Historischer Machtwechsel in Baden-Württemberg: Nach fast 58 Jahren CDU-Vorherrschaft haben Grüne und SPD dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge die Mehrheit im Stuttgarter Landtag errungen. In Rheinland-Pfalz verlor die SPD am Sonntag mit Ministerpräsident Kurt Beck laut Hochrechnungen die absolute Mehrheit, kann aber mit starken Grünen weiterregieren. Die FDP blieb dort unter fünf Prozent.
In Baden-Württemberg erzielten die Grünen unter dem Eindruck der Atomdebatte ein spektakuläres Ergebnis: Sie erreichten 24,2 Prozent der Stimmen und damit mehr als die SPD mit 23,1 Prozent. Damit dürfte ihr Spitzenkandidat Winfried Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands werden. Kretschmann sprach von einer "historischen Wende". Der baden-württembergische SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid sagte, nach 20.997 Tagen CDU-Regierung in dem Bundesland sei "der historische Wechsel geschafft".
CDU-Regierungschef Stefan Mappus wurde nach nur gut einem Jahr im Amt abgewählt. Die baden-württembergische CDU rutschte auf 39,0 Prozent ab. Mappus übernahm dafür die Verantwortung und kündigte eine personelle und inhaltliche Neuausrichtung seiner Partei an. Seine persönliche Zukunft ließ er offen. Auch sein Koalitionspartner FDP verlor deutlich, schaffte aber mit 5,3 Prozent knapp den Wiedereinzug in den Landtag. FDP-Chef Guido Westerwelle äußerte sich "schwer enttäuscht". Parteivize Rainer Brüderle kündigte an, die FDP werde am Montag auch über personelle Konsequenzen beraten. FDP-Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki legte im Berliner "Tagesspiegel" Bundestags-Fraktionschefin Birgit Homburger, die auch Landesparteichefin in Baden-Württemberg ist, den Rücktritt von der Fraktionsspitze nahe.
Im neuen Stuttgarter Landtag erhält die CDU 60 Sitze, die Grünen 36, die SPD 35 und die FDP sieben. Damit hat Rot-Grün zusammen 71 Mandate, das sind vier mehr als CDU und FDP zusammen.
Ebenso wie Westerwelle machte auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe die Atomkatastrophe in Japan für das Wahlergebnis mitverantwortlich. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe die Landtagswahl in Baden-Württemberg zur Schicksalswahl ausgerufen, "und das wird jetzt auch ihr Schicksal besiegeln". Die Niederlage im konservativen Stammland Baden-Württemberg ist ein schwerer Schlag für Merkel, die sich auch im Wahlkampf stark engagiert hatte. Es ist nach Hamburg und Nordrhein-Westfalen der dritte Machtverlust für die CDU in einem Bundesland binnen eines Jahres.
In Rheinland-Pfalz verlor die SPD Hochrechnungen für ARD und ZDF zufolge rund zehn Prozentpunkte, behauptete sich aber mit 35,7 bis 35,8 Prozent knapp vor der CDU. Diese verbesserte sich mit Spitzenkandidatin Julia Klöckner auf 35,3 Prozent. Beck bedauerte die Verluste seiner Partei, sprach aber von einem "klaren Regierungsauftrag". Er kündigte Gespräche mit den Grünen über ein Regierungsbündnis an. Klöckner freute sich über ein "wunderbares Ergebnis".
Die Grünen zogen nicht nur nach fünf Jahren wieder in den Mainzer Landtag ein, sie erzielten mit 15,3 bis 15,4 Prozent auch ein Rekordergebnis. Die FDP scheiterte mit 4,2 Prozent klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Im Landtag kann die SPD mit 42 Mandaten rechnen, die CDU mit 41 und die Grünen mit 18. Die Linke verpasste in beiden Bundesländern mit jeweils zwei bis drei Prozent klar den Einzug in den Landtag. Parteichef Klaus Ernst wertete dies als "bedauerlich".
Mögliches Fragezeichen hinter Bauprojekt Stuttgart 21
Sollte Grün-Rot die Regierung übernehmen, steht hinter dem umstrittenen Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 wieder ein großes Fragezeichen. Beide Parteien wollen eine Volksabstimmung über das Vorhaben organisieren.
Die Wechselstimmung war nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen gewaltig. Die Hauptgründe für den Wahlausgang sehen die Forscher im Land. Als Gründe führen sie an: Starke Imageverluste von CDU und FDP im Land, eine magere Regierungsbilanz, ein wenig beliebter Ministerpräsident, sein Kurswechsel in Sachen Atomkraft und seine Ansichten zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Die Niederlage für die Südwest-CDU ist auch ein Debakel für Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich stark in den Wahlkampf eingeschaltet hatte. Der 44-jährige Mappus hatte erst am 10. Februar 2010 das Amt von Günther Oettinger übernommen, der EU-Kommissar in Brüssel wurde. afp/dpa