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Bahnprojekt: Stuttgart 21: Grüne nerven die SPD

Bahnprojekt

Stuttgart 21: Grüne nerven die SPD

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    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat die SPD verärgert. Schuld ist Stuttgart 21.
    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat die SPD verärgert. Schuld ist Stuttgart 21. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    Während der Aufsichtsrat der Bahn am Dienstag in Berlin den Weiterbau des Bahnhofsprojektes Stuttgart 21 trotz der Kostenexplosion beschloss, gärte es bereits gehörig in der grün-roten baden-württembergischen Landesregierung. Dass der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die SPD meist unterschiedlicher Ansicht sein werden, was das Projekt angeht, war schon bei der Regierungsbildung klar gewesen. Jetzt provozierte der Regierungschef den Partner zu gereizten Reaktionen, weil er in einem Brief an den Gewerkschafter und Vize-Aufsichtsratschef Alexander Kirchner seine Bereitschaft zu "konstruktiven Gesprächen" über mögliche Alternativen erklärte.

    Kretschmann verlässt die gemeinsame Linie

    Chronologie: Großprojekt Stuttgart 21

    November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung, in der auch die Finanzierung des auf fünf Milliarden Mark (rund 2,5 Milliarden Euro) veranschlagten Projekts festgelegt wird.

    November 1997: Das Düsseldorfer Architektenbüro von Christoph Ingenhoven erhält den Zuschlag für den Umbau in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit großen Lichtaugen.

    Oktober 2001: Das Planfeststellungsverfahren beginnt.

    Juli 2004: Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der Bahn gibt die neuen Kosten von Stuttgart 21 mit 2,8 Milliarden Euro an.

    April 2006: Das oberste Verwaltungsgericht Baden-Württembergs weist drei Klagen gegen den geplanten Umbau des Hauptbahnhofs ab.

    20. Dezember 2007: Der Gemeinderat der Landeshauptstadt lehnt einen Bürgerentscheid über das Milliardenprojekt mit großer Mehrheit ab. Rund 67.000 Bürger, dreimal mehr als notwendig, hatten dafür votiert.

    2008: Die Landesregierung erwartet Verteuerung auf 3,076 Milliarden Euro - der Bundesrechnungshof kommt auf mehr als fünf Milliarden Euro.

    2. April 2009: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und Bahn-Vorstand Stefan Garber unterzeichnen die Finanzierungsvereinbarung.

    2. Februar 2010: Die Bauarbeiten beginnen.

    27. Juli 2010: Bahnchef Grube gibt für die Schnellbahntrasse nach Ulm eine Kostensteigerung um 865 Millionen Euro auf 2,9 Milliarden Euro bekannt.

    11. August 2010: Das Umweltbundesamt sieht für Stuttgart 21 und die neue Schnellbahntrasse eine weitere Kostenexplosion auf bis zu elf Milliarden Euro.

    25. August 2010: «Baggerbiss» am Nordflügel des Hauptbahnhofs.

    September 2010: Die oppositionelle SPD, die wie die schwarz-gelbe Regierung für das Vorhaben ist, will die Bürger entscheiden lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt die Landtagswahl zur Abstimmung über das Bahnprojekt. Der Konflikt eskaliert. Bei der Räumung des Schlossgartens werden weit mehr als 100 Demonstranten verletzt, einige davon schwer. Auch Dutzende von Polizisten erleiden Verletzungen. Kurz nach Mitternacht werden die ersten Bäume gefällt.

    06. Oktober 2010: Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) schlägt den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler als Schlichter vor.

    09. Oktober 2010: Der Protest wächst weiter: Rund 65.000 Menschen gehen nach Schätzungen der Polizei gegen das Bahnprojekt auf die Straße. Die Veranstalter sprechen von 90.000 bis 100.000 Teilnehmern.

    22. Oktober - 27. November 2010: Acht Runden öffentlicher Schlichtung.

    30. November 2010: Geißler spricht sich in seinem Schlichterspruch für den Weiterbau des Projekts aus, verlangt aber Nachbesserungen. So schlägt er einen Stresstest vor, der zeigen soll, ob der geplante Tiefbahnhof wie behauptet 30 Prozent leistungsfähiger ist als der Kopfbahnhof. Die Ergebnisse werden im Sommer 2011 erwartet.

    10. Januar 2011 : Die während der Schlichtung unterbrochenen Bauarbeiten werden fortgesetzt - begleitet von Protesten.

    27. März 2011: Bei der Landtagswahl siegen Grüne und SPD.

    29. März 2011: Zwei Tage nach dem Regierungswechsel verkündet die Bahn einen Bau- und Vergabestopp bis zur Regierungsbildung im Mai.

