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Autobiographie: Erinnerungen: Als Theo Waigel über Moskau der Sprit ausging

Autobiographie

Erinnerungen: Als Theo Waigel über Moskau der Sprit ausging

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    Theo Waigel hat seine Erinnerungen in einem Buch festgehalten. Wir haben es schon gelesen.
    Theo Waigel hat seine Erinnerungen in einem Buch festgehalten. Wir haben es schon gelesen. Foto: Fred Schöllhorn

    Theo Waigel hat in seiner neuen Autobiographie Erinnerungen an seine Zeit als Politiker aufgeschrieben. Wir haben sein Buch vorab gelesen.

    Theo Waigel über sein unverwechselbares Markenzeichen: die Augenbrauen

    Neuneinhalb Jahre war ich als Bundesfinanzminister im Amt. Ich war der, „dem die Schnurrbärte fidel über den Augen hüpften“, wie der Journalist Jürgen Leinemann einmal schrieb.

    Als Finanzminister ist man nicht der erklärte Liebling der Nation. Wer populär sein will, sollte sich einen anderen Beruf suchen – das war immer mein Motto. Gegen blauäugige Kritik und haltlose Unterstellungen habe ich mich stets verwahrt, aber für eine passende Anekdote, eine gute Pointe oder eine scharfzüngige Bemerkung war ich jederzeit empfänglich. Daher rührt auch mein entspanntes Verhältnis zur Karikatur.

    Vielleicht habe ich von der Wiedererkennbarkeit meiner Gesichtszüge sogar profitiert. Mein jüngster Sohn hat mich darauf gebracht. An einem Sonntagvormittag beim Frühstück, ich hatte Konstantin auf dem Schoß, schauten wir gemeinsam eine Sonntagszeitung an. Dabei fiel uns eine Karikatur ins Auge: Zu erkennen war ein Wald, hinter jedem Baum lauerte ein mit dicken Augenbrauen gezeichneter Räuber und wartete auf arglos vorbeiwandernde Steuerzahler. Bevor ich dem Kleinen das Bild erklären konnte, zeigte sein Finger schon auf die Räuber. Freudig krähte er: „Papa, Papa, Papa!“ Auch als Räuber hatte mich mein Sohn sofort erkannt.

    Mit Humor nahm Waigel die Augenbrauen-Karikaturen.
    Mit Humor nahm Waigel die Augenbrauen-Karikaturen. Foto: dpa

    ... die legendäre Moskau-Reise mit Strauß im Winter 1987

    In einer kleinen Cessna flogen wir am 28. Dezember los. Am Steuer saß Strauß, Co-Pilot war der Fluglehrer Heinrich Then. Der Flug verlief relativ ruhig. Angesichts der schlechten Wetterverhältnisse in Moskau waren wir etwas beunruhigt. Beim Landeanflug registrierten wir, dass wir die Einzigen waren, die vom bedeckten Himmel auf den Flugplatz niedergingen. Aber alles ging gut, die Landung glückte, begeistert spendeten wir dem Piloten Applaus. Jäh ließen wir jedoch die Hände sinken, als der Co-Pilot in die Kabine stürzte und lauthals brüllte: „So etwas mache ich nie wieder mit – nie wieder!“ Offenbar war es auf den letzten Metern in der Luft zu erheblichen Differenzen zwischen Strauß und Then gekommen. Froh und dankbar waren wir, als die Maschine endlich zum Stillstand kam. Ein bestens gelaunter Strauß entstieg dem Flugzeug und ließ sich dem Protokoll entsprechend gebührend begrüßen. Im Vorbeigehen merkte er noch etwas von einer „nicht ganz einfachen Landung“ an.

