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Bahr will Operationen begrenzen: Neuer Streit um die künstliche Hüfte

Bahr will Operationen begrenzen

Neuer Streit um die künstliche Hüfte

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    „Die Verschärfung trägt nicht dazu bei, ein fehlerhaftes System zu verändern.“BKG-Geschäftsführer Siegfried Hasenbein
    „Die Verschärfung trägt nicht dazu bei, ein fehlerhaftes System zu verändern.“BKG-Geschäftsführer Siegfried Hasenbein

    Es geht wieder um die Hüfte. Und wenn es in der Gesundheitspolitik um die Hüfte geht, dann schlagen die Emotionen hoch. Wie hoch, das musste 2003 der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, erleben, als er infrage stellte, ob es sinnvoll sei, dass 85-Jährige „auf Kosten der Solidargemeinschaft“ noch eine künstliche Hüfte erhalten.

    Jetzt, neun Jahre später, ist der Aufschrei ähnlich schrill: Am Mittwoch hatten sich die Fraktionen von Union und FDP auf eine Verschärfung bei den Abschlägen für Mehrleistungen in den Kliniken geeinigt. Vereinfacht gesagt, die Kliniken, die ihr Budget für ärztliche Leistungen von einem auf das andere Jahr deutlich erhöhen, erhalten für die zusätzlichen Leistungen weniger Geld. Das Prinzip ist nicht neu: Bereits bisher bekommen die Krankenhäuser für zusätzliche Leistungen weniger Geld – 2011 sparten die Krankenkassen durch diese Abschläge rund 350 Millionen Euro ein. Doch als die Bild am Donnerstag in großen Lettern fragte: „Wird Senioren bald nicht mehr jede OP bezahlt?“, gab es kein Halten mehr. „Bundesgesundheitsminister Bahr greift genau wie damals Mißfelder die Älteren in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung und Menschenwürde an“, wetterte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Vor „Altersrationierung“ warnte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

    Immer mehr Operationen

    Doch im Laufe des gestrigen Tages wuchsen die Zweifel, ob die Aufregung gerechtfertigt ist. „Ich bin wahrlich in letzter Zeit nicht gut auf die Politik zu sprechen, aber in diesem Fall muss ich sie in Schutz nehmen“, sagte der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), Siegfried Hasenbein, unserer Zeitung. Es sei schlicht „Unsinn“, dass daran gedacht sei, in Zukunft Leistungen für Ältere auszuschließen. Auch Daniel Bahr (FDP) beteuerte, dass Senioren keinesfalls fürchten müssen, dass ihnen medizinisch notwendige Leistungen vorenthalten werden würden. Unstrittig ist jedoch, dass die Fallzahlen stark zunehmen: Fast 400000 neue Hüft- und Kniegelenke setzen Deutschlands Ärzte laut Krankenhaus-Report 2010 der Barmer GEK im Jahr ihren Patienten ein. Seit 2003 gab es 18 Prozent mehr Hüft- und 52 Prozent mehr Knie-OPs. Trotz aller Kostendämpfungen steigen die Kassenausgaben für Klinikbehandlungen ständig – um gut zwei auf 61 Milliarden Euro 2011. Die Hälfte des Zuwachses geht laut dem Kassen-Spitzenverband auf wenige Operationen wie das Einsetzen künstlicher Knie- oder Hüftgelenke, Wirbelsäulen- und Herzeingriffe zurück. Experten hatten zuletzt Zweifel geäußert, ob der Anstieg der Operationen tatsächlich medizinisch sinnvoll sei.

    Vertreter des Kassen-Verbands lobten den Vorstoß Bahrs zur Kostendämpfung gestern über den Klee. Hasenbein jedoch kommt zu einem völlig anderen Befund. „Die Verschärfung bei den Abschlägen geht letztlich ins Leere, weil sie nicht dazu beitragen wird, ein fehlerhaftes System zu verändern.“ So habe der Umstand, dass es immer mehr Ältere in Deutschland gebe, gepaart mit dem galoppierenden und damit sehr kostspieligen medizinischen Fortschritt, zu einem seit Jahren starken Anstieg der Kosten im Gesundheitssektor geführt. „Die permanent unterfinanzierten Krankenhäuser haben gar keine andere Wahl, als zu versuchen, ihre Defizite über immer mehr Leistungen für immer mehr Patienten auszugleichen. Diese Fehlanreize sind das Problem“, sagte der BKG-Geschäftsführer. Für Hasenbein ist die große Schwäche des Vorstoßes von Bahr, dass er das aus seiner Sicht fehlerhafte System nicht antastet.

    Die überbordende Diskussion über eine geplante „Operationsbremse“ überdeckte gestern, dass die Regierung den rund 2000 Kliniken eine Finanzspritze von rund 300 Millionen Euro zugesagt hat. Damit sollen die jüngsten Tarifsteigerungen – je nach Rechnungsweise drei bis 3,5 Prozent – teils ausgeglichen werden. Die Kassen übten daran scharfe Kritik. „2,5 Milliarden Euro bekommen die Krankenhäuser in diesem Jahr sowieso schon mehr, da braucht es nicht noch eine Finanzspritze“, sagte Sprecher Florian Lanz.

    Siegfried Hasenbein verwies hingegen darauf, dass die Kliniken durch die neuen Tarife mit bundesweit rund einer Milliarde Euro belastet würden. Das dadurch „zwangsläufig steigende Defizit“ gefährde letztlich Personalstellen in den Krankenhäusern.

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