    27. April 2011: Grüne und SPD präsentieren ihren Koalitionsvertrag. Die beiden Parteien einigen sich, über die Zukunft von Stuttgart 21 per Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Im Juni soll außerdem ein Stresstest zeigen, ob der Bahnhof teuer nachgerüstet werden muss.

    12. Mai 2011: Winfried Kretschmann wird nach dem Wahlsieg erster grüner Ministerpräsident der deutschen Geschichte.

    3. Juni 2011: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordert in einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer einen längeren Bau- und Vergabestopp. Ramsauer lehnt dies ab.

    14. Juni 2011: Die Deutsche Bahn nimmt die nach dem Regierungswechsel unterbrochenen Bauarbeiten wieder auf. Erneut kommt es zu kleineren Demonstrationen und Blockaden.

    9. Juli 2011: Erneut kommt es zu größeren Demonstrationen. Tausende Menschen fordern einen «Baustopp für immer».

    21. Juli 2011: Der geplante Bahnhof besteht den von einer Schweizer Firma durchgeführten Stresstest.

    29. Juli 2011: Das Ergebnis des Stresstests wird offiziell präsentiert. Auch das Aktionsbündnis gegen das Bahnhofsprojekt nimmt an dem Termin teil, nachdem zunächst ein Boykott erwägt worden war.

    27. November 2011: Eine Mehrheit hat sich für den Tiefbahnhof Stuttgart 21 entschieden. Rund 7,6 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, über das S21-Kündigungsgesetz abzustimmen. 58,9 Prozent stimmten gegen den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung, 41,1 Prozent stimmten für den Ausstieg.

    23. März 2012: Die Bahn gibt bekannt, dass der Bahnhof voraussichtlich erst mit einem Jahr Verzögerung im Jahr 2020 in Betrieb geht - und sieht die Bausumme nach wichtigen Vergaben bei 4,3 Milliarden Euro.

    3. Dezember 2012: Aus Kreisen des Bahn-Aufsichtsrats heißt es, Stuttgart 21 könne rund eine Milliarde Euro teurer werden. Summe damit etwa: 5,5 Milliarden Euro.

    6. Dezember 2012: Noch einmal 500 Millionen Euro mehr. Ein Vertreter des Bahn-Konzerns sagt dem Hessischen Rundfunk: "Insgesamt läuft es auf Kosten von sechs Milliarden hinaus."

    12. Dezember 2012: Nun zwei Milliarden Euro mehr? Unter Berufung auf Regierungskreise zitiert die "Stuttgarter Zeitung" Studien, wonach die Mehrkosten mindestens bei 1,3 Milliarden Euro, schlimmstenfalls bei 2 Milliarden Euro liegen.

    Kretschmann verlasse damit die gemeinsame Linie, keine Ausstiegsgespräche über S 21 zu führen, polterte SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. Das sei ein "beispielloser Affront", sagte er gleich am Dienstag. Andere in der SPD sprachen von einem "richtig groben Foul" der Grünen. "Wir waren verärgert über das Vorgehen von Kretschmann", sagte Finanzminister und SPD-Landeschef Nils Schmid am Mittwoch im Deutschlandfunk. Das sei nicht abgestimmt gewesen. Und der stellvertretende Ministerpräsident sagte den Grünen auch, wo es langgeht. Sie täten gut daran, den Protest ein bisschen zurückzunehmen. "Denn schließlich wird jetzt gebaut und wir haben Landesinteressen zu wahren", fügte Schmid hinzu. Wenigstens in einem Punkt scheinen sich die Regierungspartner einig zu sein: An den vom Aufsichtsrat abgesegneten Mehrkosten in Höhe von zwei Milliarden Euro werde sich das Land nicht beteiligen. Es bleibe bei der im Finanzierungsvertrag vereinbarten Beteiligung Baden-Württembergs von 930 Millionen Euro für einen leistungsfähigen Bahnknoten Stuttgart.

    Finanzielle Zugeständnisse nur für den Flughafen-Bahnhof

    Nur in einem Punkt ist der SPD-Finanzminister - anders als die meisten Grünen - zu Zugeständnissen bereit: Er würde die Mehrkosten für den geplanten Filderbahnhof am Flughafen übernehmen, weil hier eine vom Land vorangetriebene Bürgerbeteiligung eine teurere, aber auch bessere Lösung erbracht habe.

    Eigentlich glaubte Grün-Rot, mit der Volksabstimmung im Herbst 2011 den Streit um S 21 ad acta gelegt zu haben. Die Kostenexplosion hat jetzt neue Gräben aufgerissen.

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