    Erst abends im Hotel Sowjetskaja ergab sich Gelegenheit, die Sache nochmals anzusprechen. Ich fragte Then: „Was war denn da heute los?“ Der wand sich und murmelte vage: „Es gab halt vor der Landung keine Übereinstimmung zwischen Pilot und Co-Pilot.“ Strauß selbst verriet uns schließlich den Grund für die lautstarke Auseinandersetzung an Bord: Der Flughafen war wegen des eisigen Schneetreibens gesperrt gewesen, die Maschine sollte eigentlich nach Minsk umgeleitet werden. „Und warum haben wir das nicht gemacht?“, fragte ich. „Weil wir nur noch für wenige Minuten Sprit hatten“, antwortete Strauß und grinste fröhlich in die Runde.

    Mit Franz Josef Strauß (Mitte) und Edmund Stoiber 1987 auf dem Roten Platz in Moskau.
    Mit Franz Josef Strauß (Mitte) und Edmund Stoiber 1987 auf dem Roten Platz in Moskau. Foto: Imago

    ... einen Streit zwischen Helmut Kohl und Franz Josef Strauß

    Nachdem Kohl Bundeskanzler geworden war, versuchte Strauß, ihn in Briefen, gemeinsamen Sitzungen und persönlichen Gesprächen auf Linie zu bringen. So beispielsweise nach dem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum 1982 in einem ersten Vorgespräch der Spitzengremien von CDU und CSU. Nach der Erörterung wichtiger Sachfragen für die Regierungserklärung ergriff Strauß das Wort und erklärte

    Darauf Strauß mit gesteigerter Lautstärke: „Ist es klar, dass du Erich Honecker nicht nach Bonn einlädst?“ Kohl stoisch: „Ich werde ihn nicht einladen, aber es existiert eine Einladung meines Vorgängers Helmut Schmidt, die ich nicht negieren kann.“ Strauß drohte zu explodieren. Mit scharfer Stimme verlangte er: „Du darfst diesen Mann nicht einladen, denn an seinen Händen klebt Blut!“

    Mit Helmut Kohl verband Theo Waigel eine politische Freundschaft.
    Mit Helmut Kohl verband Theo Waigel eine politische Freundschaft. Foto: dpa

    ... das Duell mit Edmund Stoiber um das Amt des Ministerpräsidenten

    Die Meinung über den besten Nachfolger für Max Streibl schlug um, als eine persönlich diffamierende Kampagne gegen mich inszeniert wurde. Während mein Privatleben in den vergangenen Jahren keine Rolle gespielt hatte, wurden nun die Trennung von meiner ersten Frau, obwohl sie schon fünf Jahre zurücklag, und meine Beziehung zu Irene Epple zum Thema.

    Ich muss mir dabei einen Fehler vorhalten: Ich hätte bereits damals eine klare Lösung, auch öffentlich, vollziehen sollen. Dann hätte die Partei sich damals entscheiden müssen, ob sie eine solche Gewissensentscheidung respektiert. Eine Schmutzkampagne wie 1993 wäre ausgeschlossen gewesen. Warum die Vorwürfe gegen mein privates Leben genau zu diesem „passenden“ Zeitpunkt publik wurden, ist relativ leicht erklärbar. Angesehene Journalisten, wie Christiane Schlötzer-Scotland von der Süddeutschen Zeitung, berichteten, wie sich CSU-Landtagsabgeordnete vehement für mein Privatleben interessierten und hinter vorgehaltener Hand Journalisten die Frage stellten, warum nicht endlich darüber geschrieben werde, dass der

    In einem Leserbrief Stoibers vom 24. Mai 1993 an den Spiegel, der zwar vom Blatt nicht veröffentlicht, mir aber von Stoiber übermittelt wurde, wies dieser alle Anwürfe zurück. Wörtlich: „Wer auch immer und aus welchen Motiven auch immer das Privatleben von Dr. Theo Waigel zum Thema der politischen Auseinandersetzung gemacht haben sollte, handelt infam. Ich lehne solche heimtückischen und scheinheiligen Methoden ab … Ich weiß allerdings niemanden, der so gehandelt hat.“ Das nehme ich ihm nicht ab.

