm der deutsche Freund der Mutter die Kleine zu sich. Die Mutter heiratete den Mann, ließ sich scheiden, heiratete wieder, ließ sich wieder scheiden. Beate Zschäpe sagte später, einen richtigen Vater habe sie nie gehabt.

    Beate Zschäpe wollte Kindergärtnerin werden

    Die Frau, die später mit fast einem Dutzend Alias-Namen jonglierte, hatte in den ersten drei Lebensjahren drei Nachnamen. Nach der Wende verlor Beates Mutter ihren Arbeitsplatz als Buchhalterin. Sie war paralysiert. Das Verhältnis zur Tochter wurde immer schlechter. Als Beate Zschäpe 14 war, schloss sie sich im Jenaer Plattenbau-Viertel Winzerla einer Jugendclique an. Sie suchte nach einer Gemeinschaft. Doch die Jugendlichen damals in der Wendezeit hatten keine Orientierung. Sie waren alle Suchende. Es war die Zeit, in der Beate von den Pädagogen und Jugendarbeitern noch als unauffälliges, nettes Mädchen wahrgenommen wurde.

    Die Angeklagten im NSU-Prozess

    Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:

    Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

    Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    1991 lernte sie dann den zwei Jahre älteren Uwe Mundlos kennen. Er trug schwarz-rot-goldene Hosenträger und war bereits fest in der Neonazi-Szene verwurzelt. Sie verliebten sich, verlobten sich gar. Beate wollte Kindergärtnerin werden. Sie bekam keine Lehrstelle, begann mit einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme als Malergehilfin. Später fing sie eine Gärtnerlehre an, Fachrichtung Gemüsebau.

    Als ihr Verlobter seinen Wehrdienst leistete, verliebte sich Zschäpe in den jüngeren Böhnhardt, den besten Freund von Mundlos. Zu dieser Zeit soll sie damit angefangen haben, Nazi-Sprüche zu klopfen. Das war damals unter Jugendlichen aus der ehemaligen DDR nichts Besonderes. Doch wenn Beate mit ihren neuen Freunden loszog, war sie auf einmal eine andere: gewalttätig, aggressiv. Sie prügelte sich. Auf der Suche nach Liebe hat sie auch den Hass gefunden. Erstaunlicherweise blieb der verlassene Uwe Mundlos weiter in ihrer Nähe. Beate Zschäpe hatte ihre Ersatzfamilie gefunden. Wie genau das Beziehungsgeflecht zwischen den dreien funktionierte, ist unklar. Vielleicht wussten sie es selbst nicht.

    1998 taucht das Trio ab

    In jenen Monaten muss auch die Rechtsradikalisierung begonnen haben. Beate, die unscheinbare, nichts ahnende Mitläuferin? Nun ja. Im Herbst 1996 soll sie mit Böhnhardt am Denkmal für die Opfer des Todesmarsches von Buchenwald eine Bombenattrappe abgelegt haben. An der Herstellung des Nazi-Monopoly "Pogromly" soll Zschäpe beteiligt gewesen sein. Eine Garage in Jena, die als Bombenwerkstatt des Trios fungierte, hatte sie gemietet. 1998 fand die Polizei dort Rohrbomben. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt tauchten ab und sollten 13 Jahre im Untergrund bleiben. Der erste von zehn Morden wurde am 9. September 2000 begangen.

    Hat Beate Zschäpe die Opfer mit ausgesucht? Hat sie versucht, mäßigend auf die Männer einzuwirken? Oder war sie gar die Anführerin? Es gibt auch diese Fotos, die Beate Zschäpe nach der Verhaftung zeigen. Es ist nicht vermessen, aus ihnen herauszulesen, dass die Jahre im Untergrund sie von einer niedlichen Jugendlichen zu einer bitteren, verhärmten Frau gemacht haben.

    "Ich bin die, die sie suchen"

    Am 4. November 2011 gegen 15 Uhr läuft Beate Zschäpe mit einem Kanister Benzin durch ihre Wohnung in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau. Kurz vorher hat sie erfahren, dass ihr Leben kaputt ist. Mundlos und Böhnhardt hatten sich nach einem Banküberfall in einem Wohnwagen erschossen.

    Zschäpe setzt die Wohnung in Brand, um Waffen und Beweismittel zu vernichten. Sie rennt auf die Straße. Mit einem lauten Knall wird die Fassade des Hauses weggesprengt. Beate Zschäpe hat in einem Korb ihre beiden Katzen Heidi und Lily dabei. Sie trifft eine Nachbarin. Fragt, ob die auf die Katzen aufpassen kann. Zschäpe stellt ihr den Korb hin. Sie läuft in Richtung Innenstadt. Sie wirft 15 Kopien des berüchtigten "Paulchen-Panther"- Bekennervideos in den Briefkasten und erbringt so den Beweis, dass es in Deutschland jetzt Rechtsterrorismus gibt.

    Dann fährt sie mit dem Zug vier Tage lang kreuz und quer durch Deutschland. Am Mittag des 8. November 2011 geht Zschäpe mit einem Anwalt zur Polizei in Jena und sagt: "Ich bin die, die sie suchen."

    Wer ist diese Frau?

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