    Mit Edmund Stoiber konkurrierte Waigel um das Amt des Ministerpräsidenten.
    Mit Edmund Stoiber konkurrierte Waigel um das Amt des Ministerpräsidenten. Foto: dpa

    ... die CSU in der Flüchtlingskrise

    Die rechte Flanke zu besetzen ist der falsche Weg. Die CSU war stets dann erfolgreich, wenn sie rechte Gruppierungen mit allen legalen und demokratischen Mitteln bekämpfte. Deshalb konnte sich rechts von ihr auf Dauer keine demokratisch legitimierte Partei behaupten. Die Forderung nach Kontrolle bei einem so gewaltigen Ereignis wie dem Ansturm der Flüchtlinge 2015 war berechtigt. Doch bediente man sich dabei einer politischen Semantik und Rhetorik, die manche unserer Anhänger abgestoßen hat. Die Wähler fragten zu Recht: Wo waren in dieser menschlichen und politischen Ausnahmesituation das „C“ und die Nächstenliebe geblieben? Eine erste Erkenntnis lautet folglich: CDU und CSU müssen das „C“ in unserer Welt erklären.

    Es ist die Primäridee christlich-sozialer Politik, von der aus Begriffe wie liberal, sozial und konservativ definiert werden. In der programmatischen Diskussion der Siebzigerjahre haben wir uns mit dem Theologen Eugen Biser die Frage gestellt: Was würde Jesus Christus heute von uns politisch verlangen? Eine Antwort darauf ist in Zeiten der Globalisierung mindestens so relevant wie damals.

    Die CSU sollte stolz auf die erreichten Erfolge sein. Anstatt aber auf die erfolgreiche Kurskorrektur in der Flüchtlingspolitik zu verweisen – die wesentlich der CSU zu verdanken ist –, thematisierte die Partei vor allem die Defizite und Probleme. Doch wer dauerhaft angst- und ressentimentbesetzte Themen schürt, nutzt im Endeffekt der radikalen Rechten. In der Tat war die Bewältigung des Flüchtlingsandrangs eine gewaltige Herausforderung. Aus Überzeugung habe ich damals mit Alois Glück, Hans Maier und weiteren Mitstreitern die Politik von Angela Merkel unterstützt. Die Bundeskanzlerin führte die Regierungsgeschäfte souverän und mit ruhiger Hand. Damit ist sie Deutschlands europäischer und internationaler Verantwortung in vorbildlicher Weise gerecht geworden. Doch die Aufnahme, Erfassung und Integration von hunderttausenden von Flüchtlingen bedürfen der Einordnung in ein ganzheitliches Konzept, und zwar mit allen sozialen und finanziellen Konsequenzen. Dieses Konzept muss anschließend parlamentarisch diskutiert werden.

    Mit Irene Epple-Waigel ist der Politiker seit 1994 verheiratet.
    Mit Irene Epple-Waigel ist der Politiker seit 1994 verheiratet. Foto: Ulrich Wagner

    ... die Große Koalition

    Künftig gilt es, die politischen Bündnisse zu hinterfragen und neue Konstellationen in Erwägung zu ziehen: Die Große Koalition hat sich als schleichendes Gift für die tragenden Volksparteien erwiesen. Sowohl CDU/CSU wie auch SPD können darin nur verlieren. Die

    … Freundschaften in der Politik

    Das Ende einer politischen Laufbahn muss nicht den Schlusspunkt der persönlichen Beziehungen setzen. Auch auf dem harten Pflaster der Politik können Vertrauen, Sympathie und gegenseitiger Respekt gedeihen. Im besten Fall erwächst daraus eine Freundschaft fürs Leben.

    Die Autobiografie „Ehrlichkeit ist eine Währung“ erscheint am 15. April im Econ-Verlag und kostet 24 Euro.

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